Sind wir in Deutschland geschützt vor verunreinigten Billigmedikamenten? Seid euch nicht zu sicher. Ein trauriger Fall zeigt jetzt, wie schnell Produktionsfehler, Wegschauen und Schmiergelder tödlich sein können.
Immer wieder kommt es zu Arzneimittelrückrufen, weil billig hergestellte Medikamente aus Drittweltländern mit gefährlichen Stoffen kontaminiert werden, die entweder versehentlich hineingeraten, oder während des Herstellungsprozesses quasi als Nebenprodukt entstehen. Selten ist der Ausgang jedoch so tragisch wie bei einem in diesem Jahr bekannt gewordenen Fall mit verunreinigten Husten- und Fiebersäften aus Indien, bei dem etwa 300 Kleinkinder in mehreren Ländern Asiens und Afrikas starben. Könnte es so nicht bei uns geben? Ich fürchte, dass wir uns in falscher Sicherheit wiegen, wenn wir das denken.
Es begann im Oktober 2022 mit Meldungen aus Gambia, wo insgesamt etwa 70 Kleinkinder nach Einnahme eines Fiebersaftes aus indischer Produktion an akutem Nierenversagen starben, und setzte sich fort, als Usbekistan tote Kinder nach der Einnahme eines Hustensaftes meldete. In diesem Zusammenhang stellte die WHO Untersuchungen an und kam zu dem Schluss, dass mehr als 20 Produkte, die in Indien und Indonesien hergestellt wurden, mit giftigen Chemikalien verunreinigt waren. Noch immer ist nicht ganz klar, in welchen Fällen es sich um gefälschte, beziehungsweise gepanschte Medikamente, oder um bei der Produktion versehentlich kontaminierte Säfte handelte. Vorwiegend betroffen waren Gambia, Indonesien und Usbekistan, weitere Verdachtsfälle kontaminierter Säfte kamen aber auch von den Philippinen, Osttimor, dem Senegal und Kambodscha. Sie waren mit Ethylenglykol und/oder Diethylenglykol verunreinigt.
Der indische Hersteller des tödlichen gambischen Erkältungssaftes war Maiden Pharmaceuticals Limited, der prekärerweise bereits mehrfach im eigenen Land in Verdacht geraten ist, dass bei der Herstellung seiner Medikamente nicht immer alles mit rechten Dingen zugeht. Trotzdem durfte das Unternehmen weiterhin Arzneimittel produzieren – ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Dass hier irgendwann etwas Schlimmes passieren musste, war absehbar. Auf ihrer inzwischen offline gesetzten Homepage soll die Firma behauptet haben, sowohl ISO-zertifiziert, als auch durch die WHO GMP-zertifiziert gewesen zu sein, was laut WHO nicht der Wahrheit entspricht. Die WHO appellierte an Länder, die Medikamente importieren, diese auch regelmäßig auf unerwünschte Verunreinigungen zu prüfen.
Wie ging es nun bei Maiden Pharmaceuticals weiter? Die Firma wurde inzwischen durch die indischen Behörden geschlossen und zwei Direktoren wurden zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Doch nicht etwa wegen des tödlichen Hustensaftes, sondern aufgrund fehlerhaft produzierter Medikamente, die 2013 nach Vietnam exportiert wurden. Warum der Firma seit 2013 offenbar zu wenig auf die Finger geschaut wurde, dazu hat Anwalt Prashant Reddy eine klare Meinung. Der Co-Autor des Buches The Truth Pill, das sich mit Qualitätsmängeln der Medikamente aus indischer Produktion beschäftigt, ist von den Kontrollen durch die Landesbehörden nicht überzeugt. Der Staat möchte die Pharmafirmen nicht vergraulen, da die Arzneimittelindustrie finanziell wichtig für das Wachstum ist. Dementsprechend intransparent gestaltet sich dann die Überwachung.
Ist das auch für uns in Deutschland möglicherweise gefährlich? Der Anwalt spricht von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, denn europäische und amerikanische Prüfungsbehörden reisen nach Indien, um vor Ort die Produktionsstätten zu inspizieren und festzustellen, ob sie den jeweiligen Standards genügen. Länder mit schlechterem finanziellem Background haben diese Möglichkeit nicht und vertrauen auf die lückenhaften Kontrollen durch die indische Regierung. Allzu sehr sollten wir uns trotzdem nicht in Sicherheit wiegen, denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass es auch in reicheren Ländern möglich ist, dass beispielsweise durch eine Umstellung im Produktionsprozess giftige Substanzen entstehen.
Ich erinnere hier an den Sartan-Skandal von 2018, bei dem die wahrscheinlich krebserregende Verunreinigung Nitrosamin zunächst in Valsartan und später auch in anderen Blutdrucksenkern aus der Wirkstoffgruppe der Sartane nachgewiesen wurde. Vermutlich waren bis zu 900.000 Menschen in Deutschland betroffen, die während der 6 Jahre, in denen die Verunreinigung unbemerkt auftrat, die Medikamente einnahmen. Europa hat zwar seine Lehren aus diesem Vorfall gezogen, wie ein Leitfaden der EMA zeigt, doch wird dieser auch in allen Fällen eingehalten? Grundsätzlich als gefährdet gelten Metformin, Pioglitazon und Ranitidin, bei deren Herstellung ebenfalls Nitrosamine aufgetreten sind, wenn auch vorwiegend in Arzneimitteln, die außerhalb der EU vermarktet wurden.
Aktuell wurde vor wenigen Wochen eine mit Nitrosaminen verunreinigte Charge Sitagliptin des Herstellers Glenmark zurückgerufen, etwa zur gleichen Zeit zwei Chargen Atomoxetin der Firma Neuraxpharm und vor etwa vier Wochen kam der Rückruf des Medikamentes Implicor® des Herstellers Servier mit den Wirkstoffen Metoprolol und Ivabradin. Sollten wir uns also so sicher wie in Abrahams Schoß fühlen, ist das unangebracht. Wachsam bleiben heißt die Devise, was uns als First-World-Country auch weniger schwerfällt als den ärmeren Ländern.
Indien ist derweil bemüht, seinen Ruf als Apotheke der Welt zu wahren. In einem Brief an die WHO schrieb die oberste Medikamentenprüfbehörde, der Zusammenhang zwischen den toten Kindern und dem Hustensaft der Firma Maiden Pharmaceuticals sei voreilig geschlossen worden, da bei einer Kontrolle keine Verunreinigungen festgestellt werden konnten. Der Verdacht steht allerdings im Raum, dass ein lokaler Prüfer gegen eine Zahlung von 600.000 US-Dollar von Maiden Pharmaceuticals die fraglichen Proben des Hustensirups ausgetauscht haben soll, bevor diese im staatlichen Labor geprüft werden konnten. Gegen eine solche Form der Manipulation aufgrund von Schmier- und Schweigegeldzahlungen sind wir nur dann gefeit, wenn durch eigene unabhängige Labors jede Charge lückenlos getestet wird. Wir können nur hoffen, dass das auch der Fall ist.
Bildquelle: Khara Woods, Unsplash