Sollten Kinder und Teens gegen COVID-19 geimpft werden? Angeheizt wird die Diskussion nun durch neue Fälle von Myokarditis nach der Biontech-Impfung bei jungen Männern.
Am Montag hatte die EU-Kommission den SARS-CoV-2-Impfstoff von Biontech (Comirnaty®) für Kinder ab 12 Jahren zugelassen. Sie folgte damit der EMA-Beurteilung von letztem Freitag, nach der die Anwendung für Kinder sicher sei. Grundlage war die Prüfung durch den zuständigen Expertenausschuss der EMA. Jens Spahn freute es: Er hatte die Empfehlung der EMA am Freitag als „großartige Nachricht“ begrüßt. Und Bund und Länder entschieden letzte Woche, die Impfpriorisierung ab dem 7. Juni aufzuheben – auch für Kinder ab 12 Jahren ist es dann möglich, einen Impftermin zu vereinbaren.
Daran will auch niemand rütteln, aber dennoch bleibt die Kinderimpfung umstritten. Die STIKO hat bereits indirekt angekündigt, keine generelle Empfehlung geben zu wollen. Noch sei die Datenlage laut STIKO-Chef Thomas Mertens unbefriedigend, denn man wisse nach wie vor nicht, wie gefährdet Kinder bei einer SARS-CoV-2-Infektion tatsächlich sind. Ein echter Widerspruch zum Bestreben Jens Spahns ist das allerdings nicht.
Zwischen dem Verfügbarmachens des Impfstoffs für Kinder und der Nicht-Empfehlung der STIKO steht im Zweifel der behandelnde Arzt. Er muss eine individuelle Impfentscheidung mit individueller Risikoabschätzung treffen, und da spielt das Thema Patientenwunsch/Elternwunsch zwangsläufig mit rein. Wenn Eltern ihre Kinder impfen möchten, haben sie nun in jedem Fall die Möglichkeit dazu.
Auch Karl Lauterbach ist bekennender Fan von Corona-Impfungen von Kindern und Jugendlichen. Zwar brauche man sie „nicht für die Herdenimmunität“, aber zum eigenen Schutz sollte man Kinder trotzdem impfen, erklärt er auf Twitter. Zudem gab er in den letzten Tagen bei einer ganzen Reihe von Anlässen zum Besten, dass Schulöffnungen im Herbst seiner Auffassung nach Impfungen erfordern könnten.
Das hat erheblichen Gegenwind in der medizinischen Fachwelt produziert. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), die einen Großteil der impfenden Ärzte repräsentiert, hält in einem Positionspapier fest: „Gesunde Kinder und Jugendliche haben nach bisher vorliegenden Studiendaten ein minimales Risiko für schwere Verläufe durch Erkrankungen mit SARS-CoV-2. Selbst bei Vorerkrankungen ist das Risiko extrem niedrig.“ Zum Nutzen einer Impfung gebe es bisher keine validen Daten, schwere Impf-Nebenwirkungen seien aber wesentlich häufiger als bei Erwachsenen, heißt es in dem Papier.
Eher von der politischen Seite kommt nun eine weitere und in dieser Art ziemlich beispiellose Stellungnahme, die am Dienstag veröffentlicht wurde. In ihr stellen sich 27 Fachgesellschaften, darunter DGIM, DIVI, DGK, DGN, DGKJ, DGKH, DGAI und DGAV sowie die AWMF explizit hinter die STIKO und warnen vor politischer Einflussnahme, konkret:
„Die STIKO-Mitglieder bringen eine vielfältige klinische und wissenschaftliche Expertise mit und müssen weiter unabhängig und objektiv agieren können. Der aktuelle Anlass der Vorbereitung einer Impfstrategie für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahre zeigt exemplarisch, dass ein solches, der Wissenschaft und Evidenz verpflichtetes Expertengremium dringend notwendig ist.“
Dahingehend dürften neue Daten aus Israel die Diskussion weiter anheizen. Schon im April berichteten wir über eine auffällige Häufung von Myokarditis-Fällen nach Comirnaty®-Impfungen in Israel sowie über diverse Fallberichte einzelner Institutionen in Nahost und auch in den USA. Die damals initiierte Untersuchung in Israel ist jetzt abgeschlossen. Wie Science berichtet, traten insgesamt 110 Fälle von Myokarditis unter 5 Million Geimpften auf – eigentlich kein besorgniserregender Trend, die Hintergrundinzidenz wird auf etwa 4-6:100.000 geschätzt. Doch fast 90 % davon waren junge Männer, wobei das Problem in der Regel nach der zweiten Impfung auftrat.
Der Bericht, der dem israelischen Gesundheitsministerium vorliegt, zeige, dass einer von 3.000 bis einer von 6.000 Männern im Alter von 16 bis 24 Jahren, die Comirnaty erhielten, eine (klinische) Myokarditis entwickelte. Das entspräche in diesen Altersklassen dem Fünf- bis Fünfundzwanzigfachen der Hintergrundinzidenz, wobei die Hintergrundinzidenz der Myokarditis, und zumal die altersbezogene Hintergrundinzidenz, keine sehr zuverlässig bekannte Größe ist. Solche Aussagen sind daher mit etwas Vorsicht zu sehen.
In jedem Fall waren die meisten Erkrankungen mild und klangen innerhalb weniger Wochen ab. Von zwei Todesfällen im Zusammenhang mit Myokarditis ist in dem Bericht die Rede. Allerdings hätten die Ursachen dieser Todesfälle in den Untersuchungen nicht abschließend geklärt werden können, heißt es. Möglicherweise haben sie also andere Ursachen.
Auch in den USA werden derzeit 14 Fälle einer Myokarditis nach der Corminarty®-Impfung untersucht. Die für die Sicherheit von COVID-19-Impfstoffen zuständige Arbeitsgruppe VaST (COVID-19 Vaccine Safety Technical) kommt nach Prüfung erster Daten zu folgenden Schlüssen: Myokarditiden scheinen nach aktuellen Erkenntnissen vor allem bei
aufzutreten.
Um das Problem mit den möglichen Nebenwirkungen bei jungen Menschen zu lösen, erwägt Israel Medienberichte zufolge, Jugendlichen nur eine einzige Dosis von Corminaty zu verabreichen. Denkbar wäre auch, eine Studie mit niedrigeren Dosen durchzuführen oder den Impfabstand zu verlängern.
Bildquelle: Allen Taylor, unsplash