Kaum eine Tierarztpraxis bietet noch nächtliche Notdienste an, die wenigen Tierkliniken sind oft überfüllt. Über mögliche Lösungen für die Notdienst-Krise wurde beim bpt-Kongress diskutiert. Die DocCheck News waren für euch dabei.
Ein krampfender Hund beim Sonntagsspaziergang kann für die Besitzer schnell zur mentalen Zerreißprobe werden. Denn, um die Notfall-Versorgung unserer Haustiere steht es in Deutschland momentan schlecht. Wer nachts oder am Wochenende einen medizinischen Notfall mit seinem Haustier hat, der muss unter Umständen sehr weite Fahrten oder lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Und die Lage spitzt sich seit Jahren weiter zu. Über die Ursachen, aktuelle Maßnahmen und potentielle Lösungen wurde auf dem diesjährigen bpt-Kongress diskutiert. Die spannendsten Punkte der berufspolitischen Diskussionsrunde haben wir euch hier zusammengefasst.
Deutschlandweit sind momentan noch etwa 160 Kleintier- und Pferdekliniken gemeldet. Viele Einrichtungen mussten in den letzten Jahren ihre Klinikzulassung aufgrund von Überlastung, Personalmangel oder aus finanziellen Gründen abgeben. Sie scheinen besonders unter dem aktuellen Nachwuchsmangel zu leiden. Rund 10-15.000 offene Stellen gibt es zurzeit in Deutschland in der Tiermedizin. Das deutsche Arbeitszeitgesetz scheint zu unflexibel, gleichzeitig scheint die Bereitschaft, Notdienste zu leisten immer weiter zu sinken – bei Praxisinhabern und beim Nachwuchs. Mit einer Novellierung der GOT und der Einführung einer Notdienstpauschale letztes Jahr im Februar galt das Problem für den Bund als erledigt. Aber, hat das gereicht?
Es hilft zumindest, so der Tenor der praktischen Tierärzte in der Runde. Die neue Notdienstgebühr wurde von den Tierbesitzern wohl gut angenommen. Es gäbe wenige Beschwerden und ein regulierender Effekt auf die Patienten, bei denen es sich nicht um Notfälle handele, sei teilweise erkennbar. Auch wirtschaftlich habe die GOT-Anpassung und die Einführung der Gebühr für Erleichterung gesorgt, erzählt Tierärztin Eva Matthes, Leiterin einer Kleintierklinik. Die finanzielle Beteiligung der Mitarbeiter an den Einnahmen vom Notdienst konnte angehoben werden. Das Patientenaufkommen sei bei ihr in der Klinik aber unverändert hoch. Den Nachwuchs könne man ihrer Meinung nach außerdem nur bedingt mit höheren Gehältern für sich gewinnen. Neben fachlichen Anreizen und Möglichkeiten, OP-Techniken zu erlernen, seien auch die Arbeitszeiten wichtig für Bewerber.
Die fehlende Notdienstbereitschaft scheint also nicht nur finanzielle Gründe zu haben. Inwieweit hat aber jeder Tierarzt eine ethische Verpflichtung zum Ableisten eines regelmäßigen Notdienstes, fragt der Geschäftsführer des bpt (Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V.), Heiko Färber in die Runde. Die Tierärzteschaft ist sich einig: Generell sollte jeder Tierarzt bereit sein, eine medizinische Versorgung der von ihm behandelten Tierart auch abends und am Wochenende sicherzustellen. Der Umfang und die Bedingungen scheinen jedoch hier der Knackpunkt zu sein.
Bis vor einigen Jahren waren besonders große Praxen und Kliniken froh über jeden Patienten, der zu ihnen kam – denn Personal, Räumlichkeiten und die Ausstattung waren darauf ausgerichtet. In den letzten 1-2 Jahren kommen jedoch zunehmend zu viele Patienten auf zu wenig Tierkliniken. Abends und am Wochenende können die wenigen geöffneten Maximalversorger das Patientenaufkommen kaum stemmen. So langsam entsteht auch mehr Druck von außen. Immer mehr Tierhalter beschweren sich, dass sie im Notfall nicht wüssten, wohin mit ihrem Tier. Auch in den Medien wird das Problem jetzt häufiger aufgegriffen.
Er habe den Eindruck, es gäbe eine Art Domino-Effekt, erzählt Andreas Bulgrin, Vizepräsident der Tierärztekammer Nordrhein. Je mehr Kollegen keine Notdienste mehr anböten, desto weniger seien auch die übrigen Tierärzte gewillt, die Fahne noch hoch zu halten. Die Kammer in NRW strebt jetzt eine Gleichschaltung mit den anderen Kammern der Heilberufe an und möchte die Berufsordnung ändern. Eine Abstimmung der Kammerversammlung hierzu steht noch aus.
