Steigende Fallzahlen, eine niedrige Impfquote und überfordertes medizinisches Personal: Die Situation in den Kliniken verschlimmert sich. Warum Deutschland trotzdem ganz gut dasteht – zumindest noch.
Der aktuelle Wochenbericht des RKI macht auf die ansteigenden Corona-Fallzahlen und eine mögliche Krisensituation auf den Intensivstationen aufmerksam. Seit September 2021 zeichnet sich wieder ein steigender Trend der 7-Tage-Inzidenzen in allen Altersgruppen ab. Die Fallzahlen sind deutlich höher als im Vorjahr.
Bei der gegenwärtigen Lage bestehe eine „zunehmende Wahrscheinlichkeit infektiöser Kontakte“. So rät das RKI, das vorhandene Impfangebot wahrzunehmen und „hierbei auf einen vollständigen Impfschutz zu achten“. Dabei verweist der Bericht auch auf das Angebot der Auffrischungsimpfungen.
Aktuell liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 139,2. Innerhalb eines Tages wurden dem RKI 24.668 neue SARS-CoV-2-Infektionen sowie 121 neue COVID-19-Todesfälle gemeldet. Insgesamt sind 21.503 (86,64 Prozent) von 24.819 Krankenhausbetten belegt. Hierbei handelt es sich um 1.808 COVID-19-Intensivpatienten, das entspricht etwa 8 Prozent der belegten Betten. Davon werden 928 bzw. 51 Prozent intensiv beatmet. Laut Angaben des RKI sind aktuell 66,6 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, das sind etwa 55,4 Millionen Personen. Insgesamt haben mindestens 69,3 Prozent eine oder mehrere Impfdosen erhalten.
Vor diesem Hintergrund appellieren die Experten des RKI an die Bevölkerung, dass „unabhängig vom Impf-, Genesenen- oder Teststatus“ das grundsätzliche Infektionsrisiko reduziert werden sollte. Alle Menschen sollten daher konsequent die AHA+L-Regeln einhalten, um insbesondere Super-Spreading-Events zu vermeiden. Auch bei leichten Symptomen empfiehlt das RKI – via Twitter-Thread – zu Hause zu bleiben und sich testen zu lassen, möglichst mit einem PCR-Test.
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In den Krankenhäusern wird die Lage langsam wieder eng. Dabei sind fast 90 Prozent der Hospitalisierungen auf Ungeimpfte zurückzuführen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) beschreibt die Lage als „kritische Situation der Pandemie“. DKG-Chef Gerald Gaß sagt dazu: „Wenn diese Entwicklung anhält, haben wir schon in zwei Wochen wieder 3.000 Patienten auf Intensivstationen.“
Auch Immunologe Prof. Carsten Watzl verweist in einem Tweet auf die Rolle der Durchbruchsinfektionen und Ungeimpften in der Pandemie: „Aktuell stecken sich die Ungeimpften viel häufiger an und haben auch deutlich mehr schwere Verläufe!“
Ein Intensivmediziner gibt über Twitter einen, wie er es nennt, „Realitätscheck“ zur aktuellen COVID-19-Situation in seiner Klinik.
Im weiteren Thread erklärt der Mediziner, dass „Ansteckungen als Zufallsereignisse mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten“ betrachtet werden können. Dabei verschiebe sich die Wahrscheinlichkeit immer zugunsten des Virus, da Saisonalität und die Delta-Variante sowie eine hohe Quote Ungeimpfter das „Würfeln“ beeinflusse. Die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung des Virus ist zudem von weiteren Faktoren wie dem vermehrten Aufhalten in Innenräumen, weniger Lüften und näherem Kontakt im Winter abhängig.
In einem weiteren Twitter-Thread teilt der Intensivmediziner eine Alltagssituation mit der Community.
Er beschreibt das Schicksal eines einzelnen Patienten: Ein harmloser Besuch beim Hausarzt wird schnell zur Einweisung ins Krankenhaus. Die Lage für den Mann, der noch nie in einer Klinik war, wird schlechter und endet in einer Vollnarkose mit Intubation. Die Ärzte müssen in solchen Situationen schnell handeln, nebenbei die Angehörigen benachrichtigen und informieren und dann zügig die nächsten Intensivpatienten behandeln.
Fälle wie diesen erlebe der Mediziner täglich; mal liefe es schlechter, mal besser. Gewöhnen könne er sich daran aber auch nach fast zwei Jahren Pandemie nicht, schreibt er.
Die Situation in osteuropäischen Staaten ist derzeit kritischer als hierzulande. Das liegt zum einen an der geringen Impfquote in den dortigen Ländern. Rumänien meldet etwa 13.785 neue Infektionen am Tag. Die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt dort bei 504,5. Die Impfquote liegt aktuell bei 31 Prozent im Land. Die Kliniken sind überlastet, so wie es im folgenden Video zu sehen ist. Die Aufnahme zeigt die Lage im Universitätskrankenhaus Bukarest, die das rumänische Investigativportal Recorder auf Youtube hochgeladen hat. Unter den Einstellungen lässt sich das Video auch mit englischen Untertiteln sehen.
Auch Russland hat die Lockdown-Maßnahmen aufgrund von steigenden Inzidenzen und COVID-19-Todesfällen sowie einer nur langsam wachsenden Impfquote verschärft. In Moskau gibt es schon teilweise Sperrungen, bei der nur wichtige Geschäfte wie Apotheken und Supermärkte geöffnet bleiben. Ab dem 30. Oktober sollen dann landesweite Schließungen folgen.
In Deutschland ist so eine kritische Situation jedoch nicht zu erwarten. Die Impfquote ist deutlich höher. Auch die Politik hatte sich bereits gegen einen erneuten Lockdown ausgesprochen (wir berichteten). Dennoch sollte die Lage in den Krankenhäusern nicht unterschätzt werden – und jeder dazu beitragen, dass die Situation für das medizinische Personal nicht noch schlimmer wird.
Bildquelle: Kelly Sikkema, unsplash