Hitzestress kann sich negativ auf den Verlauf einer Schwangerschaft auswirken. Was Ärzte bei der Beratung beachten müssen.
Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) in Berlin war der Klimawandel, neben Corona, ein Schwerpunktthema. Klimaexperten, Geburtshelfer und Perinatologen waren sich einig: Der Klimawandel ist in allen Lebensbereichen angekommen und wir können nicht länger nur analysieren, sondern auch wir müssen etwas tun.
Der Klimaphysiker an der Humboldt Universität Berlin, Dr. Carl-Friedrich Schleußner, hat in der ZDF-Doku „Achtung, Essen! Fleisch“1 die Situation auf den Punkt gebracht: „Seit der Evolution der Spezies Homo sapiens waren die Treibhausgase, die Konzentrationen, nie so, wie sie heute sind. Wir schieben also die Erde aus einem System heraus, wo wir uns als Menschheit entwickelt haben. Und wir sägen damit in gewisser Weise an dem Ast, auf dem wir selber sitzen.“
Auch auf dem Berliner Kongress der DGPM kam er zu Wort: „Wir sind vollständig für den jetzt zu beobachtenden Klimawandel verantwortlich.“ Die CO2-Konzentrationen sind die höchsten seit 3 Millionen Jahren und wir haben die wärmste Periode seit 100.000 Jahren. Klimafolgen sind weltweit und in allen Systemen nachweisbar. Auch hätte es Extremereignisse, wie die verheerenden Wald- oder Buschbrände in Australien und Kalifornien, genauso wie die Flutkatastrophe im Ahrtal, ohne Klimawandel so nicht gegeben“, meint Schleußner. „Es ist kein natürliches Wetter mehr, wir machen das Wetter.“ Eine Folge ist – neben enormen ökonomischen Kosten – das Displacement-Problem. Im Jahr 2020 wurden 40 Millionen Menschen gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen, 3 von 4 aufgrund von wetterbedingten Naturkatastrophen.
Prof. Gerhard Trabert, Allgemein- und Notfallmediziner, schildert die Problematik klimainduzierter Gesundheitsfolgen und Migrationsbewegungen in seinem aktuellen Buch2 eindrücklich: „Die überwiegende Zahl der Menschen, die aktuell ihre Heimat verlassen, tun dies nicht, weil sie in Europa das Paradies erwarten, sondern weil in ihrer Heimat die Hölle herrscht. Sie flüchten vor Krieg und Bürgerkrieg, sie flüchten vor Umweltkatastrophen, vor zunehmenden Dürreperioden, sie flüchten vor existenziell bedrohlicher Armut und vor Zwangsheirat und Genitalverstümmelung.“
Um die Erderwärmung zu stoppen, müssen Nullemissionen erreicht werden. Dreh- und Angelpunkt ist das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens. Und genau hier beginnt auch die Einbeziehung des Gesundheitssystems:
„Luftverschmutzung als Folge der Nutzung von fossilen Energien ist eines der größten Gesundheitsrisiken. Die ‚Einsparung‘ im Sinne von Gesundheitsvorteilen sind mehr als 50 % höher als die globalen Kosten der 1,5-Grad-Transformation. […] Das, was wir jetzt noch können, ist, die schlimmsten Folgen der Klimakrise aufzuhalten“, so Schleußners Resümee.
Christian Schulz, habilitierter Anästhesist und Geschäftsführer von KLUG3 (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit) leitet am Klinikum rechts der Isar der TU München eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe zum Klimawandel. Ziel ist es, den ökologischen Fußabdruck der Medizin zu senken.
Bei seinem Vortrag in Berlin betonte auch er, dass die CO2-Emission einen der kritischsten Werte für die Gesundheit des Menschen darstellt. Durch den Klimawandel komme es zu ungewöhnlichen Hitzeperioden und Stürmen, die wiederum Dürre, Feuer und Überschwemmungen hervorrufen. Das zöge indirekte Gesundheitsfolgen nach sich. Die Zahl der Stechmücken nehme zu und man fürchte mehr Infektionen, die irgendwann auch hier wieder tropische Krankheiten auslösen könnten. Missernten führen zur Unterernährung, was bislang eher den globalen Süden betrifft. Erhöhter Pollenflug steigert die Allergiesymptomatik. Hitzeschäden und Dehydration belasten die Gesundheit weltweit, die Hautkrebsrate steigt. Der Klimawandel zeigt seine Auswirkungen in allen Bereichen der Medizin, da überall eine Erhöhung der Krankheitslast und damit eine Senkung der Lebenserwartung zu beobachten ist.
