Sportbedingte Kopfverletzungen sind in Deutschland bisher kaum erforscht. Das liegt auch an der Angst, gewisse Sportarten könnten verboten werden. Eine aktuelle Studie beschäftigt sich mit den schwerwiegenden Folgen der Schädel-Hirn-Traumata.
Kopfballverbot im Fußball – eine Horrorvorstellung für viele begeisterte Sportfans. Eine Studie bestätigt: Kopfbälle führen durchaus zu Kopfverletzungen. Denn Fußballspieler köpfen nicht nur den Ball, oftmals stoßen sie dabei auch mit ihren Köpfen zusammen. Gehirnerschütterungen im Fußball sind zwar eher selten, aber die meisten davon gehen auf solche Kopf-an-Kopf Kollisionen zurück. Die Bedenken, dass diese wiederholten Zusammenstöße die Ursache für Verletzungen und kognitive Beeinträchtigungen sein könnten, führen zur Empfehlung, die Kopfbälle aus dem Fußballer-Repertoire zu streichen – oder zumindest eine Art Helm zu tragen.
Auch andere Sportarten sind von wiederholten Kopfverletzungen stark betroffen. Besonders im Kontaktsport sind Schädel-Hirn-Traumata und deren gravierende Folgen ein nicht zu unterschätzendes Problem (wir berichteten). Die Studienlage dazu ist – global gesehen – unausgeglichen. Während in den USA bereits seit Jahren qualitativ hochwertige und groß angelegte Studien zu sportbedingten Kopfverletzungen und Traumatischem Enzephalopathie Syndrom (TES) durchgeführt werden, tastet sich Deutschland gerade erst an das Thema ran.
Die Forschung in Deutschland tut sich schwer. Das hat diverse Gründe. Einerseits handelt es sich bei den am stärksten betroffenen Sportarten – wie etwa American Football oder Boxen – eher um Nischensportarten. Aber auch die geringe Aufklärung zu den schwerwiegenden Folgen wiederholter Schädel-Hirn-Traumata trägt dazu bei. „Oft scheitert es auch an der Bereitwilligkeit der Patienten“, erläutert Dr. Gérard N. Bischof von der Klinik für Nuklearmedizin der Uniklinik Köln im Interview mit der DocCheck News Redaktion. „Man möchte das Thema nicht ernst nehmen, weil Sport so ein großer Teil der Gesellschaft ist. Es gibt Bedenken von Fans und Sportlern, dass die Sportarten verboten werden könnten. Das ist natürlich nicht so.“ Bischof leitet ein Forschungsteam, das aktuell eine Studie zum Thema „Kopfverletzungen im Kontaktsportbereich und deren langfristige Konsequenzen“ an der Uniklinik Köln durchführt.
Dass nur wenige Sportler über ihre Erfahrungen mit wiederholten Kopfverletzungen und ihre Folgen sprechen wollen, sei nur eine der Herausforderungen für die Forschung. Auch die große Heterogenität des Krankheitsbildes würde Probleme bergen. Die Frage nach der „Norm“, mit der die Studienergebnisse verglichen werden sollen, beschäftigt auch das Forschungsteam um Dr. Bischof. „Mit wem vergleichen wir die Ergebnisse? Mit Menschen, die keinen Kontaktsport betreiben – oder mit Menschen, die ebenfalls Schädel-Hirn-Traumata erlitten, aber keine Symptome haben? Manche Menschen haben zwar eine Historie mit SHTs, aber kein Risiko ein Traumatisches Enzephalopathie Syndrom (TES) zu entwickeln“, erklärt der Studienleiter.
Die laufende Studie soll einerseits geeignete Probanden identifizieren, und andererseits durch qualitative Interviews klinische und kognitive Beeinträchtigungen dokumentieren. „Es gibt in Deutschland bisher kein Instrument, das die Folgen sportbedingter Schädel-Hirn-Traumata gut abbilden kann. Wir wollen mit unserer Studie eine verlässliche Datenbank aufbauen“, erklärt Bischof. In Zukunft sollen eventuell auch motorische Symptome der Probanden erfasst und erforscht werden, um ein ganzheitliches Bild zu dokumentieren.
Geeignete Probanden werden zur Historie ihrer Schädel-Hirn-Traumata befragt. Dabei liegt der Fokus auf der Identifizierung klinischer und kognitiver Beeinträchtigungen. So sollen Versuchspersonen identifiziert werden, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, ein Traumatisches Enzephalopathie Syndrom zu entwickeln. Eine Herausforderung ist hierbei die Komorbidität: PTBS, Suchterkrankungen, Angststörungen und Stimmungsschwankungen – sie alle gehen häufig mit eines TES einher und können ebenso kognitive Symptome auslösen. Die Differenzierung, welche Symptome direkt mit den wiederholten SHTs und welche mit den Begleiterkrankungen zusammenhängen, ist daher unumgänglich.
Bisher wurden in der noch laufenden Studie rund 270 Probanden befragt. Der überwiegende Anteil der Probanden ist männlich; das Durchschnittsalter beträgt 37 Jahre. Durchschnittlich betreiben die Probanden ihren jeweiligen Kontaktsport seit 14 Jahren. Große Diskrepanzen gab es bei der Repräsentation der einzelnen Sportarten. Während American Football mit über 50 % stark vertreten ist, sind die Teilnehmerzahlen aus anderen betroffenen Sportarten wie Rugby, Fußball oder Boxen sehr überschaubar.
„Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass es aus den USA bereits anerkannte Studien zu Football und TES gibt – da hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Für die anderen Sportarten ist die Aufklärung über das Krankheitsbild einfach zu gering“, erklärt Bischof. Die Diskussion rund um Fußball und einem Empfehlungsschreiben Helme zu tragen – die aus Kopfball-Studien hervorging – hat aber auch in Deutschland etwas bewegt. Als Reaktion darauf entstand das Concussion Center Rheinland, das Beratungen nach erlittenen Schädel-Hirn-Traumata anbietet. Auch die Sporthochschule Köln veröffentlicht Berichte zur Prävention und Rehabilitation von SHTs. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie die Datenerhebung gestalten sich allerdings weiterhin schwierig.
Quelle: Interview
Bildquelle: Hal Gatewood, unsplash