Das derzeit in Europa kursierende Affenpockenvirus weist mehr Mutationen auf als gedacht. Erhöht das sein Pandemie-Potenzial? Der Vergleich mit SARS-CoV-2 in unserem Check.
Seit der Corona-Pandemie sind Gesundheitsbehörden weltweit sensibler geworden, was das Auftreten neuer Krankheitserreger oder die ungewöhnliche Ausbreitung schon bekannter Keime angeht. Wohl deswegen griff die WHO bei den aktuellen Affenpocken-Ausbrüchen so zügig durch und verhängte die sogenannte „gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite“. Schnell war die Rede davon, dass sich die Affenpocken-Ausbrüche zur Pandemie in der Pandemie entwickeln würden. Warum das vermutlich aber nicht passieren wird, zeigt unser Viren-Vergleich.
Das Affenpockenvirus (engl. Monkeypox Virus (MPXV)) ist ein behülltes doppelsträngiges DNA-Virus. Und wie andere Pockenviren auch, ist es riesig groß: Das Genom bringt mit knapp 200 Kilobasenpaaren (kbp) einiges auf die Waage. Dagegen ist SARS-CoV-2 – ein behülltes einzelsträngiges RNA-Virus – geradezu lächerlich klein: Ein Viruspartikel hat nur rund 30 kbp an genetischem Material im Gepäck.
Schematischer Aufbau von SARS-CoV-2 und dem Affenpockenvirus
Die RNA und die zerbrechliche Hülle machen das Coronavirus ziemlich empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen. Das Affenpockenvirus kann im Vergleich dank seiner widerstandsfähigen DNA und des kräftigen Schutzmantels länger auf Oberflächen verweilen als SARS-CoV-2. Beide Viren können per Tröpfcheninfektion bzw. in Aerosolen übertragen werden – die hohe aerogene Übertragungsrate ist aber eine besondere Stärke des Coronavirus.
Eine weitere Superkraft von SARS-CoV-2 ist seine hohe Mutationsrate im Vergleich zum schwerfälligen Affenpockenvirus. Die durch Mutationen neu entstandenen Varianten können dem Immunsystem damit immer wieder aufs Neue entkommen. Derzeit treibt die Corona-Variante Omikron BA.5 ihr Unwesen, gegen die Corona-Impfstoffe der ersten Generation schon nicht mehr so gut wirken. Generell heißt es, dass RNA-Viren schneller als DNA-Viren mutieren, einzelsträngige Viren schneller als doppelsträngige Viren, und die Genomgröße scheinbar negativ mit der Mutationsrate korreliert.
Aber das Affenpockenvirus hat hier schon für Überraschungen gesorgt. Üblicherweise geht man bei Orthopoxviren von 1 bis 2 Genmutationen pro Jahr aus. Doch bei der molekularbiologischen Untersuchung der Viren, die den aktuellen Ausbrüchen zugrunde liegen, wurden rund 50 Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) gegenüber Daten aus den Jahren 2018/2019 festgestellt. Die Mutationen betreffen unter anderem das Oberflächen-Glykoprotein B21 des Virus, das für die Erkennung durch das Immunsystem relevant ist.
Aber haben die Mutationen auch funktionelle Auswirkungen auf das Virus? „Es ist durchaus möglich, dass die neu aufgetretenen ca. 50 Mutationen zumindest teilweise die Ausbreitung von Mensch zu Mensch begünstigen“, meint dazu Prof. Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. „Klar ist das aber noch nicht.“
Bis dato waren kleinere Ausbrüche von Affenpocken auf den afrikanischen Kontinent beschränkt und selbstlimitierend. Die plötzliche globale Ausbreitung hat deswegen Gesundheitsbehörden und Wissenschaftler völlig überrumpelt. Denn bei der Übertragung verhält sich das Affenpockenvirus genau so, wie man es schon von ihm kannte: nämlich über sehr nahen oder direkten Hautkontakt mit einem Infizierten oder über direkten Kontakt mit infektiösem Material. Über die Luft tut sich das Affenpockenvirus mit der Verbreitung dagegen schwer – an dieser Tatsache scheint sich bisher nichts geändert zu haben.
Neben den oben erwähnten neuen Mutationen, die möglicherweise zur leichteren Übertragung führen könnten, hat sich MPXV wahrscheinlich die dichten Netzwerke einer bestimmten Community zunutze gemacht, um sich effizient zu verbreiten. Denn obwohl das Virus über engen Kontakt jeden infizieren kann, handelt es sich bei den bisher Betroffenen fast ausschließlich um Männer, die über häufig wechselnde sexuelle Kontakte mit anderen Männern berichtet haben. Bis auf wenige Einzelfälle, die auf enge Haushaltskontakte zurückzuführen sind, hat es das Virus noch nicht geschafft, in die allgemeine Bevölkerung überzuspringen.
Übertragungswege von SARS-CoV-2 und Affenpockenviren
SARS-CoV-2 hat dagegen zwei entscheidende Vorteile. Erstens die bereits erwähnte Aerosoltransmission: Es braucht nur einen einzigen Superspreader in einem geschlossenen Raum, um alle anderen (immunnaiven) Personen darin zu infizieren. Und zweitens können Infizierte ansteckend sein, noch bevor sie Symptome zeigen. Eine asymptomatische Übertragung scheint bei Affenpocken glücklicherweise nicht der Fall zu sein.
Zu Beginn der Corona-Pandemie mussten rund 10 % der immunnaiven Erkrankten hospitalisiert werden. Interessanterweise liegt die Zahl bei Affenpocken ebenfalls bei rund 10 %, allerdings sind die Gründe für den Klinikaufenthalt andere: Während COVID-19-Patienten wegen respiratorischer Beschwerden wie Hypoxie aufgenommen werden, stellen sich Affenpocken-Erkrankte vor allem zur Schmerzbehandlung in der Klinik vor. Eine ausführliche Beschreibung der Affenpockensymptome haben wir euch in einem anderen Artikel zusammengestellt.
Auch die Risikogruppen unterscheiden sich. Zwar sind bei beiden Viruserkrankungen immunschwache und vorerkrankte Personen gefährdet, bei SARS-CoV-2 haben aber vor allem ältere Menschen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf und Tod. Affenpocken könnten nach derzeitigem Stand eher Kindern gefährlich werden – zumindest ist die Fallsterblichkeit in endemischen Ländern unter infizierten Kindern am höchsten (bis zu 11 %). Allerdings könne das laut RKI auch eine Überschätzung sein, da die Überwachung in endemischen Ländern begrenzt sei. Außerhalb Afrikas gab es bislang nur vereinzelte Fälle von infizierten Kindern; keiner davon verlief schwer.
„Das Affenpockenvirus benötigt für die Weitergabe einen sehr engen Kontakt mit infektiösem Material, wohingegen die Luftübertragung keine große Rolle spielt. Zudem gibt es Impfstoffe und Medikamente, die momentan jedoch nicht breit verfügbar sind“, meint Weber. „Ich rechne mit einer weiteren Ausbreitung des Virus, die jedoch nicht die Dimension erreichen wird, die wir von SARS-CoV-2 kennen.“
Das Pandemie-Potenzial von Affenpocken scheint also gering zu sein. Dennoch sollte das Virus nicht unterschätzt und das Bestmögliche zur Eindämmung der Ausbrüche getan werden. Ärzten kommt hier eine besondere Rolle zu: Nur durch Aufklärung gelingt es, Patienten für die Risiken zu sensibilisieren.
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Bildquelle: Attentie Attentie, unsplash