Wisst ihr was das Metaverse ist? Wenn nicht, solltet ihr euch vermutlich damit beschäftigen. Arztbesuche, OPs und Studenten-Trainings – all das findet bereits virtuell statt.
Das Metaversum oder Metaverse ist keine Erfindung von Facebook-Chef Mark Zuckerberg, sondern ein innovativer, firmenunabhängiger Ansatz. „Meta“ steht für „jenseits“ und „versum“ soll an das „Universum“ erinnern. Geprägt wurde der Begriff 1992 von Neal Stephenson, einem Autor von Science-Fiction-Literatur. Im Roman Snow Crash beschreibt er das Leben seiner Figuren im realen Alltag und eben – Sie vermuten es – als Avatare im Metaversum.
Das Metaverse verknüpft einzelne physisch oder online verfügbare Dienstleistungen zu einem großen Ganzen. Teilnehmer, etwa Ärzte und Patienten, agieren fast wie in der realen Welt miteinander. Behandler nutzen Technologien der virtuellen Realität und der erweiterten Realität. Aus Patientendaten wiederum entstehen realitätsnahe Abbilder, die Avatare.
An der Umsetzung arbeiten Tech-Konzerne wie Meta, Microsoft und Nvidia mit Hochdruck. Gerade für die Medizin gilt das Konzept als großes Zukunftsthema: Beispielsweise plant die Thumbay Group, ein komplettes Krankenhaus im Metaverse zu erschaffen.
Experten sind davon überzeugt, dass Konzepte dieser Art auch im Health-Care-Bereich Einzug halten werden. So hat eine Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) unter 111 Fach- und Führungskräften ergeben, dass das Metaverse für die Wirtschaft (53 Prozent Zustimmung), die Gesellschaft (56 Prozent) und die Kultur (60 Prozent) von Bedeutung sein wird. Gleichzeitig kritisierten 82 Prozent der Entscheider, Deutschland sei nicht hinlänglich darauf vorbereitet. Aus anderen Ländern kommen Erfolgs- aber auch Misserfolgsmeldungen; rund läuft es keineswegs überall.
Ein Beispiel: MetaDocs hat laut BusinessInsider prominente Ärzte für sich gewonnen, etwa Dr. Pimple Popper oder Dr. Richard Brown. Die YouTube- bzw. TikTok-Stars sollen bei Chats oder bei Frage-Antwort-Runden erreichbar sein. Die Hoffnung auf viel Geld im Markt ist groß. Kunden sollen pro NFT (Non-Fungible Tokens), also pro digitalem Vermögenswert, mehr als umgerechnet 543 Euro bezahlen.
Dafür erhalten sie Zugriff auf – Infotainment. Mehr wird es kaum werden, denn Fernbehandlungen oder medizinische Beratungen durften die MetaDocs bislang nicht durchführen. Ihnen fehlt schlichtweg eine US-Lizenz dafür. Auch die Verordnung von Medikamenten ist damit tabu. Ob das Konzept aufgehen wird, ist momentan mehr als fraglich. Die MetaDocs sind mittlerweile online nicht mehr erreichbar (Stand 16.12.2022): kein gutes Zeichen.
Erfolgsgeschichten gibt es dennoch. „Erste medizinische Konsultation im Metaverse durchgeführt“, berichtete vor wenigen Monaten der niederländische Konzern Aimedis Avalon. Was war passiert? Ein 30-jähriger Patient aus Griechenland mit unklaren kardialen Beschwerden wurde nach der Vor-Ort-Untersuchung entlassen. Was ihm genau gefehlt hat, blieb unklar. Er bekam jedoch ein digitales D-Heart-Gerät nebst Erklärung mit nach Hause. Sein Klinikum liegt mehr als eine Stunde entfernt vom Wohnort.
Nach einiger Zeit traten beim Patienten wieder Brustschmerzen auf. Jetzt konnte er sich in einen privaten Untersuchungsraum im Metaverse einloggen, umgehend einen Kardiologen kontaktieren und ein EKG anfertigen. Der Arzt wertete umgehend alle Daten aus. Eine erneute Vorstellung in der Kardiologie als Notfall erwies sich als unnötig.
