Für eine zielgerichtete Alzheimer-Therapie ist es essenziell, die Erkrankung in einem möglichst frühen Stadium zu erkennen. Ein neuer klinischer Test kommt diesem Ziel einen großen Schritt näher.
Demenzen sind eine der Krankheitsgruppen mit der höchsten Krankheitslast für die Gesellschaft und betroffene Menschen überhaupt. Die Alzheimer-Erkrankung stellt dabei die mit Abstand häufigste Unterform der Demenzen dar. Die Inzidenz wird aufgrund der demographischen Entwicklung in den kommenden Dekaden in den Industrieländern deutlich zunehmen. Mit den neuen in Zulassung (Lecanemab) oder in der Pipeline (Donanemab, Gantenerumab) befindlichen Amyloid-Antikörpern steht seit Kurzem zum ersten Mal seit fast 20 Jahren ein neuer therapeutischer Wirkmechanismus zur Verfügung.
Aus den Zulassungsstudien ging deutlich hervor, dass diese Medikamente nur früh im Krankheitsverlauf (im Stadium des Mild Cognitive Impairment oder bei einer milden Form der Alzheimer-Demenz) wirksam sind. Hieraus lässt sich ableiten, dass ein früherer Therapiebeginn vermutlich noch wirksamer wäre und zu einem wirklichen Durchbruch in der Alzheimer-Therapie führen könnte.
Der Haken: Biomarker oder Tests, die zuverlässig ein Vorstadium der Alzheimer-Erkrankung erkennen, bei dem die pathologischen Veränderungen im zentralen Nervensystem schon voranschreiten, aber noch keine kognitiven Symptome bestehen, stehen bislang nicht zur Verfügung. Oder aber sie sind mit hohen Kosten und Aufwand verbunden, die ihre breite Anwendung limitieren. In der aktuellen Ausgabe von Neurology untersuchte nun eine Forschergruppe des Albert Einstein College of Medicine in New York die entsprechende Vorhersagekraft eines einfach durchzuführenden klinischen Tests. Verwendet wurde der Free and Cued Selective Reminding Test (FCSRT), anhand dessen die Patienten verschiedenen Stadien, den Stages of Objective Memory Impairment (SOMI), zugeordnet werden können.
Der Test besteht aus zwei Schritten. Im ersten Schritt werden den Teilnehmern vier Karten mit jeweils vier abgebildeten Gegenständen gezeigt. Nun müssen sie jeweils den Gegenstand identifizieren, der zu einer genannten Kategorie passt. So sollen zum Beispiel die abgebildeten Trauben der Kategorie „Obst“ zugeordnet werden. Im zweiten Schritt werden die Karten entfernt und die Teilnehmer werden aufgefordert, die zuvor gesehenen Gegenstände zu nennen. Bei Gegenständen, an die sich nicht erinnert wird, werden die zugehörigen Kategorien genannt, um das Erinnern zu erleichtern. Je nach Testergebnis werden die Teilnehmer verschiedenen Stadien (SOMI 0–4) zugeordnet. Bei diesem Test werden auch subtile Einschränkungen der Gedächtnisfunktion erfasst, die von anderen etablierten Testverfahren (Mini-Mental-Status-Test, MMST oder Clinical Dementia Rating, CDR) nicht detektiert werden.
In der Studie wurden 969 Teilnehmer mit einem Durchschnittsalter von 69 Jahren ohne kognitive Einschränkungen bei Studieneinschluss untersucht. Anhand der Ergebnisse des Tests wurden die Teilnehmer in fünf Gruppen (SOMI 0–4) eingeteilt. SOMI 0 bedeutet keinerlei Einschränkungen. Bei SOMI 1 und 2 bestehen zunehmende Schwierigkeiten beim unmittelbaren Erinnern an die Gegenstände, nach Nennen der Kategorie können sich die Teilnehmer aber an die Gegenstände erinnern. Bei SOMI 3 und 4 schließlich können sich die Teilnehmer auch nach Nennen der Kategorie nicht an alle Gegenstände erinnern.
Von den knapp 1.000 Teilnehmern wurden 47 % SOMI 0, 35 % SOMI 1, 13 % SOMI 2 und 5 % SOMI 3 und 4 zugeordnet. Im folgenden Beobachtungszeitraum (bis zu 10 Jahre) entwickelten insgesamt 234 Teilnehmer (24 %) kognitive Einschränkungen. Nach Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Ausbildungsstand und APOε4-Trägerschaft fanden die Forscher, dass Teilnehmer mit einem initialen SOMI-Stadium von 1 oder 2 im Vergleich zu denen mit einem SOMI-Stadium von 0 ein doppeltes Risiko für die Entwicklung von kognitiven Einschränkungen im Verlauf zeigten. Für Teilnehmer mit einem initialen SOMI-Stadium von 3 oder 4 war das Risiko sogar dreifach erhöht. Das errechnete Risiko, nach 10 Jahren kognitive Einschränkungen zu entwickeln, betrug 72 % für SOMI 3 und 4, 57 % für SOMI 2, 35 % für SOMI 1 und 21 % für SOMI 0.
Die Autoren werten diese klare Auftrennung des Risikos durch den einfach durchzuführenden Test als großen Erfolg. Die Früherkennung von Patienten, die ein hohes Risiko für die spätere Entwicklung einer Demenz-Erkrankung haben, werde so besser und leichter durchführbar. Für neue Therapiestudien ist es essenziell, Patienten in einem möglichst frühen Stadium der Erkrankung zu behandeln, da vermutet wird, dass der Krankheitsverlauf am besten in diesem Stadium modifiziert oder aufgehalten werden kann. Und auch für die klinische Praxis ist dies ein wichtiges Ergebnis, da es eine Methode liefert, Patienten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung einer Demenz zu identifizieren. Diese können dann speziell beraten werden und Lifestyle-Interventionen empfohlen werden, die dem entgegenwirken.
Als Limitation ihrer Studie nennen die Forscher, dass es sich bei den Teilnehmern um eine eher homogene Gruppe von überwiegend Kaukasiern mit einem hohen Ausbildungsstand handelte. Die Übertragbarkeit auf die Allgemeinbevölkerung sei somit eingeschränkt, weitere Studien mit einer diverseren Teilnehmergruppe wären nötig.
Der Vorteil der untersuchten Methode besteht ohne Frage in der einfachen Durchführbarkeit des verwendeten Tests. Andere Biomarker, die zur Risikoeinschätzung der Entwicklung von kognitiven Einschränkungen verwendet werden, sind entweder invasiv (Lumbalpunktion) oder kostenintensiv (Bildgebung). Neben den in Entwicklung befindlichen und noch nicht in der breiten klinischen Praxis verfügbaren Bluttests auf die klassischerweise im Liquor bestimmten Biomarker β-Amyloid und Phospho-Tau, handelt es sich bei dem verwendeten Test um eine alltagstaugliche Methode, die mit zur Risikoeinschätzung der Entwicklung kognitiver Defizite eingesetzt werden kann.
Bildquelle: Jon Tyson, unsplash