REFRESHER | Schniefende Nasen, tränende Augen – die Pollen sind da! Mit Nasenspray allein ist nicht jedem geholfen. Was ihr über Cetirizin und andere orale Wirkstoffe wissen solltet, lest ihr hier.
Auf gehts zum zweiten Teil meines Refreshers! Im ersten Teil geht es um die topische Therapie; ihr findet ihn hier. Neben der Therapie mit intranasalen Glukokortikoiden steht in der Leitlinie die orale Therapie auf gleicher Stufe. Hier ist entscheidend, was dem Patienten angenehmer erscheint, denn die Compliance ist das Wichtigste bei der Behandlung der allergischen Rhinitis. Durch konsequente Allergenvermeidung – sofern dies möglich ist – und eine adäquate Behandlung kann einem Etagenwechsel vorgebeugt werden.
Uns stehen zur Beratung in der Selbstmedikation zur oralen Therapie in diesem Jahr fünf verschiedene H1-Antihistaminika der zweiten beziehungsweise dritten Generation zur Verfügung, nämlich Cetirizin, Levocetirizin, Loratadin, Desloratadin und Bilastin. Dimetinden als H1-Antihistaminikum der ersten Generation spielt aufgrund seiner sedierenden Wirkung kaum eine Rolle mehr bei der Beratung von Patienten mit allergischer Rhinitis. Cromone werden in der Leitlinie nur noch für Schwangere den H1-Antihistaminika der zweiten Generation vorgezogen. Auch Cetirizin und sein Enantiomer Levocetirizin können bei strenger Indikationsstellung in allen Phasen der Schwangerschaft angewendet werden. Für Loratadin, Desloratadin und auch Bilastin liegen für die Anwendung während der Schwangerschaft bislang zu wenige Daten vor, als dass sie in der Selbstmedikation empfohlen werden können.
Alle verfügbaren H1-Antihistaminika der zweiten und dritten Generation sind durchweg gut verträglich, sedieren kaum, haben einen schnellen Wirkeintritt und können während der kompletten Allergiesaison einmal täglich, vorzugsweise am Abend, eingenommen werden. Die Entlassung von Bilastin aus der Verschreibungspflicht hat sich bereits jetzt für viele Patienten in der Apotheke, in der ich arbeite, als Segen erwiesen. Auch wenn die Möglichkeit einer Sedierung als Nebenwirkung von Loratadin geringer als bei Cetirizin ist, bei Bilastin liegt die Wahrscheinlichkeit eines Hangovers noch niedriger. Die Fachinformation gibt für Bilastin die Häufigkeit von Somnolenz und Ermüdungserscheinungen mit 3,06 Prozent beziehungsweise 0,83 Prozent an, was nah an den Werten von Placebo mit 2,86 Prozent Somnolenz und 1,32 Prozent Ermüdung liegt. Zudem hat es neben der antiallergischen Wirkung, genau wie Desloratadin, auch noch entzündungshemmende Aspekte und ist besonders für Patienten mit kardiologischen Problemen zu empfehlen. Der Wirkeintritt wird mit etwa 30 Minuten angegeben und liegt damit genau zwischen Cetirizin (10–30 min) und Loratadin (1–3 Stunden). Die lange Halbwertszeit macht eine Wirkung von 24 Stunden möglich, so dass Bilastin zur einmal täglichen Einnahme geeignet ist. Der Wirkeintritt von Desloratadin wird mit 45 Minuten, der von Levocetirizin mit unter 60 Minuten angegeben.
Bilastin blockiert die proinflammatorischen Zytokine Interleukin-3, 4, 6, 8 und 13, hemmt die Freisetzung von Leukotrienen und Prostaglandinen und blockiert als kompetitiver Histamin-Antagonist das Gewebshormon an den peripheren H1-Rezeptoren. Es wirkt dadurch stabilisierend auf die Mastzellen. Es ist zwar in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, doch das Transportprotein P-Glykoprotein (P-gp) befördert es aktiv wieder aus dem ZNS heraus, was erklärt, warum Bilastin kaum Müdigkeit auslöst.