Dr. Ioannis Skalidis, Kardiologe und Entwickler bei Aimedis Avalon, sieht darin große Chancen, aber auch Herausforderungen. Für präzise Diagnosen dieser Art sei eine „bessere medizinische Ausbildung für junge Leute“ notwendig.
Von der Diagnostik zur Therapie. In einem Blogbeitrag berichten Ärzte von der ersten OP im Metaversum. Der Chirurg Dr. Pedro Gouveia war in Lissabon vor Ort bei seiner Brustkrebs-Patientin. Über das Metaverse schaltete sich der Experte Dr. Rogelio Andrés-Luna zu. Er war an der University of Zaragoza in Spanien, rund 900 Kilometer entfernt vom OP-Saal.
Andrés-Luna trug dabei die Mixed-Reality Brille HoloLens 2 von Microsoft. Neben dem OP-Gebiet bekam er weitere Informationen eingeblendet. Der Spanier gilt als Experte im Bereich der Augmented Reality, also der erweiterten Realität, bei Brustkrebs. Zusammen mit Kollegen entwickelt er Verfahren, um Daten der Bildgebung mit dem OP-Gebiet zu überlagern: eine Strategie, um Tumore bestmöglich zu resezieren.
Die Praxisbeispiele zeigen, wie vielfältig Ansätze im medizinischen Metaverse sind. Als Herausforderung bleibt, Studierende an virtuelle Formate heranzuführen. Derzeit existieren vor allem Modellprojekte, etwa an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Im Rahmen von HEDS (Handlungs- und Entscheidungskompetenz Digital Stärken) erproben Dozenten neue Formate. Sie entwickeln Online-Szenarien, anhand derer Studenten klinische Fallbeispiele von der Erfassung der Symptome über die Diagnose bis zur Therapieentscheidung bearbeiten.
„Auf diese virtuellen Übungsfälle folgt dann, wo immer möglich und sinnvoll, der Unterricht vor Ort in der Klinik zu diesem Thema“, sagt Prof. Dr. Geraldine Rauch, Prodekanin für Studium und Lehre mit lebens- und gesundheitswissenschaftlichem Schwerpunkt der Charité. „So werden wir die klinische Entscheidungskompetenz der Studierenden deutlich besser trainieren als das bisher möglich war.“ Solche Fähigkeiten machen Ärzte von morgen fit fürs Metaverse, wenn virtuelle und physische Realitäten stärker denn je zusammenrücken.
Einen speziellen Aspekt des Metaverse setzen Dozenten in der Schweiz um. Medizinstudenten der Universität Bern und Pflegestudenten des Berner Bildungszentrum Pflege haben die Möglichkeit, Anatomie und Pathologie verschiedener Organe in der virtuellen Realität besser zu begreifen. Zum Einsatz kommen verschiedene VR-Brillen; eine Technologie, die später, im Metaversum, von Nutzen sein wird.
Generell bietet das Metaverse aber noch weitere Möglichkeiten für die Ausbildung. Angehende Ärzte lernen den menschlichen Organismus in seiner ganzen Komplexität kennen, inklusive möglichen Pathologien, Entwicklungsstadien, Fehlbildungen oder Behandlungsmöglichkeiten. Hier sind wiederum Schnittstellen zu OP-Robotern denkbar – solche Geräte gibt es schon heute, wenn auch ohne das Metaversum.
Ideen kommen auch von der Anästhesiologischen Klinik Erlangen. Studenten trainieren Behandlungssituationen und Notfallsituationen realitätsnah mit dem Tool i:medtasim. Damit werden virtuelle Realitäten Teil des Lehrplans der Ärzte von morgen: eine gute Vorbereitung auf das Metaverse.
Bleibt als Fazit: Ideen, um Studenten oder Ärzte an das Metaverse heranzuführen, gibt es viele. Nur fehlt eben die Systematik. Wer vor Ort an seiner Uni an Modellprojekten teilnehmen kann, hat gute Chancen. Von der systematischen Einführung solcher Themen in die Ausbildung ist Deutschland aber bisher meilenweit entfernt.
Bildquelle: Minh Pham, unsplash