Was uns Tierärzten schon länger Bauchschmerzen macht: Immer mehr Kleintierkliniken geben ihren Klinikstatus ab. Wenn aber eine Uniklinik ihren Notdienst an den Nagel hängt, ist Panikmodus angesagt.
Die Notfallversorgung im Kleintiersektor kann schon länger nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden. Im vergangenen Jahr haben weitere Kleintierkliniken ihren Klinikstatus abgegeben und das, obwohl es bundesweit keine einzige Klinikneugründung gab. Wir befinden uns also in einer Negativbilanz, die sich wohl so schnell nicht mehr ändern lässt.
Die Notfallversorgung der Kleintiere scheint nicht nur gefährdet zu sein – sie ist es bereits. Bundesweit sind nur rund 80 Kleintierkliniken registriert. Neben der Tierärztekammer Brandenburg können auch die Tierärztekammern Bremen und Sachsen-Anhalt auf keine einzige Kleintierklinik mehr zurückgreifen. Die Versorgung von Notfällen außerhalb der üblichen Sprechzeiten muss in diesen Gebieten von den niedergelassenen Praxen und Tiernotdiensten gestemmt werden.
Trotz steigender Tierzahlen (ca. 34,7 Millionen Haustiere im Jahr 2021) kann die Notfallversorgung nicht mehr gedeckt werden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Neben einem personellen Mangel an Kollegen, die außerhalb der regulären Sprechstundenzeiten tierärztlich tätig sein möchten bzw. können, sind die physischen und psychischen Belastungen für den Einzelnen im Notdienst enorm.
Alle, die im Notdienst arbeiten oder gearbeitet haben, wissen, wovon ich spreche. Zur teils schlicht nicht mehr zu bewältigenden Menge an Tieren kommen immer mehr belastende Faktoren, die das Arbeiten in der Nacht sowie an Sonn- und Feiertagen nicht mehr attraktiv machen. Neben fehlender Zahlungsbereitschaft der Tierbesitzer steigt die Zahl der verbalen und körperlichen Übergriffe auf Klinikpersonal linear an. Wer sich dennoch dazu bereit erklärt, im Notdienst zu arbeiten, hat sich offensichtlich der Tiermedizin verschrieben und besitzt eine Elefantenhaut mit Teflonbeschichtung.
Die Gründe, weshalb wir uns jetzt in einem solchen Engpass befinden, sind komplex. Neben der Verantwortung der Tierbesitzer, nicht nur mit ernsthaften und lebensbedrohlichen Notfällen den Notdienst zu konsultieren, sind auch wir Tierärzte an dieser Misere schuld. Neben unwürdigen Dienstzeiten (deutlich mehr als 40 Arbeitsstunden pro Woche) ist die mehr als nur peinliche Entlohnung ein riesengroßes Problem. Die Gehälter angestellter Tierärzte sind flächendeckend (im Durchschnitt) immer noch weit unter den Empfehlungen des BaT (Bund angestellter Tierärzte) und das, obwohl diese Gehaltsempfehlung heutzutage nicht mehr als aktuell gesehen werden kann.
Parallel dazu ist es immer noch üblich, Internship-Stellen als Teilzeitstellen (z. B. 20 Arbeitsstunden pro Woche) auszuschreiben um dann die Interns dennoch Vollzeit zu beschäftigen. Dass die Abwanderungs- und Suizidrate von Kollegen steigt, dürfte bei diesen Bedingungen wohl niemanden mehr verwundern. Von einer steigenden Bereitschaft in der Nacht und an Wochenenden zu arbeiten, kann daher nur geträumt werden.
Welche abstrusen Auswüchse diese Problematik bereits annimmt, sieht man in der jüngsten Aussendung der Freien Universität Berlin. Die Notversorgung der Kleintierklinik der FU Berlin wird am 2. Juli eingestellt. Grund hierfür scheinen die personelle Situation, gepaart mit pandemiebedingten Krankheitsfällen und enormer Belastung der Angestellten zu sein. Tiere in Not können demnach nur noch werktags zwischen 8 und 20 Uhr vorstellig werden. Wer außerhalb dieser Zeiten (z. B. nachts oder am Wochenende) in eine medizinische Notlage gerät, muss sich anderweitig Hilfe suchen.
Die anfallenden Notfälle werden also den niedergelassenen Kollegen und den verbleibenden (wenigen) Tierkliniken in und um Berlin zu Lasten fallen – mit dem Resultat, dass auch diese früher oder später den Service deutlich einschränken werden.
Das Problem um die Notfallversorgung ist ja schon lange bekannt und Gegenstand etlicher Diskussionen. Mittlerweile gibt es unterschiedliche Lösungsvorschläge, wie man dem derzeitigen Kliniksterben entgegenwirken könnte. Neben dem Ausbau von sogenannten Notdienstringen steht auch eine Verpflichtung zur Absolvierung von Notdiensten praktizierender Tierärzte zur Debatte. Ob hier wirklich die Tierärzte und nicht doch lieber die Tierhalter in die Pflicht genommen werden sollten (z. B. in Form einer verpflichtenden Tierkrankenversicherung), möchte ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen.
Fakt ist, dass sich der Versorgungsengpass weiterhin zuspitzen wird. Das Arbeitsaufkommen für die verbleibenden Notdienststellen wird stetig steigen, während immer mehr Kliniken ihren 24-Stunden-Service aufgeben. Damit die verbleibenden Tierkliniken ihren Notdienst weiterhin aufrechterhalten können, müssen die Arbeitsbedingungen für die Angestellten deutlich verbessert werden, was wiederum zu steigenden Kosten und höheren Preisen führt. Das wiederum missfällt den zahlenden Tierbesitzern. Die ganze Situation ist natürlich noch viel komplexer. Dennoch können wir anhand dieser einzelnen Punkte schon sehen, dass wir uns in einer (vermeintlich) ausweglosen Situation befinden. Eine Besserung ist also nicht in Sicht.
PS: Die Groß- bzw. Nutztiermedizin kämpft mit denselben Problemen.
Bildquelle: Girl with red hat, unsplash