Laut der ARIA-Leitlinie wird derzeit diskutiert, ob Desloratadin, Levocetirizin und Fexofenadin sogar als H1-Antihistaminika der dritten Generation bezeichnet werden könnten, da sie überwiegend folgender Definition angehören:
Nach dieser Definition dürfte auch Bilastin in dieses Muster passen und wird sich sicherlich nach Aktualisierung der Leitlinie hier einreihen. Fexofenadin ist hierzulande verschreibungspflichtig. Kleines Bonmot am Rande: In den USA kann man Fexofenadin unter dem Handelsnamen Allegra® erwerben – der gleiche Name wie das erste Bilastin-Präparat in Deutschland. Die beiden Präparate sind auch farblich und von der Aufmachung her kaum zu unterscheiden und damit ein tolles Beispiel dafür, dass Arzneimittel-Flohmärkte, bei denen Laien untereinander Medikamente tauschen, keine gute Idee sind.
Eine Besonderheit von Bilastin macht das Medikament besonders für Patienten mit Polymedikation interessant: Es interagiert nicht mit dem Cytochrom-P450-System, was sein Potenzial für Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln deutlich begrenzt. Bilastin kann Patienten unabhängig von der glomerulären Filtrationsrate oral verabreicht werden, eine Dosisanpassung ist auch bei Patienten mit leichter, mäßiger oder schwerer Nierenfunktionsstörung nicht erforderlich. Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Niereninsuffizienz, welche mit Ciclosporin, Diltiazem, Erythromycin, Ketoconazol oder Ritonavir behandelt werden, sollte Bilastin allerdings nicht verabreicht werden, da diese Inhibitoren die Bilastinspiegel im Plasma erhöhen und damit zu einem erhöhten Potenzial für Nebenwirkungen führen. Für die Leber besteht keine besondere Gefahr, da Bilastin nicht metabolisiert wird.
In der Beratung muss man vor allem bei der Einnahme mit dem Essen Unterschiede berücksichtigen. Während Loratadin und Desloratadin unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden können, verzögert sich die Resorptionsgeschwindigkeit – und damit auch der Wirkeintritt – wenn Cetirizin und Levocetirizin mit einer Mahlzeit eingenommen werden. Bilastin soll dagegen immer nüchtern eingenommen werden, da sowohl Nahrungsmittel als auch Fruchtsäfte, ganz besonders mit Grapefruit und Grapefruitverwandten wie der Pomelo, die Bioverfügbarkeit um ca. 30 % herabsetzen können.
Gerade in der umfassenden Beratung liegt eine große Verantwortung in der Hand des pharmazeutischen Personals, da viele Patienten aufgrund des Selbstzahlerstatus mit ihren Allergiebeschwerden nicht mehr zum Arzt gehen. Kaum einem Heuschnupfengeplagten ist bewusst, dass die Zahl der Todesfälle durch allergisches Asthma bronchiale hierzulande die Zahl der Verkehrstoten übersteigt, oder eine Allergie in 80 Prozent der Fälle der Grund dafür ist, dass Jugendliche ihre Ausbildung abbrechen. Darauf wies schon vor fünf Jahren die Deutsche Allergie-Liga hin.
Viele Patienten nehmen Antiallergika nur bedarfsweise ein und riskieren damit eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes. Die Leitlinie verweist deutlich darauf, dass die Langzeiteinnahme der bedarfsgerechten Einnahme vorzuziehen ist. Wer sich nicht von Tabletten abhängig machen möchte – eine Argumentation die wir in der Apotheke häufiger zu hören bekommen –, dem sollte der Gang zum Allergologen angeraten werden, um eine Hyposensibilisierung in die Wege zu leiten. Sie ist derzeit der einzige Weg, eine deutliche Verbesserung, ohne die ständige Einnahme oder das Einsprühen in die Nase von Medikamenten zu erreichen.
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