Ein Symptom-Chamäleon – so stellen sich die Affenpocken häufig dar. Deshalb ist die Blickdiagnose oft schwierig. Seht hier, worauf ihr achten müsst.
In Deutschland sind seit Mai über 3.000 Fälle von Affenpocken-Infektionen registriert worden; auch ein erster Fall bei einem 4-jährigen Kind wurde nun gemeldet. (Stand 10.8.2022). Das RKI geht davon aus, dass die Zahlen weiter steigen werden und mahnt Ärzte deswegen zur Wachsamkeit. Und das aus gutem Grund, denn die Diagnose kann ziemlich knifflig sein.
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In der bisher größten Fallserie, die im New England Journal of Medicine erschienen ist, haben Mediziner die Erkrankung nun anhand von 528 Infektionsfällen aus 16 Ländern charakterisiert. Sie zeigt, welche Symptome Ärzte auf dem Schirm haben sollten und was bisher zur Übertragung bekannt ist. Was ihr sonst noch zu Affenpocken wissen müsst, lest ihr hier.
In der Fallserie waren 98 % der Infizierten homo- oder bisexuelle Männer und beinahe alle Fälle (95 %) konnten mit sexuellem Kontakt in Verbindung gebracht werden. Das Durchschnittsalter betrug 38 Jahre.
Hauptübertragungswege scheinen dabei respiratorische Tröpfchen und naher oder direkter Kontakt mit Hautläsionen zu sein – sexueller Kontakt ist nicht zwingend nötig. Zwar lässt sich die Virus-DNA auch in Spermaproben von Infizierten nachweisen, ob aber Sperma oder Vaginalflüssigkeit bei der Übertragung eine Rolle spielt, ist bislang unklar. Von vorhandener DNA lässt sich nicht direkt auf ein replikationsfähiges und infektiöses Affenpockenvirus schließen. Andere Übertragungswege, wie etwa über kontaminierte Gegenstände, sind möglich, eine Übertragung über Aerosole ist laut aktuellem Wissenstand hingegen unwahrscheinlich.
Für 23 Personen in der Fallserie konnte ein chronologischer Ablauf von Exposition bis Symptombeginn ermittelt werden. Im Median vergingen dabei 7 Tage von der Exposition bis zum Auftreten erster Symptome (3 bis 20 Tage).
Zu den häufigen systemischen Symptomen in der Fallserie gehörten Fieber (62 %), Lethargie (41 %), Myalgie (31 %) und Kopfschmerzen (27 %) – diese Symptome gingen häufig Hautveränderungen voraus. Lymphadenopathie war ebenfalls häufig (56 %).
Symptomhäufigkeit bei Affenpocken-Infektionen nach Thornhill et al. Erstellt mit BioRender.com
Hautläsionen waren zwar bei 95 % der Infizierten vorhanden, ein einheitliches Bild ergab sich allerdings nicht. Die häufigsten Stellen waren der Anogenitalbereich (73 %), der Rumpf, die Arme oder Beine (55 %), das Gesicht (25 %) sowie die Handflächen und Fußsohlen (10 %). Die Anzahl der Läsionen variierte stark, wobei die meisten Personen weniger als 10 Läsionen aufwiesen. Die Forscher beschreiben in ihrer Fallserie zudem ein breites Spektrum dieser Hautläsionen, darunter makulöse, pustulöse, vesikuläre und verkrustete Läsionen. Teilweise traten sie gleichzeitig in mehreren Phasen auf.
Knifflig für behandelnde Ärzte: Insgesamt 54 Personen wiesen nur ein einziges Genitalulkus auf, was die Möglichkeit einer Fehldiagnose als andere sexuell übertragbare Krankheit deutlich macht. In der Fallserie wiesen immerhin 29 % der Infizierten eine begleitende Geschlechtskrankheit auf, darunter Gonorrhö, Chlamydien und Syphilis, die sich ähnlich äußern können. 41 % der Infizierten waren gleichzeitig mit HIV infiziert. Der sicherere Nachweis des Affenpockenvirus gelingt mit einem PCR-Test aus Abstrichproben von offenen Hautläsionen, Vesikelflüssigkeit, Krustenmaterial und Rachen.Hautveränderungen bei Affenpocken im Zeitverlauf. Quelle: Antinori A, 2022/Eurosurveillance
Insgesamt 70 Personen (13 %) mussten in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Die häufigsten Gründe dafür waren Schmerzbehandlungen (21 Personen), meist wegen starker anorektaler Schmerzen sowie Behandlung von Superinfektionen (18 Personen). Weitere Gründe waren eine schwere Pharyngitis (5 Personen), die Behandlung von Augenläsionen (2 Personen), akute Nierenverletzungen (2 Personen) und Myokarditis (2 Personen). Todesfälle sind in dieser Fallserie keine aufgetreten und bislang außerhalb Afrikas, wo Affenpocken endemisch sind, selten. Erst kürzlich berichteten Medien über zwei tödliche Verläufe bei Affenpocken-Inifzierten in Spanien sowie über einen Todesfall in Brasilien.
