Toll gemacht, lieber Staat: Aus Lieferproblemen ist ein ausgewachsener Versorgungsengpass geworden. Wie wir in der Apotheke am besten mit dem Mangel an Paracetamol und Ibu umgehen.
Die Lieferengpässe – laut RKI-Definition eine über zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung der üblichen Auslieferung oder eine deutlich erhöhte Nachfrage, die das Angebot übersteigt – mehren sich in den vergangenen Wochen. Betroffen sind derzeit vor allem die kleinsten Patienten: die Kinder. Denn zurzeit sind Fiebersäfte mit Paracetamol oder Ibuprofen mehr als rar. Der größte verbliebene Hersteller, Ratiopharm, hat nun auch die Winterbevorratung ausgesetzt.
Über die Gründe für die Lieferengpässe habe ich schon häufiger berichtet, doch was können wir dagegen tun? Keine gute Idee ist es in meinen Augen, wenn die Apotheken nun versuchen, sich durch Flickschusterei in ein gutes Licht zu rücken. Mit der massenhaften Eigenherstellung von Fiebersäften in der Rezeptur beispielsweise werden wiederum neue Komplikationen geschaffen, die problematisch sind. Und zwar weitaus problematischer als einem Kind zu erklären, dass es vorerst entweder ein bitteres Pulver schlucken oder die Anwendung eines Zäpfchens ertragen muss.
Die ABDA hat bereits vor einiger Zeit ein Positionspapier zur Arzneimittelstrategie für Europa verfasst, in dem sie ganz klar geäußert hat, dass der Staat dringend eingreifen muss, um weiteren Lieferengpässen vorzubeugen. Als Ursache für die Lieferprobleme wurden folgende Punkte benannt:
Nun ist die Situation bei den paracetamol- und ibuprofenhaltigen Schmerzsäften bereits so weit eskaliert, dass es sich sogar um einen Versorgungsengpass handeln könnte. Ein Versorgungsengpass liegt laut RKI dann vor, wenn gleichwertige Alternativarzneimittel nicht zur Verfügung stehen.
In ihrem Positionspapier forderte die ABDA, dass Engpässe zentral erfasst und transparent kommuniziert werden. Der Lieferengpass bei Paracetamol war insofern ein Engpass mit Ansage, als dass man ja bereits seit dem Frühjahr wusste, dass eines der letzten verbliebenen Paracetamol-herstellenden Werke – 1-A-Pharma – geschlossen wurde. Trotzdem wurde im Grunde nicht reagiert. Und eine Liste für Lieferengpässe existiert bereits auf der Seite des BfArM, doch dort findet sich kein Paracetamol-Saft, weil es sich um ein nicht verschreibungspflichtiges OTC-Medikament handelt.
Diese Mangelverwaltung ist vor allen Dingen aus den Rabattverträgen der Krankenkassen erwachsen, mit denen sich zwar viel Geld einsparen lässt, das ist nicht zu leugnen, die aber auch auf Dauer genau diese Probleme zu Tage fördern. Der billigste Anbieter erhält den Zuschlag – wie der Preis allerdings zustande kommt, interessiert erst einmal niemanden. Doch das sollte es, denn der Markt wird immer ärmer an Lieferanten und Herstellern. Die Wirkstoffproduktion wird in Billiglohnländer verlagert und die Anbieter, die bei den Rabattverhandlungen leer ausgegangen sind, fahren ihre eigene Produktion auf ein Mindestmaß zurück.
Inzwischen ist es so weit, dass Indien und China über zwei Drittel aller Medikamente herstellen, die sich auf dem Markt befinden. Es ist unglaublich gefährlich, sich gerade auf diesem Sektor derart abhängig zu machen – siehe die derzeitige Gaskrise durch Abhängigkeit von Russland. Wer sich für das Thema interessiert, dem sei eine Studie aus dem Jahr 2020 ans Herz gelegt, die bislang leider nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Sie kommt im Wesentlichen zu dem Schluss, dass
Sollte uns das Angst machen? Ich denke ja. Das Thema ist in den vergangenen Tagen auch schon in der Laienpresse angekommen und auch die öffentlich-rechtlichen Sender haben versucht, ihr Scherflein beizutragen. Als wenig zielführend empfinde ich Beiträge, in denen erklärt wurde, dass die Apotheken auch „ganz einfach“ dazu in der Lage seien, entsprechende Säfte selbst herzustellen. Sicher ist es auf der einen Seite erfreulich, dass die Apotheke vor Ort hier als Retter in der Krise dargestellt wird, es wird aber die Kehrseite der Medaille verschwiegen. Zum einen ist es kaum möglich, an den Wirkstoff zu kommen. Der ist nämlich nicht verfügbar, genau wie bei der vergangenen Paracetamol-Krise zu Beginn der Coronazeit, als diese Zubereitungen ebenfalls schon rar waren. Zum anderen ist ein Saft aus der Apotheke erstens bei weitem nicht so wohlschmeckend wie der industriell gefertigte – das kann man gut aus den vielen Fragen herauslesen, die in den entsprechenden Fachforen zu finden sind, welches Geschmackskorrigens hier eingesetzt werden könnte – und zweitens ist er um ein Vielfaches teurer als das OTC-Produkt.
Was erschwerend hinzu kommt: Die massenhafte Produktion von Fiebersäften fegt den Rezepturmarkt leer an vielen Zusatzstoffen, die für notwendigere Rezepturen gebraucht würden. Hydroxyethylcellulose, die zur Herstellung von ibuprofenhaltigen Suspensionen als Verdickungsmittel benötigt wird, ist bereits ausverkauft, so dass auf Hypromellose und Carmellose-Natrium ausgewichen werden muss. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch diese beiden Hilfsstoffe vergriffen sind. Sie fehlen dann aber zur Herstellung von möglicherweise lebensrettenden Rezepturen. Die „Grundlage zur Herstellung für Suspensionen zum Einnehmen“ benötigt beispielsweise Hydroxyethylcellulose. Eltern mit einem Säugling, der Spironolacton oral einnehmen muss, haben vermutlich größere Probleme als diejenigen, die ihrem Kind nur erklären müssten, dass es nun eben ein Pulver, eine Tablette oder ein Zäpfchen nehmen muss. Die Herstellung eines Saftes für ein Kleinkind ist natürlich im begründeten Ausnahmefall möglich, das ist klar.
Blinder Aktionismus von Apotheken, die nun auf Vorrat Fiebersäfte herstellen, ist jedoch kontraproduktiv und kann für andere Patientengruppen sogar gefährlich werden. Nicht alles, was man tun kann, sollte man auch machen. Handeln muss jetzt vor allem die Politik, die sich das berechtigte Lamento der Pharmazeuten über die Lieferengpässe bereits seit Jahren geduldig anhört, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Frankreich holt sich derzeit unter anderem seine Paracetamol-Produktion ins eigene Land zurück. Ein Beispiel, dem wir folgen sollten!
Bildquelle: Enrico Mantegazza, unsplash