Eine Studie legt Sildenafil als Prävention gegen Alzheimer nahe. Experten sind skeptisch, die Datenlage ist unklar – und auch, was man mit so einer Studie eigentlich macht.
Und wieder gibt es die Meldung: Medikament X könnte Alzheimer vorbeugen! Wieder gibt es Hoffnung und wieder stellen sich bei näherer Betrachtung noch viele Fragen. Diesmal geht es um Sildenafil, den Patienten besser bekannt als Viagra®. Zugelassen ist das Medikament bei Männern mit erektiler Dysfunktion und seit 2005 auch gegen pulmonal-arterielle Hypertonie.
Eine amerikanische Forschungsgruppe um Feixiong Chen vom Learner Research Institute in Ohio hat Sildenafil als mögliches Mittel zur Vorbeugung von Alzheimer ins Spiel gebracht. Sie fokussierten sich dabei auf zwei Merkmale: Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen. Mithilfe von Computermodellen suchten sie nach – für andere Indikationen zugelassenen – Medikamenten, die sowohl auf die Plaques als auch die Fibrillen eine Auswirkung haben könnten. Aus 66 möglichen Medikamenten schien Sildenafil der vielversprechendste Kandidat. In präklinischen Studien hatte es bereits Hinweise darauf gegeben, dass das Medikament die Plaque-Ansammlungen und Tau-Phosphorylierungen vermindert.
Im nächsten Schritt analysierten die Forscher die Versicherungsansprüche von über sieben Millionen Menschen mit und ohne Sildenafil-Behandlung. Den Daten zufolge senkt Sildenafil das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung um 69 Prozent. Ihre Erkenntnisse rundeten die Wissenschaftler mit Versuchen an pluripotenten Stammzellen von Menschen mit Alzheimer ab. Auch hier deuteten sich positive Effekte von Sildenafil an.
Dass ihre Studie keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Sildenafil und dem verringerten Alzheimer-Risiko zeigt, schreiben die Autoren selbst. Als Proof-of-Concept-Studie, wie existierende Medikamente mit geringerem Aufwand als mögliche Behandlungen identifiziert werden könnten, bewerten Experten die Arbeit gegenüber dem Science Media Center durchaus positiv. Weniger überzeugt zeigen sich viele von ihnen vom tatsächlichen Nutzen von Sildenafil als Alzheimer-Prävention.
Ein großer Kritikpunkt ist die Stichprobe: Da größtenteils Männer Sildenafil einnehmen, lässt sich wenig darüber sagen, wie das Medikament bei Frauen wirken würde – die wiederum häufiger von der Alzheimer-Demenz betroffen sind. Zwar untersuchten die Forscher auch Datensätze von einigen Frauen mit Lungenhochdruck, konnten hier aber keine so eindeutigen Aussagen treffen wie bei den Männern. Die Daten der Männer haben ebenfalls versteckte Tücken: Viele Alzheimer-Patienten verspüren bereits in einem frühen Stadium weniger sexuelle Lust, wodurch sie möglicherweise gar nicht mit Sildenafil behandelt werden. Zudem spielt der finanzielle Hintergrund eine Rolle, da eher reiche Menschen Sildenafil einnehmen, ein geringerer sozioökonomischer Status das Risiko für eine Alzheimer-Erkrankung aber erhöht. Auf diese Fallstricke weisen Chen und Kollegen in ihrer Publikation ebenfalls hin.
Trotz weiterer methodischer Einschränkungen – wie etwa, dass die Dosis bei den Zellexperimenten deutlich höher ist als bei Patienten verschrieben – sieht Dr. Jack Auty von der University of Tasmania die Studie mit einer gewissen Begeisterung. Doch auch er mahnt zur Vorsicht: „Im Feld der Alzheimer-Forschung haben uns schon viele Medikamente über die Jahre hin begeistert, nur damit unsere Hoffnung in klinischen Studien wieder zunichte gemacht wurde.“
Daraus ergibt sich die nächste Frage: Wie soll es nun weitergehen? Chen und seine Co-Autoren schlagen randomisierte, kontrollierte Studien vor, um einen direkten Zusammenhang zwischen Sildenafil und dem verminderten Alzheimer-Risiko nachzuweisen. Grundsätzlich eine logische Schlussfolgerung, ginge es nicht um Prävention. Wenn bereits Symptome einer Alzheimer-Demenz vorhanden sind, könnte das Medikament weniger wirksam sein, schätzt Dr. Catherine Hall, Senior Lecturer in Psychology an der University of Sussex.
Aber Menschen jahrelang mit Sildenafil zu behandeln, bevor sie Anzeichen der Krankheit zeigen, könnte andere Probleme verursachen. Das sieht auch Dr. Lutz Frölich, Leiter der Abteilung Gerontopsychiatrie des ZI Mannheim, so: „Gerade für Menschen mit kardiovaskulärer Vulnerabilität könnte ein Herz-Kreislauf-Medikament wie Sildenafil negative Auswirkungen haben.“ Auch die Gefahr von Fehleinnahmen sei nicht zu vernachlässigen, fügt Frölich hinzu.
Catherine Hall schlägt stattdessen vor, zu untersuchen, wie genau Sildenafil gegen Alzheimer schützen könnte. Zur Vorbeugung könne man dann auf Lebensstil-Veränderungen setzten, die das Risiko auf ähnliche Weise verringern.
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Bildquelle: Lanju Fotografie, Unsplash