TEIL 1 | „Zitterezizin? Ja, haben wir da.“ In der Apotheke läuft Cetirizin unter vielen Namen. Was ihr über den Klassiker unter den Antihistaminika wissen solltet, lest ihr hier.
Zizizin, Cecerececin, Caesarin, Cäziritin, Zehnizin, Cerizitin, Zehntitiziehn, Zehnininin – Cetirizin hat viele Namen. Nur leider stimmen nicht alle. Aber keine Sorge: Wir in den Apotheken wissen immer, was gemeint ist. Na ja, meistens zumindest. Als mich jemand mal nach Eucerin fragte, obwohl er Cetirizin meinte, waren meine Gedanken überall, nur nicht bei Cetirizin.
Ich habe mittlerweile so viele verschiedene Varianten von Cetirizin gehört, dass ich daraus einen Tweet gemacht habe:
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Cetirizin ist ein Antihistaminikum. Ein H1-Antihistaminikum der 2. Generation, um genau zu sein. Das wiederum wirft neue Fragen auf. Was ist ein Antihistaminikum? Was hat es mit den Generationen auf sich? Und was bedeutet H1?
Ein Antihistaminikum ist eine Substanz, die anti – also gegen – Histamin ist. Sie ist so anti, dass sie extra an den Histaminrezeptor bindet, damit das Histamin nicht daran binden kann. Nett, oder? Das Histamin wiederum ist ein biogenes Amin, das durch die Decarboxylierung von Histidin entsteht.
Okay. Wie ihr seht, müssen wir tiefer in den Kaninchenbau hinuntersteigen, um auch wirklich alles zu verstehen. Ich hoffe, ihr habt ein bisschen Zeit mitgebracht. Bevor es also weitergeht, müssen wir zuerst klären, was ein biogenes Amin, was eine Decarboxylierung und was Histidin ist. Und ich bin mir sicher, dass auch das wieder neue Fragen aufwerfen wird. Aber wir wollen ja schließlich alles verstehen, oder?
Fangen wir mit dem Histidin an. Histidin ist eine Aminosäure. Aminosäuren sind chemische Verbindungen, die auf Kohlenstoff basieren und sowohl eine Amino- als auch eine Carboxygruppe (veraltet: Carboxylgruppe) besitzen. Verbinden sich mehrere Aminosäuren miteinander, entstehen Proteine.
Die Carboxygruppe ist die funktionelle Gruppe der Carbonsäuren: -COOH. Carbonsäuren werden aufgrund ihres Kohlenstoffgerüsts auch als organische Säuren bezeichnet. Die organische Chemie ist, im Gegensatz zur anorganischen Chemie, die Chemie der Kohlenstoffverbindungen. Das heißt, ihre Verbindungen enthalten mindestens ein Kohlenstoffatom (C-Atom).
Die organische Säure mit einem C-Atom wird Methansäure genannt. Besser ist sie allerdings unter dem Namen Ameisensäure bekannt. Dass sie in Ameisen vorkommt, erwähne ich nicht extra, aber dass sie auch in den Brennhaaren der Brennnesseln vorhanden ist, ist vielleicht eine interessante Info. Die organische Säure, die zwei C-Atome enthält, heißt Ethansäure und ist ebenfalls unter ihrem Trivialnamen besser bekannt: Essigsäure. Ich bin mir sicher, dass so gut wie jeder eine mit Wasser verdünnte Essigsäure zu Hause hat.
Bei einer organischen Säure wird das Wasserstoffatom der Carboxygruppe in einer wässrigen Lösung als Proton an das Wasser abgegeben. Ein normales Wasserstoffatom (H) besteht aus einem einfach positiv geladenen Atomkern, der aus einem Proton besteht, und einem sich außerhalb des Atomkerns befindlichen negativ geladenen Elektron. Die Ladungen gleichen sich also aus. Somit ist das Wasserstoffatom nach außen hin neutral. Wird das Proton des Wasserstoffatoms aus der Carboxylgruppe abgegeben, bleibt das Elektron zurück. Das Wasserstoffatom, ohne das negativ geladene Elektron, wird zum positiv geladenen Wasserstoffion, dem H+-Ion und meistens einfach nur als das bezeichnet, was es ist: ein Proton.
Das negativ geladene Elektron bleibt beim Sauerstoffatom zurück, welches nun eine negative Ladung trägt (-COO-) und sich freut, dass es ein Elektron mehr hat. Das Proton reagiert in der wässrigen Lösung mit dem Wasser (chemisch H2O), wobei H3O+-Ionen entstehen. Man bezeichnet diese auch als Oxoniumionen.
Reines Wasser hat einen pH-Wert von 7. Wir haben damit also eine neutrale Lösung, da darin genauso viele H3O+-Ionen wie OH--Ionen vorhanden sind. Bei einer Säure verschiebt sich das Gleichgewicht in Richtung der Oxoniumionen. Da nun mehr H3O+-Ionen als OH--Ionen vorhanden sind, sinkt der pH-Wert unter 7. Die Lösung wird sauer.
Ein Amin enthält eine basische funktionelle Gruppe, die Aminogruppe (–NH2). Das heißt, sie nimmt in einer wässrigen Lösung ein Proton vom Wasser (H2O) auf, wobei dann OH--Ionen in der wässrigen Lösung zurückbleiben. Man nennt sie Hydroxidionen (veraltet: Hydroxylionen). Die Konzentration an OH--Ionen ist folglich größer, als die an H3O+-Ionen. Damit ist die Lösung basisch und der pH-Wert größer als 7.
