Für Reisende aus China soll auch in Deutschland künftig eine Corona-Testpflicht gelten – das verkündete Lauterbach heute. Dabei ist das Vorhaben unter Epidemiologen und Virologen höchst umstritten. Warum?
Testen oder nicht testen – das ist hier die Frage. Klar, es geht um die Corona-Testpflicht für Reisende aus China, die seit Wochen von verschiedenen Seiten gefordert wird. Grund ist die gewaltige Corona-Welle, die derzeit über das Land rollt, nachdem die chinesische Regierung Anfang Dezember ihre strenge Null-Covid-Politik für beendet erklärt hatte (wir berichteten).
Jüngst forderte etwa der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes eine EU-weite Testpflicht für Reisende aus China. „Wir brauchen jetzt ein europaweit einheitliches Schutzkonzept“, sagt Johannes Nießen, Vorsitzender des Bundesverbands, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Jeder Reisende aus China sollte bei der Einreise in die EU per Schnelltest getestet werden.“ Die Regel müsse für Geschäftsreisende, Touristen und andere Besucher gelten. Bei einem positiven Testergebnis müsse ein PCR-Test folgen und die Probe sequenziert werden. Wer sich infiziert habe, solle in jedem Fall in Isolation gehen müssen, so Nießen.
Die EU-Mitgliedsstaaten konnten sich in Sachen Testpflicht bisher nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Während Italien, Spanien und Frankreich inzwischen Einreisebeschränkungen für Reisende aus China erlassen oder diese in Aussicht gestellt haben, hielt sich Deutschland wie gewohnt länger mit einer Entscheidung zurück – bis jetzt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach vermeldete am heutigen Donnerstag (5. Januar), dass auch hierzulande in Kürze eine Testpflicht eingeführt werden solle. Reisende aus China benötigten künftig bei Reiseantritt nach Deutschland mindestens einen Antigenschnelltest, so Lauterbach. Zudem würden bei der Einreise stichprobenartige Tests vorgenommen, „um Virusvarianten zu erkennen“.
Die Entscheidung folgt auf die gestern veröffentlichte Empfehlung der schwedischen Ratspräsidentschaft. Demnach werden die EU-Staaten „nachdrücklich“ dazu aufgefordert, für alle Fluggäste, die aus China in die Mitgliedsstaaten abreisen, einen Corona-Test vorzuschreiben, der nicht älter als 48 Stunden sein darf.
Unter Epidemiologen und Virologen ist der Sinn der geplanten Testpflicht und Einreisebeschränkungen allerdings umstritten. „Ich persönlich halte es nicht für angemessen, in der aktuellen Situation Einreisekontrollen für Reisende aus China oder woanders her zu COVID-19 einzuführen“, meint etwa Prof. Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Wir seien in Bezug auf COVID-19 schon längst in der Phase der gezielten Schadensmilderung beziehungsweise „sollten uns dessen auch endlich bewusst sein und auch entsprechend handeln“, so Krause. „Maßnahmen zur Eindämmung, wie Einreisebegrenzungen oder -kontrollen, sind für eine kurze anfängliche Phase einer Epidemie oder Pandemie sinnvoll, aber nicht mehr jetzt.“
Ähnlich äußert sich auch Prof. Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen: „Neue Tests für Einreisende aus China würden sicherlich zeigen, dass ein möglicherweise nicht unerheblicher Anteil aller von dort Einreisenden infiziert ist. Dennoch wäre dies im Gesamtblick auf die hierzulande derzeit noch vorliegenden Infektionen nur ein sehr kleiner Teil, es würde sicherlich keine neue Infektionswelle ausgelöst.“ Der Aufwand liege vor allem darin, alle Einreisenden – und nicht nur die von Direktflügen – zu testen und dann auch Isolationsmöglichkeiten bereitzustellen. Solche Maßnahmen würden in der Regel aber nur zu Beginn von Epidemien beziehungsweise Pandemien wirklich Sinn machen, sagt Zeeb.
Dr. Viola Priesemann, Leiterin der Forschungsgruppe Theorie neuronaler Systeme vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen, bringt das Problem auf den Punkt: „Testen reduziert in Verbindung mit Isolationspflicht die Inzidenz im Zielland. Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn das Zielland eine niedrige Inzidenz hat oder anstrebt. Das ist aktuell in Deutschland nicht der Fall.“
Auch hinsichtlich der Sorge vor neuen Varianten, die Reisende aus China mitbringen könnten, sind die Experten von einer Testpflicht nicht besonders überzeugt: „Da China im Vergleich zum Rest der Welt keine hohe Bevölkerungsimmunität hat, insbesondere nicht an natürlichen Infektionen, ist die Entwicklung einer Immunflucht-Variante in China vor diesem Hintergrund nicht besonders wahrscheinlich“, findet Prof. Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten an der Universität Genf, Schweiz.
Natürlich sei es möglich, dass eine neue, besorgniserregendere Variante entsteht, aber die könnte auch aus einem anderen Teil der Welt kommen, aus denen wir wenig Sequenzen erhalten, meint Eckerle. „Die Diskussion verdeutlicht aber, wie wichtig es ist, dauerhaft verlässliche Sequenzierungsdaten zu haben – nicht nur aus China, sondern aus jedem Land. Statt kurzfristiger, isolierter Anstrengungen für ein einzelnes Land wäre es viel sinnvoller, hier in dauerhafte Strukturen zu investieren.“
Auch die europäische Gesundheitsbehörde ECDC hat sich zum Thema geäußert. In einer Pressemitteilung schreibt die Behörde, dass die Zahl der COVID-19-Fälle auf dem chinesischen Festland im Dezember zwar einen Rekordstand erreicht habe. Die Lage in China werde aber voraussichtlich keine Auswirkungen auf die epidemiologische Situation in Europa haben. Die Varianten in der Volksrepublik seien auch in der EU schon im Umlauf und stellten deshalb keine Herausforderung für die Immunantwort von EU-Bürgern dar, heißt es von der Behörde.
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