Eine Lösung, die in einzelnen Regionen von den dortigen Praxen organisiert wird, sind Notdienst-Ringe. Kleintierärztin Dr. Anette Gürtler engagiert sich seit Jahren, einen solchen funktionierenden Ring in der Umgebung von Regensburg aufzubauen. Bisher konnten so aber bestenfalls die Wochenenden abgedeckt werden. Bpt-Präsidiumsmitglied und Klinikinhaber Dr. Bodo Kröll erklärt in der Runde: „Mit Druck wird das nichts“. Die dortige Kammer sprach mit den Kollegen über Gründe für die fehlende Notdienstbereitschaft. Die Belastung im Tagesgeschäft seien im Vergleich zu früher deutlich gestiegen, auch die Gesellschaft habe sich gewandelt. Viele Tierärzte wollten nicht alleine nachts oder am Feiertag mit den Patientenbesitzern in der Praxis sein. Bedrohungen und Beschimpfungen hätten zugenommen. Fakt sei: „Notdienst ist eine psychische Belastung“.
Lösungsvorschläge und Alternativen wurden ebenfalls diskutiert. Die Telemedizin könne in Punkto Triage eine spürbare Entlastung für Diensthabende Kliniken bringen. Besitzer könnten von einem Tierarzt beruhigt werden, ihnen können die nächsten Schritte und Empfehlungen an die Hand gegeben werden und, wenn nötig, kann zur Fahrt in die Klinik geraten werden. Auch funktionierende Notdienstringe können Kliniken entlasten. In deren Wartezimmern stauen sich nämlich im Notdienst Patienten mit Verdauungsbeschwerden neben denen, die dringend eine Not-OP benötigen. Tierärztin Dr. Johanna Kersebohm erklärt: „Es ist für mich kein Problem, nachts um drei eine Zecke zu ziehen. Problematisch wird es aber schon, wenn nebenan ein Hund mit Magendrehung deshalb stirbt.“
Ein weiteres Lösungsmodell gibt es in Großbritannien: Externe tierärztliche Notdienst-Anbieter. Marketing Managerin Nicki Daw arbeitet für genau so einen, VetsNow. Generell wird der Patientenstrom in Großbritannien viel über Video-Sprechstunden reguliert, denn ein Besuch im Notdienst ist dort sehr teuer, erzählt sie. Muss ein Tier dann aber wirklich beim Tierarzt vorgestellt werden, so kann man es in die Tierklinik bringen, in der dann das Nacht-Team von VetsNow die Stellung hält.
Das Prinzip: Nachdem das Praxisteam in den Feierabend geht, übernimmt ein externes Nacht-Team den Notdienst. Auch Anrufe bei kleineren Praxen werden zu diesen Teams weitergeleitet und die Besitzer können zu ihnen in die Klinik kommen. VetsNow zahlt den Kliniken eine Miete für die Räumlichkeiten und Geräte, dafür kümmern sich die Nacht-Tierärzte um stationäre Patienten und Notfallpatienten. Am Abend und am Morgen finden dann Übergaben mit dem Tag-Team der Klinik statt. Aufgenommene Patienten können dann zur Weiterbehandlung auch an ihren Haustierarzt übergeben werden.
Die Nacht-Ärzte sind also eine Ergänzung, und keine Konkurrenz für die niedergelassenen Tierärzte. Das Arbeitsmodell hat es natürlich in sich. Die Tierärzte von VetsNow arbeiten ausschließlich nachts und an Feiertagen. Ihre vierzig Wochenstunden haben sie oft schon nach drei Schichten geleistet. Das geht, trotz Aufschlag beim Gehalt, körperlich an die Substanz.
Am Ende werden alle anwesenden Kongressteilnehmer zu den diskutierten Lösungsansätzen befragt. Rund 65 Prozent der Tierärzte halten einen zentralen bundesweiten Notruf für eine gute Idee. Dass ein Tierarzt per Video Notfälle sinnvoll vorfiltern kann, glauben 82 Prozent. Externe Nacht- bzw. Notdienstkliniken halten 93 Prozent der Teilnehmer für sinnvoll, bei einem solchen Anbieter arbeiten würde aber nur knapp die Hälfte der anwesenden Tierärzte. Welche Lösungen sich für das deutsche Notdienst-Dilemma eignen, wird sich wohl in den nächsten Jahren herausstellen müssen.
Bildquelle: Erik Karits, unsplash.