Diesen Sommer wurden die DFB-Damen Vize-Europameister – trotz Verletzung der Schlüsselspielerin Alexandra Popp. Wir haben mit Thomas Hauser, DFB-Leiter Medizin und Wissenschaft, über den sportmedizinischen Status quo gesprochen.
Nur wenige medizinische Fachbereiche haben in den vergangenen Jahren so eine Diversifizierung erfahren wie die Sportmedizin. Denn parallel zur Entwicklung der körperlichen Betätigungen – von Extrem- und Randsportarten bis zu gänzlich neuen Sportarten – muss auch die Medizin Schritt halten. Weit über den Tellerrand braucht man gar nicht zu schauen: Auch die Sportärzte im deutschen Fußball werden in ihren Diagnosen, Therapien und Forschungsansätzen immer differenzierter.
Die Spezialisten vom DFB haben eigens dazu einen medizinischen Campus eröffnet, der sich neuen sportmedizinischen Gebieten widmet und neben der eigenen Forschungstätigkeit den direkten Praxisbezug herstellt. „Das Medizinische Zentrum konzentriert sich auf die drei Kerngebiete medizinische und physiotherapeutische Betreuung unserer Nationalmannschaften, medizinische Forschung sowie die Kommunikation und den Transfer von medizinischen Erkenntnissen an Ärzt*innen im Profi- und Amateurfußball“, erklärt Thomas Hauser, DFB-Leiter Medizin und Wissenschaft, im Gespräch mit DocCheck News.
Im Rahmen der Forschung selbst setzen die Frankfurter einen klaren Fokus auf Probleme, die im laufenden Spiel auftreten können. Es geht um die Frage, wie hier akut, aber auch präventiv, unterstützt werden kann. „Unsere Forschungstätigkeit ist durch eine große Zahl an Kooperationen mit Universitäten geprägt, die unabhängig von uns die Themenfelder bearbeiten. Dabei beschäftigen wir uns u. a. mit der Prävention von Muskelverletzungen, der Bestimmung des biologischen Entwicklungsstandes, positionsspezifischer Ernährung oder dem Gesundheitsstatus von ehemaligen Profi-Fußballern“, so Hauser.
Intensive Sportarten können Schädel-Hirn-Traumata hervorrufen – das steht außer Frage (wir berichteten). Auch im Fußball scheint bei jungen Spielern insbesondere der Kopf in Gefahr zu sein. Der DFB setzt nach Studienerkenntnissen auf eine breite Palette an Präventionsmaßnahmen, um dem Nachwuchs bestmögliche Voraussetzungen zu bieten. Neben Ballgröße, Balldruck und möglichst wenigen Kopfballsituationen heißt das: frühzeitig die Nackenmuskulatur stärken und schon erste Symptome von Gehirnerschütterungen ernst nehmen.
Dass diese Problematik bei jungen Sportlern nicht ausschließlich im Profisport beheimatet ist, weiß auch Hauser, der einen weiteren zentralen Baustein der DFB-Medizin-Leitlinien nennt: „Zunächst verfolgen wir mit unseren Weiterbildungsangeboten das Ziel, alle Mediziner*innen, egal ob sie sich mit Profi- oder Amateurfußball beschäftigen, zusammen und in den Austausch zu bringen. Dadurch profitieren alle von der Expertise und praktischen Erfahrung des anderen. Derzeit legen wir viel Wert auf die Sensibilisierung und auf das Notfallmanagement beim plötzlichen Herztod sowie bei Kopfverletzungen. Dadurch versuchen wir sicherzustellen, dass alle Ärzt*innen, auch im Amateurbetrieb diese Prozesse sicher beherrschen und anwenden können.“
Neben den körperlichen Auswirkungen, die das Spiel, das Training und der gesamte Lebensstil mit sich bringen, sind seit einigen Jahren auch mentale Leiden bei Profisportlern zunehmen bekannt geworden. Der DFB hat daher einen klaren Mental-Health Fahrplan. „Mentale Gesundheit spielt im Rahmen der Nationalmannschaften eine wichtige Rolle. So wurde in den vergangenen Jahren der Stab der Junior*innen-Nationalmannschaften verstärkt mit Psycholog*innen besetzt, die sich u. a. mit dieser Thematik beschäftigen und die Spieler*innen beraten und coachen. Insofern ist dies beim DFB kein primär ärztlich besetztes Feld“, sagt Hauser.
Dabei sieht die mentale Unterstützung nicht ausschließlich eine Akutversorgung im spielfähigen Alter vor. Auch die Vorsorge und der Blick in die Zukunft sind dabei von Bedeutung, zumal aktuelle Studien besonders die Langzeitfolgen psychischer Belastung im Blick haben: Alkoholismus, Schlafstörungen und Depression.
Dass der DFB auch in diese Richtungen denkt und eigene Forschung in Zusammenarbeit mit Universitäten betreibt, dürfte aus sportmedizinischer Sicht auch für Amateure und andere Sportarten sinnvoll sein. Für Alex Popp und ihre Kollegen ist es erleichternd, zu wissen, wie viel Knowhow hinter ihnen steht. Dass sie trotzdem nicht von jetzt auf gleich „fitgespritzt“ werden konnte, mag an einem Mythos liegen, denn „grundsätzlich gibt es keine ‚Mittel‘ oder ‚Behandlungen‘, die nicht für alle Ärzt*innen zugänglich wären.“
Bildquelle: Jeffrey F Lin, unsplash