38 Grad und mehr: Wenn die Temperaturen so steigen wie derzeit, wird es nicht nur für die üblichen Risikogruppen gefährlich. Auch auf Schwangere kann sich Hitzestress negativ auswirken.
Die WHO definiert eine Fehlgeburt als den Verlust einer Schwangerschaft vom Beginn der Konzeption bis zur 24. SSW bzw. bei einem Gewicht des Fetus < 500 g. In 10–15 % aller klinischen Schwangerschaften kommt es zu einer Fehlgeburt, über 80 % ereignen sich im ersten Trimenon als Frühabort. Dabei könnte die Zahl weitaus höher liegen, da Schwangerschaften bereits sehr früh in Form einer verspäteten, verstärkten Regelblutung subklinisch abgehen können.
Embryonale und fetale Chromosomenaberrationen stellen die häufigste Ursache für einen Abort dar. Je früher sich eine Fehlgeburt ereignet, desto wahrscheinlicher ist die Ursache genetischer Art. Im ersten Trimenon geht man in 50 %, im zweiten Trimenon in 30 % der Fälle von einer genetischen Ursache aus. Ursächlich werden zudem mütterliche Faktoren, wie fortgeschrittenes Lebensalter, Stress, Nikotinabusus sowie erhöhter und erniedrigter BMI diskutiert. Die Wahrscheinlichkeit für ein Abortgeschehen nimmt mit der Anzahl der Ereignisse in der Lebensgeschichte zu. Nun steht ein möglicher neuer Risikofaktor im Fokus.
Eine aktuelle Studie unter Leitung von Forschern der Boston University School of Public Health hat ergeben, dass das Risiko für eine Fehlgeburt in den Sommermonaten steigt. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Epidemiology mit dem Ergebnis veröffentlicht, dass Schwangere in Nordamerika ein um 44 % höheres Risiko für einen Frühabort in den Sommer- gegenüber den Wintermonaten haben. Insbesondere im August war das Risiko für eine Fehlgeburt im ersten und auch zweiten Trimenon, was insgesamt ein eher seltenes Ereignis ist, um 31 % höher als im Februar. Auch geografisch gesehen waren die Abortraten im Süden und Mittleren Westen, wo die höchsten Temperaturen gemessen werden, im Sommer höher als in anderen Landesteilen.
Die Studie umfasst 6.104 Teilnehmerinnen, die Angaben zu soziodemografischen Daten, zum Lebensstil, zur medizinischen Vorgeschichte und zum Schwangerschaftsausgang machten.
Die Studienleiterin Dr. Amelia Wesselink fasst das Ergebnis zusammen: „Wir haben festgestellt, dass das Fehlgeburtenrisiko, insbesondere das Risiko einer frühen Fehlgeburt […] im Sommer am höchsten ist. Jetzt müssen wir das genauer untersuchen, um zu verstehen, welche Arten von Expositionen im Sommer häufiger vorkommen und welche dieser Expositionen das erhöhte Risiko einer Fehlgeburt erklären könnten.“ Bisher hätten nur wenige Studien den Zusammenhang zwischen Hitze und Fehlgeburtsrisiko untersucht, daher sei dies definitiv ein Thema, das weiter erforscht werden sollte.
Das Resümee der Forscher war eindeutig: Politische Entscheidungsträger, Klimaexperten und Kliniker sollten bereits jetzt schon Maßnahmen ergreifen, um potentielle Risiken im Zusammenhang mit der zunehmenden Hitzeexposition Schwangerer zu vermindern.
Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DPGM) Ende 2021 in Berlin wurde ebenfalls vor den negativen Folgen des Klimawandels auf die Schwangerschaftsverläufe gewarnt (wir berichteten).
Hitzestress zeichne sich besonders in der 2. Schwangerschaftshälfte ungünstig aus, so die Einschätzung von Prof. Ekkehard Schleußner, der sich als Leiter der Geburtsmedizin der Uniklinik Jena mit den Folgen der Klimaveränderungen beschäftigt. Beobachtungsstudien aus den USA zeigten, so Schleußner auf dem DPGM, dass das Risiko für fetale Wachstumsretardierungen mit dem Temperaturanstieg zunehme. Besonders die ungenügende Tag-Nacht-Absenkung in den sogenannten tropischen Nächten erhöhe zudem die Frühgeburtenrate und das Risiko für einen intrauterinen Fruchttod. „Auf Basis einer zeitlichen und räumlichen hoch aufgelösten Hitzeexpositionsanalyse lässt sich auch in Deutschland eine Erhöhung des Frühgeburtenrisikos nachweisen. Hitzestress ist stärker mit früher und extremer Frühgeburtlichkeit assoziiert“, meint der Experte.
Wesselink schließt sich dieser Beobachtung an und fordert: „Medizinische Leitlinien und öffentliche Gesundheitsbotschaften – einschließlich Hitzeaktionsplänen und Klimaanpassungsmaßnahmen – müssen die potentiellen Auswirkungen von Hitze auf die Gesundheit von Schwangeren und ihren Babys berücksichtigen.“
In den Jahren 2018–2020 war es ungewöhnlich warm in Deutschland. Spitzenreiter stellte der Sommer 2018 dar, dem zweitwärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881. Man geht anhand von zahlreichen Untersuchungen davon aus, dass weiterhin mit extremen Hitzeereignissen gerechnet werden muss. Die hitzebedingte Mortalität vulnerabler Gruppen wird steigen. Hitzeaktionspläne, Frühwarnsysteme und Maßnahmen gegen den Klimawandel sind berechtigte Forderungen an die Politik.
Karl Lauterbach twitterte kürzlich: „Wir müssen jetzt schon damit beginnen, ältere und kranke Menschen vor der Mega Hitzewelle zu schützen. [...] Diese Hitzewelle könnte viele Todesopfer bringen.“ Dabei dürfen auch die Schwangeren nicht vergessen werden.
Eine Hitzeexpositionsprophylaxe steht hier an oberster Stelle. Wichtig ist, das Problem im Praxisalltag anzusprechen und Lösungsvorschläge zu finden. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, luftige Kleidung, Klimaanlagen am Arbeits- und Schlafplatz, sowie die Vermeidung von direkter Sonneneinstrahlung in den Sommermonaten, sind erste Schritte. Ein großzügiges Beschäftigungsverbot bei Arbeiten im Freien kann hilfreich sein – damit es erst gar nicht zu einem ungünstigen Schwangerschaftsverlauf kommt.
„Die Klimakrise ist die größte Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert“, betont Dr. Eckart von Hirschhausen immer wieder in Interviews und bei seinen Klimaaktionen. Was an persönlichen Gegenmaßnahmen möglich ist, kann jeder für sich entscheiden.
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