Neue Daten zum angepassten Corona-Impfstoff enttäuschen. Kein Wunder, dass sich die STIKO erstmal gegen eine Ausweitung der aktuellen Impfempfehlung ausspricht.
Neue vorläufige Daten zum angepassten bivalenten BA.5-Booster gegen SARS-CoV-2 fallen ernüchternd aus: Laut einer Studie sei zwar eine deutlich verbesserte Neutralisation aller Varianten nach der 4. Impfung bzw. zweiter Auffrischimpfung erkennbar, aber kein signifikanter Vorteil gegenüber dem herkömmlichen monovalenten Wildtyp-Impfstoff. Die Ergebnisse lassen insgesamt zu wünschen übrig.
Forscher der Columbia University in New York untersuchten im Rahmen der Studie Seren von verschiedenen klinischen Kohorten. Die Teilnehmer erhielten entweder
Das Forscherteam untersuchte die Seren mithilfe eines Pseudovirus-Neutralisationstest auf die Neutralisierung gegen den SARS-CoV-2-Wildtyp, diversen Omikron-Subvarianten und verwandten Sarbecoviren.
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Insgesamt wiesen alle Gruppen den höchsten Neutralisierungstiter gegenüber der ursprünglichen Variante D614G auf. Dabei waren die Titer gegen die SARS-CoV-2-Varianten bei den geboosterten Seren am niedrigsten und bei den Durchbruchsinfektionen am höchsten. In Studien konnte bereits gezeigt werden, dass Durchbruchsinfektionen einen verstärkten Effekt auf die Immunantwort haben können (wir berichteten).
Das eigentlich Besondere: Es gab keinen signifikanten Unterschied bei der Neutralisierung der Varianten zwischen den Personen, die entweder mit dem monovalenten oder bivalenten Impfstoff geboostert wurden. Hingegen war der Titer gegen die drei verwandten Sarbecoviren – SARS-CoV, GD-Pangolin und WIV1 – bei denen, die den monovalenten Impfstoff als 4. Dosis erhielten, sogar signifikant höher als bei denen, die mit der bivalenten Dosis geimpft wurden.
Allerdings sind die Daten mit Vorsicht zu genießen: Einerseits ist die Gesamt-Kohorte mit 72 Probanden – die sich recht ungleichmäßig in vier Gruppen teilen – zu klein, um aussagekräftige Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen. Nicht nur die Gruppengröße ist uneinheitlich, sondern auch das Matching, was Alter, Geschlecht und Impfung angeht. Zudem erfolgte die Messung nur 4 Wochen nach Erhalt des Boosters. Längerfristige Daten, die die Neutralisierungstiter vergleichen, liegen somit nicht vor.
Mit überragenden Ergebnissen zum bivalenten Impfstoff BA.4/BA.5 hatten Forscher ohnehin nicht gerechnet. Bereits die Ergebnisse zum bivalenten Wuhan-Hu-1-Omikron/BA.1-Impfstoff von Moderna wiesen lediglich einen weniger als zweifachen Anstieg der neutralisierenden Antikörpertiter gegen die Omikron-Subvarianten BA.1, BA.4 und BA-5 im Vergleich zum ursprünglichen Impfstoff von Moderna auf. Beide Impfstoffe wurden in der klinischen Studie, deren Ergebnisse im New England Journal of Medicine publiziert wurde, als zweiter Booster verabreicht.
„Ein solch marginaler Vorteil gegenüber bestehenden Impfstoffen ist enttäuschend, wenn man hofft, dass Omikron-angepasste Impfstoffe die Übertragung wirksam blockieren“, schreiben Tang et al. in einem Kommentar zu den Ergebnissen, der im Lancet erschienen ist. Die Forscher merken aber auch an, dass sie in der kurzen Nachbeobachtungszeit von 29 Tagen spätere Vorteile von Omikron-angepassten Impfstoffen übersehen könnten.
„Wenn diese Personen, wie in der mRNA-1273.214-Studie, Omicron-BA.1-Antigenen ausgesetzt werden, würden neutralisierende Antikörper zunächst von Zellen sezerniert, die von bereits vorhandenen Wuhan-Hu-1-geschulten B-Zellen mit suboptimaler Affinität zu BA.1-Antigenen stammen.“ Man sieht also zunächst eine Boosterung der bereits existierenden Antikörper. Neue Klone, die BA.1-Antigene optimal binden, würden somit erst später messbar sein. Auch das Preprint zum bivalenten BA.4-/BA.5-Impfstoff umfasst lediglich einen Nachbeobachtungszeitraum von etwa vier Wochen – hier könnte das gleiche Prinzip zugrunde liegen.
Das heißt, die Omikron-Neutralisierung nach der Auffrischung beruhe laut Autoren darauf, dass die Probanden bereits an das ursprüngliche SARS-CoV-2-Virus adaptiert sind und es somit zu einer weniger effizienten bzw. verzögerten Affinitätsreifung der Antikörper gegenüber Omikron-Antigenen komme. Bis sich neue Klone nach dem Kontakt mit BA.4/BA.5 vermehren und es zur Affinitätsreifung kommt, könnte es länger als vier Wochen dauern. Daher könne auch eine längere Nachbeobachtungszeit einen größeren Unterschied in den Neutralisationstitern bei Personen ergeben, die entweder mit dem Omikron-angepassten Impfstoff geboostert wurden oder mit dem ursprünglichen Impfstoff.
Unterm Strich fehlen uns somit noch aussagekräftige Daten, ob sich eine zweite Auffrischimpfung mit einem Omikron-angepassten Impfstoff für alle lohnt. Das erklärt auch die Zurückhaltung der STIKO. Derzeit wird eine 4. Impfung, vorzugsweise mit einem der Omikron-adaptierten bivalenten mRNA-Impfstoffe, nur Menschen ab 60 Jahren, Bewohnern in Pflegeeinrichtungen oder Personen ab 5 Jahren mit erhöhtem Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf sowie medizinischem oder Pflegepersonal empfohlen.
Aktuell gebe es keinen Anlass zur Ausweitung dieser Impfempfehlung, sagte STIKO-Vorsitzender Thomas Mertens gegenüber der dpa. „Denn es zeigt sich, dass die Impfung keinen längerfristigen Schutz vor einer Corona-Infektion bietet, allerdings wohl vor einem schweren Verlauf“, so das Fazit des Virologen.
Bildquelle: Diana Polekhina, Unsplash