Wir brauchen neue Antibiotika – das ist klar. Doch leichter gesagt als getan, denn gewinnen können wir das Rennen gegen die Resistenzentwicklung der Bakterien nicht. Also müssen wir sie in Schach halten, aber wie?
Sie sind die wichtigste Waffe gegen bakterielle Infektionen und regelrechte Wunderkugeln, wie sie Mediziner Paul Ehrlich einst nannte: Antibiotika. Umgekehrt haben Bakterien ausgeklügelte Tricks und Strategien, um der Wirkung von Antibiotika zu entkommen. Das macht den unbedachten Einsatz solcher Medikamente zur Gefahr, denn Resistenzen können die Folge sein. Mit der World Antimicrobial Awareness Week möchte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Problematik zunehmender Antibiotikaresistenzen aufmerksam machen.
Prof. Tanja Schneider und ihr Team vom Institut für pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn unterstützen die Aktion. Im Interview spricht Schneider über die Wichtigkeit, Antibiotika richtig einzusetzen und wie schwer es ist, neue Antibiotika zu finden.
Antibiotika sind nicht nur unsere wichtigste Waffe, um bakterielle Infektionen zu behandeln, sondern viel mehr. Ohne Antibiotika wäre die moderne Medizin, wie wir sie heute kennen, nicht möglich. Antibiotika schützen uns beispielsweise bei komplexen Operationen, Transplantationen oder Gelenkersatz und bei der Behandlung von Patienten, deren körpereigene Abwehr beeinträchtigt ist – zum Beispiel im Zuge einer Chemotherapie. Verlieren wir diese wichtigen Substanzen, verlieren wir auch wichtige Grundpfeiler der modernen Medizin.
Jeder kann dazu beitragen. Besonders wichtig ist es, Antibiotika mit Bedacht einzusetzen, denn jeder Einsatz kann die Entstehung von Resistenzen begünstigen. Antibiotika bekämpfen effektiv krankmachende Bakterien. Allerdings muss nicht gleich jede Infektion mit Antibiotika behandelt werden, häufig schafft unser Körper das auch alleine. Bei einigen Infektionen sind sie sogar nutzlos. So wirken Antibiotika nicht gegen Viren, die meist Auslöser von Erkältungskrankheiten oder grippalen Infekten sind. Im Zweifel kann der unnötige Einsatz von Antibiotika auch schaden, denn Antibiotika können auch nützliche Bakterien, die in unserem Körper wichtige Funktionen haben, angreifen.
Ist der Einsatz von Antibiotika erforderlich, sollten sie gezielt und strikt nach Verordnung eingenommen werden – wenn möglich nach Identifizierung des Erregers und Antibiogramm. Auch wenn man sich nach wenigen Tagen bereits besser fühlt, sollte die Behandlung immer bis zum Ende durchgeführt werden. Ein frühzeitiger Abbruch oder die unregelmäßige Einnahme können die Bildung resistenter Bakterien fördern. Muss eine Antibiotikatherapie aus triftigen, medizinischen Gründen abgebrochen werden, so dürfen übriggebliebene Tabletten nicht über Abfluss oder Toilette entsorgt werden. Denn auch in unserer Umwelt befinden sich überall Bakterien, die Resistenzen ausbilden können.
In der Vergangenheit wurden Antibiotika in der Tiermast als Wachstumsförderer eingesetzt, und auch heute sind in der industriellen Tierhaltung mehr Antibiotika im Einsatz als in der Humanmedizin. Gerade die Produktion von Billigfleisch bedeutet, dass Tiere massenhaft auf sehr engem Raum gehalten werden. Das ist so nur möglich, wenn Antibiotika zum Einsatz kommen. In der Praxis bedeutet das: Erkrankt ein einzelnes Tier, werden alle, auch eigentlich gesunde Tiere, vorsorglich mitbehandelt. So ist das Risiko groß, dass sich Resistenzen ausbilden. Besonders problematisch ist hierbei, dass auch Reserve-Antibiotika zum Einsatz kommen.
Im Januar 2022 tritt die vor zwei Jahren verabschiedete EU-Tierarzneimittelverordnung in Kraft, die den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung stärker regulieren soll. Das ist jedoch ein heißes Eisen – erst im September wurde im EU-Parlament darüber entschieden, ob bestimmte Antibiotika nur noch dem Menschen vorbehalten sein sollten. Aufgrund einer Unschärfe im zugrundeliegenden Gesetz hätte dies jedoch zur Folge gehabt, dass auch Haustiere mit diesen Substanzen nicht mehr hätten behandelt werden dürfen (mehr dazu hier). Hier muss ganz klar unterschieden werden, denn industrielle Tierhaltung darf nicht mit Tiermedizin gleichgesetzt werden! Auch Tieren müssen Antibiotika zur Verfügung stehen, um Therapien sicherstellen zu können.
Es ist leider nicht mehr so leicht wie es vor 60 bis 80 Jahren der Fall war, neue, gut wirksame Antibiotika zu finden. In diesem „Goldenen Zeitalter“ der Antibiotika wurden nahezu alle heute eingesetzten Antibiotika-Klassen entdeckt und damit auch die tiefhängenden Früchte, also die leichter zu findenden Antibiotika abgeerntet. Zwei Aspekte sind daher – neben vielen anderen – besonders relevant. Zum einen müssen wir versuchen, neue Quellen für Antibiotika zu erschließen. Das heißt, wir müssen zum Beispiel an ungewöhnlichen Orten wie der Tiefsee oder extremen Habitaten nach neuen Antibiotika-Produzenten suchen. Meist sind dies ebenfalls Bakterien oder auch Pilze. Ein besonders vielversprechender Ansatz ist außerdem, bislang nicht kultivierte Bakterien – und diese machen 99 Prozent aller Bakterien aus – im Labor zu kultivieren und sie auf ihre Fähigkeit, Antibiotika zu produzieren, zu untersuchen. Eine Möglichkeit hierfür ist der sogenannte iChip, mit dessen Hilfe zum Beispiel 2015 der Produzent eines neuartigen Antibiotikums mit dem Namen Teixobactin entdeckt wurde.
Es ist wie der Wettlauf zwischen Hase und Igel – Resistenzentwicklung gegen die Entwicklung neuer Antibiotika. Gewinnen können wir dieses Rennen vermutlich nicht, denn die Entstehung von Resistenzen ist eine ganz natürliche evolutionäre Konsequenz, wenn wir Antibiotika einsetzen. Wir sollten aber Schritt halten. Umso wichtiger ist es, die Forschung in diesem Bereich massiv zu stärken. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass vor allem die Grundlagenforschung das wichtige Rohmaterial für Innovation liefert.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
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