Aminosäuren enthalten sowohl eine Carboxy- als auch eine Aminogruppe. Sie sind dementsprechend beides, Säuren und Basen. Die Aminosäure Histidin wird durch das Enzym Histidindecarboxylase decarboxyliert, sie verliert in dieser Reaktion also ihre Carboxygruppe. Eine Aminosäure ohne Carboxygruppe wird zum Amin. Aus der Aminosäure Histidin entsteht dann das Amin namens Histamin. Aaah: Hist-amin.
Wie erwähnt, ist Histamin ein biogenes Amin. Das Adjektiv biogen bedeutet, dass das Amin im Stoffwechsel von Menschen, Tieren, Pflanzen oder Mikroorganismen entstanden ist. In unserem Organismus kommt Histamin in jedem Gewebe vor, die höchsten Konzentrationen findet man jedoch in der Lunge, der Haut und im Magen-Darm-Trakt.
Um freigesetzt zu werden, gibt es drei Möglichkeiten.
Man verletzt sich und es kommt dadurch zur Zerstörung der Zellen, in denen das Histamin gespeichert vorliegt.
Man bekommt einen Histaminliberator verabreicht. Das ist eine Substanz, die in der Lage ist, Histamin freizusetzen. Ein Beispiel für einen Histaminliberator wäre Morphin. Durch das freigesetzte Histamin bekommen zwischen ein und zehn Prozent der Patienten einen Juckreiz der Haut oder sogar eine Nesselsucht (Urtikaria), die nicht nur mit Juckreiz und Hautrötung einhergeht, sondern auch mit Quaddelbildung. Quaddeln kommen dadurch zustande, dass durch die Histaminausschüttung die Durchlässigkeit der Blutgefäße der Haut erhöht wird und es so zu einer Wassereinlagerung in der Dermis kommt. Und die Dinger jucken dann auch noch. Später mehr dazu.
Auch iodhaltige Röntgenkontrastmittel können Histamin freisetzten und zu Hautrötungen, Juckreiz und Quaddelbildung führen, in seltenen Fällen auch zu einem lebensbedrohlichen Schock.
Die wichtigste und häufigste Art, wie Histamin freigesetzt wird, ist die IgE-vermittelte Allergie, auch Typ-1-Allergie, Soforttyp oder anaphylaktischer Typ genannt. Beispiele wären Hausstaubmilbenallergie, Nahrungsmittelallergie (z. B. Erdnüsse) und die pollenbedingte allergische Rhinitis, besser bekannt als Heuschnupfen.
Bei diesen Allergien wird das Histamin zusammen mit anderen Entzündungsmediatoren IgE-vermittelt von den Mastzellen freigesetzt, was dann zu Entzündungen der Haut, Schleimhaut oder eben sogar zu einer systemischen Entzündung führen kann.
Bei einer Typ-1-Reaktion bekommt man den Erstkontakt mit dem Allergen (Antigen) nicht mit, man bleibt symptomfrei. Die Antigene binden an die B-Lymphozyten. Durch die Bindung werden sie dann aktiviert. Sie entwickeln sich dadurch weiter zu Plasmablasten, die sich dann wiederum zu Plasmazellen ausbilden. Plasmazellen können sich im Gegensatz zu den Plasmablasten nicht mehr teilen. Aber sowohl die Plasmablasten als auch die Plasmazellen setzen die für das spezielle Antigen spezifischen Antikörper frei.
Die IgE-Antikörper setzen sich zum Beispiel an der Oberfläche der Mastzellen fest, die überall im Körper vorkommen. Am meisten findet man von ihnen allerdings in den Schleimhäuten.
Beim erneuten Kontakt mit dem Allergen kommt es zur Kreuzvernetzung. Dabei bindet ein Antigen an zwei IgE-Antikörper, die sich auf je einer Mastzelle befinden. Dadurch werden diese miteinander vernetzt und angeregt, was zur Folge hat, dass sie unter anderem Histamin freisetzen. Das Histamin bindet dann an die sich in der Nähe befindlichen Histaminrezeptoren und löst daraufhin sofort eine Reaktion aus.
Am häufigsten kommt diese Typ-1-Reaktion beim Heuschnupfen vor. Die häufigsten Auslöser sind Birken- Hasel- oder Erlenpollen. Da diese Bäume hauptsächlich im Frühjahr blühen, kommen dann natürlich auch die meisten Allergiker in die Apotheke, um sich Cetirizin oder andere Antiallergika zu kaufen.
Wer an einer solchen Allergie leidet und meint, sie nicht behandeln zu müssen, da das ja alles gar nicht so schlimm sei, könnte das später unter Umständen bereuen. Möglich wäre nämlich, dass sich daraus ein sogenannter Etagenwechsel vollzieht. Das bedeutet, dass die allergiebedingte Entzündung dann von den oberen Atemwegen nach unten in die Bronchien wandert, wodurch sich ein allergisches Asthma ausbildet.
Um den Etagenwechsel und damit das allergische Asthma zu vermeiden, sollte man versuchen, den Allergenen aus dem Weg zu gehen. Da das in den meisten Fällen natürlich nicht möglich ist, sollte eine Hyposensibilisierung durchgeführt werden.
Bildquelle: Hakuna Matata, Unsplash