Präparate mit Paracetamol und Ibuprofen sind und bleiben Mangelware. Jetzt zweigen Hersteller Kontingente ab, die eigentlich in die Ukraine gehen sollten. Was ich davon halte – und welche Lösungen sinnvoller wären.
Februar 2022: Russlands Überfall auf die Ukraine schockiert die Welt. Viele Apotheker aus Deutschland wollen rasch und unbürokratisch helfen. Sie schicken über Hilfsorganisationen Ibuprofen- und Paracetamol-Fiebersäfte ins Kriegsgebiet; damals war das noch gut möglich. Mittlerweile ist knapp ein Jahr vergangen – und die Lage hat sich grundlegend geändert, auch aus pharmazeutischem Blickwinkel.
Von 300 erfassten Lieferengpässen bewertet das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Lage bei 51 Arzneimitteln beziehungsweise bei 17 Wirkstoffen als kritisch. Dazu zählen Ibuprofen oder Paracetamol in spezieller Galenik für Kinder, sprich Zäpfchen oder Fiebersäfte.
Zwar hat Karl Lauterbach endlich reagiert. Er gibt unumwunden zu: „Wir haben es mit der Ökonomisierung auch in der Versorgung mit patentfreien Medikamenten übertrieben.“ Der Gesundheitsminister lockert Rabatt- sowie Festbetragsregeln. Sein Ziel ist, Anreize zu bieten, damit Firmen wieder in Europa produzieren oder zumindest heimische Märkte beliefern. Was sein Eckpunktepapier aber kurzfristig bringt, ist bei Apothekern umstritten. Doch es kam anders als erwartet.
Berlin-Chemie, ein international tätiges Pharmaunternehmen mit Sitz in Deutschland, hat von Behörden grünes Licht bekommen, 90.000 Packungen Eudorlin® (Ibuprofen) 20 mg/ml sowie 40 mg/ml, Suspension zum Einnehmen, auf den deutschen Markt zu bringen. Sie kommen vom gleichen Lohnhersteller wie – nicht verfügbare – wirkstoffgleiche Präparate für heimische Apotheken. Allerdings waren die Packungen für die Ukraine bestimmt. Sie tragen Angaben in ukrainischer Sprache. Informationen in deutscher Sprache werden jeder Packung beiliegen. Der Mehraufwand, Patienten zu informieren, wird, wie so oft, bei Apothekern abgeladen.
Gemäß Arzneimittelgesetz, § 21, dürfen in Deutschland nur Präparate mit deutscher oder europäischer Zulassung auf den Markt kommen. Ausnahmen sind laut § 4 Absatz 1 der Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung aber möglich. Und genau das ist jetzt mit dem Präparat für die Ukraine passiert.
Zwar schreibt die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK): „Die weitere Versorgung der Menschen in der Ukraine soll dadurch nicht gefährdet sein.“ Doch das Grundproblem bleibt. Einmal mehr verlagern sich Märkte, jetzt aber zu Gunsten von Deutschland. Durch Lauterbachs Maßnahmenpaket wird der Absatz hierzulande wieder attraktiv. Nur: Was bei uns vorhanden ist, fehlt eben an anderer Stelle. Genau hier beginnt es, schwierig zu werden. Das Sankt-Florian-Prinzip gilt eben auch für Medikamente.
Kurzfristige, praktikable Lösungen jenseits der Umlenkung von Warenströmen werden in Berlin nicht diskutiert. Und die Apothekerschaft stellt sich einmal mehr auf ihren liebsten Standpunkt: Besser fremde Ideen kritisieren, als eigene Pläne zu entwickeln.
Derzeit kochen Apotheker im wahrsten Sinne des Wortes lieber ihr eigenes Süppchen. Wer in Social Media zu Ibuprofen oder Paracetamol recherchiert, sieht etliche Postings mit Kollegen, die Paracetamol- oder Ibuprofen-haltige Präparate als patientenindividuelle Rezepturen herstellen. Das ist gut gemeint, löst aber keine bundesweiten Probleme. Und die Allgemeinheit zahlt über höhere Krankenkassenbeiträge die Zeche für jahrzehntelange Fehler der Gesundheitspolitik. Schließlich sind Rezepturen deutlich teurer als Fertigarzneimittel.
Wie wäre es damit: Spitzenverbände richten bundesweit mehrere Labore ein, die von Apothekern betrieben werden. Sie können Wirkstoffe – nicht nur Paracetamol oder Ibuprofen, sondern theoretisch alle Chemikalien – in größerer Menge erwerben. Für Einzelapotheken lohnt sich das nicht.
Die Substanzen selbst wären Grundlage für Defekturen. Sie lohnen sich für Einzelapotheken kaum, sind aber in größerem Stil ökonomisch sinnvoll. Qualitätskontrollen müssen verpflichtend durchgeführt werden – mit analytischen Methoden, nicht nur mit organoleptischen Kontrollen wie bei Rezepturen. Von diesen Laboren würden Präparate aus der Defektur per Botenfahrzeig verteilt. Das Bundesgesundheitsministerium müsste Gesetze anpassen, aber das wäre keine unüberwindbare Hürde.
Ein nicht zu verachtender Nebeneffekt der Idee: Solche Zentren könnten auch seltene Rezeptursubstanzen aus einem zentralen Pool an Apotheken verteilen. Heute lehnen Kollegen solche Rezepturen entweder ab – oder sie verwerfen aufgrund des Verfalls große Mengen an Chemikalien, weil zu wenig Nachfrage besteht.
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