In epidemiologischen Studien4 mehren sich die Annahmen, dass eine Exposition von umweltrelevanten Schadstoffen auch bereits unterhalb der festgelegten Grenzwerte zu gesundheitsrelevanten Risiken führt. Eine besondere Bedeutung erhält dabei die intrauterine Entwicklung und alle daraus folgenden gesundheitlichen Prägungen des Kindes.
Relevante Umweltgifte wie Bisphenol, Benzophenon-3, Phthalate oder Parabene finden sich in ubiquitär in Kosmetika, Konservierungs- und Kunststoffen, Lebensmittelverpackungen und Kinderspielzeug. Ferner werden sie durch Abbauprodukte in Nahrung und Wasser aufgenommen. Daraus ergeben sich u. a. gesundheitliche Risiken des Ungeborenen in Form einer veränderten epigenetischen Prägung, gestörter Immunentwicklung, Prädispositionen für Allergien, Asthma und Adipositas. Umweltgifte können nachgewiesen werden im Blut, Urin, Plazentagewebe und der Amnionflüssigkeit. Fatal ist, dass für den Fetus bereits wesentlich geringere Konzentrationen dieser Umweltgifte zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung führen können als bei Erwachsenen.
Der Leiter der Geburtsmedizin der Uniklinik Jena, Prof. Ekkehard Schleußner, beschäftigt sich ebenso wie sein Sohn mit den Folgen des Klimawandels. Im Vordergrund seiner Forschung stehen Klimaveränderungen mit den Auswirkungen auf Schwangerschaft und Geburt. Hitzestress zeichne sich am deutlichsten in der 2. Schwangerschaftshälfte negativ aus, so seine Einschätzung auf dem DGPM-Kongress in Berlin. In den USA habe man in Beobachtungsstudien festgestellt: je stärker der Temperaturanstieg, desto deutlicher das Risiko für fetale Wachstumsretardierungen.
Auch sehe man einen deutlichen Anstieg der Frühgeburtenrate unter Hitzestress. Eine besondere Rolle spiele hierbei die ungenügende Tag-Nacht-Absenkung bei Zunahme der sogenannten tropischen Nächte. „Auf Basis einer zeitlich und räumlich hoch aufgelösten Hitzeexpositionsanalyse lässt sich auch in Deutschland eine Erhöhung des Frühgeburtenrisikos nachweisen. Hitzestress ist stärker mit früher und extremer Frühgeburtlichkeit assoziiert“, so Schleußner. Mit den geringer werdenden Tag-Nacht-Schwankungen steige auch das Risiko von Totgeburten.
Er plädiert für eine der Situation angepasste Beratung in der Schwangerenvorsorge, die ausreichende Flüssigkeitszufuhr und mögliche Hitzevermeidung beinhalte. Ein großzügiges Beschäftigungsverbot bei Arbeiten im Freien sei zu diskutieren.
„Die gesundheitlichen Auswirkungen der globalen Klimakrise auf die Gesundheit von Müttern und Kindern können nicht länger ignoriert werden“, wird die FIGO (Fèdèration Internationale de Gynècologie et d'Obstétrique) auf dem Kongress zitiert. Gefordert wird daher eine globale Reduzierung der Luftverschmutzung, der kontinuierliche Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und die Reduzierung toxischer Expositionen.
Es ist höchste Zeit für ein Umdenken und konkrete Verhaltensänderungen:
Nur gemeinsam schaffen wir das.
Quellen:
1. https://www.zdf.de/dokumentation/achtung-essen/achtung-essen-mit-verzicht-auf-fleisch-die-welt-retten-100.html
2. https://www.adeo-verlag.de/index.php?id=201&sku=835308
3. https://www.klimawandel-gesundheit.de/klug-hat-neuen-geschaeftsfuehrer-christian-schulz/
4. https://www.springermedizin.de/hygiene--und-umweltmedizin/schwangerschaft/maternale-schadstoffexposition-und-kindliche-intrauterine-entwic/18938148
Bildquelle: Jeremy Bezanger, unsplash