Offenbar war der chinesische Produzent von Valsartan frühzeitig gewarnt worden, dass es in der Herstellung zu Nitrosamin-Verunreinigungen kommt. Was das für deutsche Apotheken bedeutet, lest ihr hier.
Die Nitrosamin-Krise hat uns und die betroffenen Patienten in den Apotheken nachhaltig beschäftigt. So ganz ist das Vertrauen der Kunden immer noch nicht wieder da und auch die Angst, dass sich ein solches Szenario wiederholt, bleibt bestehen (ich schrieb hier darüber). Zeit, dass diese Geschichte aufgearbeitet wird und dass man eruiert, wie es dazu kommen konnte. War es für die Hersteller möglicherweise doch absehbar, dass es bei der Produktion zu solchen Problemen kommen konnte? Und wurden die Verantwortlichen sogar frühzeitig intern informiert, dass NDMA als Verunreinigung bei der Produktion auftreten könnte? Das US- Nachrichtenmagazin Bloomberg hat hier kürzlich spannende Fakten veröffentlicht.
Offenbar hätte die Herstellerfirma Zhejiang Huahai Pharmaceutical bereits mindestens ein Jahr vor dem offiziellen Bekanntwerden der Nitrosamin-Verunreinigung seines Wirkstoffes Valsartan darüber Bescheid wissen können. Dieser Verdacht wird gestützt durch eine interne E-Mail der Firma von Juli 2017, die nun während eines Prozesses in den USA einem Gericht als Beweisstück vorgelegt wurde.
Darin machte der Wissenschaftler Jinsheng Lin, der damals bei Zhejiang Huahai arbeitete, seine Vorgesetzten darauf aufmerksam, dass ein von ihnen vorgeschlagener neuer Arbeitsprozess, um das Herzmedikament Irbesartan herzustellen, aufgrund eines potenziellen Kontaminationsproblems zu unsicher sei. Lin erklärte in der Mail, dass der vorgeschlagene Prozess eine Verunreinigung erzeuge, die dem N-Nitrosodimethylamin ähnelt, welches in Valsartan vorkommt, wenn es mit Natriumnitrit in Berührung kommt. In der Mail steht auch deutlich die Warnung, dass seine Struktur sehr giftig sei. Wir erinnern uns, dass genau dieses Ergebnis am Ende der aufwendigen Überprüfung stand, als man versucht hatte, die Gründe für das Auftauchen von NDMA in Valsartan herauszufinden. Man kam damals zu dem Schluss, dass die Verunreinigungen vermutlich zustande kamen, weil das Lösungsmittel Dimethylformamid gemeinsam mit Natriumnitrit in Anwesenheit einer Säure das gefährliche N-Nitrosamin gebildet hatte.
Lin empfahl in seiner Mail die Vorgehensweise laut des Patentes einer anderen Firma aus dem Jahr 2013. Es zeige Alternativen zum Einsatz von Natriumnitrit auf. Lin spricht davon, dass andere Herstellerfirmen bereits „sehr früh auf das Qualitätsproblem geachtet“ hätten. Die Erklärungen der Herstellerfirma Zhejiang Huahai Pharmaceutical vor der US-Gerichtsbarkeit, dass Probleme bei der Übersetzung der Mail möglich seien, da sie auf Chinesisch verfasst worden sei, klingt als Erklärung dafür doch sehr dünn. Es wirkt eher so, als hätte der Hersteller ein Jahr nach dieser Mail eigentlich nicht mehr verwundert sein dürfen, dass sich Nitrosamine im Produkt gefunden haben. Es wirkt eher so, als sei man mindestens ein Jahr vor Beginn der Berichterstattungen über die Verunreinigung ganz klar über die Gefahr aufgeklärt worden – und hätte sie billigend in Kauf genommen. Der Skandal wäre also tatsächlich noch größer als gedacht.
Inzwischen gibt es umfangreiche Tests; regulatorische Maßnahmen, die die Herstellerfirmen zu erfüllen haben, wenn sie Ausgangsstoffe für Humanarzneimittel produzieren. Der Fokus liegt nicht nur darauf, welche Verunreinigungen sich bereits testen und nachweisen lassen, sondern auch bei der Prävention. Die EMA hat Risikoanalysen seitens der Hersteller gefordert und entsprechende Leitlinien entwickelt. Doch sollte sich herausstellen, dass Zhejiang Huahai die ganze Zeit wusste, dass sie ein mit einem potenziell krebserregenden Wirkstoff belastetes Medikament herstellen und in Vertrieb bringen, dann wäre dieses Vorgehen nur bedingt beruhigend. Denn man hätte es mit Leuten zu tun, für die der Profit ganz klar über dem Menschenleben steht. Man müsste dann davon ausgehen, dass beim nächsten ähnlichen Fall seitens der Hersteller wieder nur versucht wird, eventuelle Verunreinigungen zu übergehen und zu vertuschen, um die Gewinne so lange einzufahren, bis der Pfusch auffliegt. Ob und inwieweit die Verantwortlichen sich hier irgendeiner ausländischen Gerichtsbarkeit stellen müssen, ist ohnehin nur Spekulation.
Unsere Politiker würden gut daran tun, die Produktion lebenswichtiger Wirkstoffe wieder innerhalb der EU-Grenzen stattfinden zu lassen. Wir sollten die entsprechende Industrie zurückholen und wieder hier ansiedeln. Nicht nur, aber auch wegen dieser neuen und aufrüttelnden Enthüllungen.
Bildquelle: Hal Gatewood, unsplash