Tackling oder ein starker linker Haken – Kontaktsportarten sind prädestiniert für wiederholte Schädel-Hirn-Traumata. Das Gefährliche: Eine CTE fällt oft erst zu spät auf. Worauf ihr achten müsst.
Kontaktsportarten und Hirnverletzungen gehen oft Hand in Hand. Regelmäßige Schädel-Hirn-Traumata sind in Sportarten wie Rugby, Football, Boxen, Wrestling oder Eishockey keine Seltenheit. Diese zumeist heterogenen Verletzungen weisen ein weites Spektrum an Funktionsstörungen auf, die die neuronalen, muskuloskelettalen sowie verhaltensbezogenen Reaktionen der Patienten beeinflussen. Die wiederholten Kopfstöße können neurometabolische Störungen auslösen und langfristig zu neuronalen Beeinträchtigungen führen.1
Die chronische traumatische Enzephalopathie (CTE) ist eine Folge wiederholter Kopfstöße, die vor allem in Kontaktsportarten auf der Tagesordnung stehen. CTE ist eine Form der Tauopathie. Es handelt sich also um eine progressive, degenerative Erkrankung des Gehirns durch repetitive Schädel-Hirn-Traumata. Eine sichtbare pathologische Veränderung des Gehirns bei CTE ist die Reduktion des Gehirngewichts, die mit einer Atrophie des Temporal- und Frontallappens verbunden ist. Mikroskopisch sieht man einen Verlust von Neuronen und eine Ablagerung von Tau-Protein, in manchen Fällen auch von Beta-Amyloid.
Post-mortem-Untersuchungen führten zu einer 4-stufigen Klassifizierung der Krankheit, die mit den ermittelten Verhaltensauffälligkeiten in Korrelation stehen.
Eine US-Studie ergab nun, dass jedes weitere Jahr Eishockey spielen erheblich zur Wahrscheinlichkeit einer CTE-Diagnose beiträgt. „Frühere Studien haben gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Jahre, in denen jemand Football spielt, und der Wahrscheinlichkeit, später eine chronische traumatische Enzephalopathie zu entwickeln, gibt. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass dies auch für Eishockey gilt“, so Dr. Jesse Mez von der Boston University School of Medicine.3
Die Studie umfasste 74 Menschen (13–91 Jahre), die auf unterschiedlichem Niveau Eishockey spielten: 9 % spielten in der Jugend, 34 % in der High School, 30 % auf Junior- oder College-Niveau, 26 % spielten professionell und einer auf unbekanntem Niveau. Zusätzlich betrieben 46 % der Spender eine weitere Kontaktsportart. 40 Spender wurden mit CTE diagnostiziert – das entspricht 54 %. Dabei wurde eine Korrelation der gespielten Jahre und der Diagnose festgestellt. Mit jedem zusätzlichen Spieljahr stieg die Wahrscheinlichkeit, an einer CTE zu erkranken, um 23 %. Die Wahrscheinlichkeit, ein höheres CTE-Stadium zu erreichen, stieg um 15 %. Außerdem kam es zu einer Zunahme der kumulativen NFT-Belastung (Neurofibrilläre Tangles) um 0,03 SD. Die Ergebnisse der Spieler, die ausnahmslos Eishockey spielten, waren ähnlich. Damit bestätigten die Forscher, dass Eishockey das Risiko an einer CTE zu erkranken – ähnlich wie Football – signifikant beeinflusst.
CTE geht häufig mit neuropsychiatrischen Symptomen einher, die sich bis zu Selbsttötungsgedanken und suizidalem Verhalten steigern können. Der Zusammenhang zwischen wiederholten leichten traumatischen Hirnverletzungen und CTE ist mittlerweile klar. Dass die mit CTE verbundenen Langzeitfolgen bis zu Suizidalität reichen, ist hingegen weniger klar. Eine Studie der United States Sports Acadamy stellte nun diese Verbindung her. Auch wenn weitere Forschungsarbeit in diesem Bereich nötig ist, bestätigt die Arbeit: CTE-Symptome sind ein entscheidender Faktor für den Suizid einer alarmierenden Anzahl an NFL Spielern.
„Die Herausforderung besteht nicht mehr darin, CTE als eine Diagnose zu akzeptieren, die mit dem Suizid ehemaliger NFL-Spieler in Verbindung gebracht wird. Vielmehr besteht sie darin, die Symptome zu beschreiben, die bei den Sportlern in Kollisionssportarten auftreten, wenn sie vor ihrem Tod identischen wiederholten Kopftraumata ausgesetzt waren“, so die Forscher.