Die Infektion mit Affenpocken verläuft in den meisten Fällen mild. Wie das RKI schreibt, erholen sich die meisten Menschen innerhalb von mehreren Wochen. Die Hautveränderungen halten in der Regel zwischen zwei und vier Wochen an und heilen ohne Behandlung von selbst ab, wobei es allerdings zu Narbenbildung kommen kann. Die Therapie ist in erster Linie symptomatisch und unterstützend, wichtig ist das Verhindern bakterieller Superinfektionen. Zur symptomatischen Linderung der Hautläsionen wird etwa die topische Anwendung von Zink-Schüttelmixturen empfohlen.
In der Fallserie erhielten nur 5 % der 528 Personen eine Affenpocken-spezifische Behandlung: Dabei bekamen sie entweder intravenöses oder topisches Cidofovir (2 % der Personen) – was in Deutschland nicht frei verfügbar ist – oder Tecovirimat (2 %). Letzteres wurde erst kürzlich in der EU für die Behandlung von Orthopockenvirus-Infektionen zugelassen.
Der Ständige Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger am RKI (STAKOB) weist allerdings darauf hin, dass die Indikation streng gestellt und das Präparat primär Personen mit der Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs angeboten werden sollte, z.B. bei Vorliegen einer nicht (ausreichend) therapierten HIV-Infektion. Hintergrund sind Hinweise auf eine mögliche rasche Resistenzentwicklung.
Aktuell sei Tecovirimat für die Therapie einer Affenpocken-Infektion in Deutschland auch nur in begrenzter Menge verfügbar. „Sollte es aktuell zu einer Affenpocken-Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen schweren Krankheitsverlauf kommen, wird dringend geraten, mit dem regional zuständigen STAKOB-Behandlungszentrum Kontakt zur Beratung bezüglich einer möglichen Gabe von Tecovirimat aufzunehmen“, schreibt das RKI.
In der Fallstudie erhielten einige wenige Patienten (< 1 %) sogenannte humane Vaccinia-Immunglobuline. Diese werden aus dem gepoolten Blut von Personen hergestellt, die mit dem Pockenimpfstoff geimpft worden sind und sind als Therapie zur Behandlung von Komplikationen der klassischen Pockenimpfung zugelassen. Bei Affenpocken kann diese Therapie bei Kontraindikationen für Tecovirimat sowie fulminantem Verlauf erwogen werden.
Infizierte sollten sich isolieren, bis Schorf und Krusten vollständig abgeheilt oder abgefallen und keine neuen Läsionen aufgetreten sind, jedoch mindestens für 21 Tage.
Zum Schutz vor Infektionen empfiehlt die Ständige Impfkomission (STIKO) Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko eine Indikationsimpfung. Da beim Affenpockenvirus eine Kreuzimmunität mit dem Variola-Virus besteht, bietet sich als Prophylaxe die Pockenimpfung an. Frühere Daten aus Afrika deuten darauf hin, dass der Pockenimpfstoff bei der Vorbeugung von Affenpocken zu mindestens 85 % wirksam ist.
Zu Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko zählt die STIKO Personal in Speziallaboratorien mit gezielten Tätigkeiten mit infektiösen Orthopockenmaterial sowie Männer, die gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte mit wechselnden Partnern haben (MSM). Grund für letztere Empfehlung ist, dass die bisherigen Affenpockenfälle in Deutschland in der Mehrheit bei Männern in der MSM-Community aufgetreten seien und diese Gruppe deshalb besonders geschützt werden solle.
Auch eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) in Form einer Impfung ist möglich. Diese sollen Personen erhalten, die …
Die Impfung sollte bei Personen ab 18 Jahren möglichst früh innerhalb von zwei Wochen nach dem Risikokontakt erfolgen.
Der hierzulande eingesetzte Impfstoff Imvanex® von Bavaria Nordic ist ein Lebendimpfstoff, der das modifizierte Vacciniavirus Ankara (MVA) enthält. Da die Impfung aber keine im Menschen replikationsfähigen Viren enthält, ist auch der Einsatz bei immunsupprimierten Personen möglich. Immungeschwächte Personen (z. B. bei unbehandelter HIV-Infektion), die zuvor bereits gegen Pocken geimpft wurden, sollen zwei Auffrischimpfungen erhalten.
Die Autoren der Leitlinie warnen in ihrer Fallserie abschließend vor der Stigmatisierung schwuler Männer. Zwar breite sich die Krankheit unverhältnismäßig unter homo- oder bisexuellen Männern und MSM aus; die Infektion könne aber jeden treffen. „Wir mahnen zur Wachsamkeit bei der Untersuchung ungewöhnlicher akuter Hautausschläge bei allen Personen, insbesondere, wenn die Hautausschläge mit systemischen Symptomen einhergehen, um Fehldiagnosen bei heterosexuellen Personen zu vermeiden“, schreiben die Autoren. Es sei aber auch wichtig, die Risikogruppen zu benennen, um sie bestmöglichst zu schützen.
Bildquelle: id23, Unsplash