Spielte der Erreger bisher vor allem in der Pädiatrie eine Rolle, sollten mittlerweile alle Hausärzte das RS-Virus auf dem Radar haben – auch bei Senioren. Impfen wir bald gegen RSV wie gegen die Grippe?
Als sich im Sommer 2021 untypischerweise die RSV-Fälle häuften, geriet das bis dahin – außerhalb medizinischer Fachkreise – weitgehend unbekannte Virus in den öffentlichen Fokus. Auch im vergangenen Herbst kam es zu einer frühen und starken Infektionswelle. „Die ungewöhnlich hohe Zahl von Infizierten und Klinikeinweisungen war vermutlich auf Nachholeffekte aus der Pandemie-Zeit zurückzuführen“, sagt Prof. Tino Schwarz, Chefarzt am Institut für Labormedizin und Impfzentrum im Klinikum Würzburg Mitte.
Die hohen Erkrankungszahlen, die häufig Säuglinge und Kleinkinder betrafen und Pädiater an ihre Kapazitätsgrenzen brachten, hätten das Bild vom harmlosen Erkältungsvirus etwas zurechtgerückt, so der Mediziner auf einer Pressekonferenz des Centrums für Reisemedizin (CRM).
„Eine RSV-Infektion ist hinsichtlich der Fallschwere durchaus mit der Influenza vergleichbar“, stellt Schwarz fest. Erst seit letztem Jahr konnte auch unter Senioren eine hohe Zahl an Infektionen beobachtet werden. Greift die Infektion auf die unteren Atemwege über, kann sich eine schwere Pneumonie entwickeln, die eine Beatmung notwendig macht und im schlimmsten Fall tödlich verläuft. Zu den Risikogruppen gehören ältere Menschen mit Vorerkrankungen und sehr junge Säuglinge und Frühgeborene – vor allem, wenn sie von zusätzlichen Risikofaktoren wie angeborenen Herzfehlern, einer Immunschwäche oder einer gestörten Lungenentwicklung betroffen sind.
Bisher gibt es noch keine antivirale Therapie, die schwere Verläufe verhindern kann. Für Kinder wird daher auf zwei Strategien gesetzt: Zum einen sind in der EU mittlerweile zwei monoklonale Antikörper zugelassen, die für 4 Wochen, beziehungsweise 5 Monate, vor einer RSV-Infektion schützen. Der 4-Wochen-Antikörper Palivizumab sei bisher bei Frühgeborenen mit Lungenerkrankungen oder Herzerkrankungen eingesetzt worden, so Schwarz. Der neue Antikörper Niservimab, der nur einmal pro Saison eingesetzt werden muss, sei die elegantere Lösung und könne bei allen Neugebohrenen zum Einsatz kommen. Damit kann der Nestschutz, den Säuglinge meist über ihre Mutter mitbekommen, über die erste RSV-Saison hinweg verlängert werden. Zum anderen ist derzeit ein maternaler Impfstoff für Schwangere in der Entwicklung (DocCheck berichtete), der im letzten Trimenon eingesetzt werden und den Nestschutz des Neugeborenen verstärken soll.
Welchen klinischen Stellenwert das RS-Virus aktuell in Deutschland habe, sei nicht ganz eindeutig, erklärt Schwarz. 2021 waren die Infektionszahlen wegen der Corona-Schutzmaßnahmen niedrig. Nun müssten die Daten vom letzten Jahr dahingehend geprüft werden, welchen Anteil RSV-Infektionen bei allen Fällen von unteren Atemwegsinfektionen hatten. Bei Älteren schätzt Schwarz, dass der Anteil im Vergleich zu den Kindern etwa die Hälfte der Fälle ausmache.
Für Erwachsene ab 60 Jahren werden momentan 5 Impfstoffe in Phase-3-Studien erprobt. „Obwohl dabei unterschiedliche Techniken zum Einsatz kommen, sind die Ergebnisse bislang vergleichbar gut“, so Schwarz. Neben vektorbasierten und Protein-Impfstoffen sei auch ein mRNA-Impfstoff unter den vielversprechenden Kandidaten (mehr dazu hier). „Sowohl die europäische als auch die US-amerikanische Zulassungsbehörde haben für die RSV-Impfstoffe ein beschleunigtes Zulassungsverfahren genehmigt, sodass bereits zur nächsten RSV-Saison ein Impfstoff für ältere Menschen zur Verfügung stehen könnte“, spekuliert er. Wie lange der Impfschutz hält und wann er aufgefrischt werden muss, soll im Rahmen der Phase-3-Studien untersucht werden.
Ab Herbst rechne er mit einer Verfügbarkeit erster Impfstoffe für Menschen ab 60 Jahren, so Schwarz. Aktuell laufe auch eine Studie für Menschen ab 50 Jahren, die an Vorerkrankungen leiden – hier müsse dann aber letztendlich die STIKO entscheiden, ob es zu einer Zulassung kommt.
Die Erkrankung sei im Hinblick auf ältere Menschen bei vielen Hausärzten noch nicht so präsent, sagt der Facharzt für Labormedizin, medizinische Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Weil die Erkrankung in diesem Zusammenhang noch nicht so bekannt sei, fürchte er Probleme beim Erklären der Impfstrategie. Ob – wie bei der Grippe – eine jährliche Impfung nötig sein werde, stehe noch nicht fest. Erste Daten würden aber eher für ein längeres Impfintervall sprechen. Wie auch bei der Grippe könne man die RSV-Impfung Patienten mit COPD, Diabetes, Asthma, kardiovaskulären Erkrankungen oder bei Immunsuppression empfehlen.
Für ältere Menschen könne man die Vakzine dann auch als Reiseimpfung verwenden. In Mitteleuropa fällt die RSV-Saison üblicherweise mit der Grippesaison von November bis April zusammen, mit einem Höhepunkt im Januar und Februar. In den gemäßigten Zonen der Südhalbkugel gilt hingegen der Südwinter von Mai bis August als RSV-Saison, in tropischen Gebieten die Regenzeit. „Wer Fernreisen zu diesen Zeiten plant, sollte sich möglichst an die aus der Corona -Zeit bekannten Hygieneregeln halten“, ergänzt Prof. Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM – denn auch RS-Viren würden als Tröpfchen- und Schmierinfektion übertragen.
Auch wenn derzeit noch kein Impfschutz möglich sei, lasse sich das Ansteckungsrisiko durch regelmäßiges Händewaschen und die Vermeidung von Kontakt zu erkälteten Personen verringern. „Aufgrund der kurzen Inkubationszeit von 2 bis 8 Tagen ist das Risiko hoch, dass die Symptome noch während des Urlaubs einsetzen“, so Jelinek. „Und dann kann selbst eine mild verlaufende Infektion die Urlaubsfreude deutlich trüben.“
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