Die psychischen Folgen repetitiver Gehirnverletzungen und daraus folgende CTE sind noch wenig erforscht. Eine Fallstudie beschreibt zwei schwerwiegende Fälle psychischer Auswirkungen von CTE an einem Boxer und einem Eishockey-Spieler.
Ein 83-jähriger ehemaliger Profiboxer erlitt 40 Jahre nach Ende seiner Karriere seine erste schwere depressive Phase – diese endete in einem Suizidversuch. Ein CT-Scan zeigte eine diffuse, moderate kortikale und subkortikale Atrophie. Weitere Tests deuteten auf eine CTE, eine gemischte Demenz degenerativen und vaskulären Ursprungs sowie die Alzheimer-Krankheit hin. Eine zweite neuropsychologische Untersuchung bestätigte die schwere Beeinträchtigung des episodischen Gedächtnisses und der exekutiven Funktionen, während keine extrapyramidalen Anzeichen festgestellt wurden. Begleiterscheinungen waren Parkinsonismus, Aggression, depressive Phasen sowie Schlafstörungen.
Etwa 35 Jahre nach Karriereende zeigte ein ehemaliger professioneller Eishockey-Spieler zunehmend Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags und Defizite in den Bereichen Gedächtnis und Aufmerksamkeit/Konzentration. Eine neuropsychologische Untersuchung ergab schwere Beeinträchtigungen des anterograden, retrograden und visuell-räumlichen Gedächtnisses, der Orientierung sowie der exekutiven Funktionen. Ein MRT des Gehirns zeigte zudem eine diffuse kortikale und subkortikale Atrophie mit beidseitiger Hippocampus-Beteiligung und axonalen Verletzungen. Wenig später wurden emotionale Labilität, unkontrollierbare Ungeduld, Impulsivität, Reizbarkeit, depressive Symptome, Selbstgespräche und nächtliche Halluzinationen beobachtet. Trotz Medikation konnte der Zustand des Patienten nicht stabilisiert werden. Der Patient starb durch Suizid.
Diese Fallstudie hat relevante Einschränkungen: Das Fehlen einer histologischen Post-mortem-Untersuchung und die fehlende Verfügbarkeit von funktionellen Neuroimaging-Untersuchungen zur Vertiefung der Differentialdiagnose machen die CTE-Diagnose weniger konsistent.
Chronische traumatische Enzephalopathie ist eine äußerst heterogene Erkrankung mit weitläufigen Symptomen, Ursachen und Verläufen – und kann aktuell noch nicht an lebenden Gehirnen diagnostiziert werden. Deswegen wurde 2015 das Diagnostics, Imaging, and Genetics Network for the Objective Study and Evaluation of Chronic Traumatic Encephalopathy (DIAGNOSE CTE) Research Project ins Leben gerufen. Ziel des Projekts ist es, In-vivo-Biomarker für CTE zu etablieren, das klinische Erscheinungsbild zu charakterisieren, diagnostische Kriterien zu verfeinern sowie die Bereitstellung gemeinsamer Ressourcen, Daten und biologischer Proben für die Forschungsarbeit. Die Ergebnisse des DIAGNOSE-CTE-Forschungsprojekts sollen die Erkennung und Diagnose von CTE zu Lebzeiten erleichtern und damit die Forschung zu Risikofaktoren, Mechanismen, Epidemiologie, Behandlung und Prävention von CTE beschleunigen.
Bislang auf Post-mortem-Diagnosen limitiert, könnte durch Nuklearmedizin ein verlässliches Verfahren entwickelt werden, CTE bereits frühzeitig zu erkennen. „Das molekulare Neuroimaging von CTE mit Tau-PET ist ein interessantes, wenn auch noch nicht vollständig erforschtes Instrument für den In-vivo-Nachweis und die Überwachung von neuropathologischen Merkmalen, die mit CTE in Verbindung stehen“, so die Forscher.
Weitere Quellen:
1 https://www.ingentaconnect.com/content/ben/cmp/2022/00000015/00000001/art00005
2 http://www.bu.edu/cte/files/2009/10/McKee-2012-Spectrum-of-CTE1.pdf
3https://www.eurekalert.org/news-releases/944468
Bildquelle: Hermes Rivera, unsplash