Leopoldina, Krankenhäuser, Politik: Stimmen für einen harten Corona-Lockdown mehren sich überall. Die Forderungen im Detail.
Bund und Länder hatten einen Plan, der aus Sicht vieler Experten von Anfang an als problematisch einzustufen war: Ein Teil-Lockdown (der bis zum 10. Januar verlängert wurde), unterbrochen von Lockerungen über Weihnachten und den Jahreswechsel als Belohnung. Wie es momentan aussieht, wird der Plan wohl nicht aufgehen: Medienberichten zufolge wird Sachsen ab 14.12. in den harten Lockdown gehen. Gut möglich also, dass weitere Bundesländer diesen Schritt gehen werden.
In Deutschlands Intensivstationen spitzt sich die Lage zu. „Wir haben heute 40 Prozent mehr Intensivpatienten als im Frühjahr, und anders als im Frühjahr ist dies keine kurzzeitige Situation, sondern schon seit Wochen so, ohne dass wir ein Ende erkennen können“, wird der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß im Handelsblatt zitiert. Da der Appell der Bundesregierung, private Kontakte einzuschränken, anscheinend von vielen Menschen nicht ernstgenommen werde, spricht er sich in Gebieten mit sehr hoher Inzidenz für Verschärfungen der Corona-Maßnahmen aus.
Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften hat heute (8.12.2020) ein Ad-hoc-Statement veröffentlicht (nachzulesen auf dem Portal oder hier). Der Titel lautet: Coronavirus-Pandemie: „Die Feiertage und den Jahreswechsel für einen harten Lockdown nutzen (2020)“.
Die Leopoldina schlägt hier ein zweistufiges Vorgehen vor, Maßnahmen sollen demnach in zwei zeitlichen Etappen erfolgen. Hier die Schlüsselpassage aus dem Papier.
„Ab dem 14. Dezember 2020 sollte gelten:
Ab dem 24. Dezember 2020 bis mindestens zum 10. Januar 2021 sollte in ganz Deutschland das öffentliche Leben weitgehend ruhen, d. h. ein verschärfter Lockdown eingeführt werden. Hierfür sollten zusätzlich:
Mit Blick auf andere Länder empfiehlt die Leopoldina also schnell eingesetzte und strenge Maßnahmen. So habe dieses Vorgehen in Irland erheblich dazu beigetragen, die Infektionszahlen dauerhaft zu senken. Es gehe in erster Linie darum, Kontrolle über die Situation zurückzuerlangen. Auch aus wirtschaftlicher Sicht sei dieser Schritt zu befürworten, denn: „Zwar erhöhen sich durch einen harten Lockdown kurzfristig die Wertschöpfungsverluste, aber zugleich verkürzt sich der Zeitraum, bis die Neuinfektionen so weit gesunken sind, dass Lockerungen möglich sind“, so die Begründung.
Auch in der Politik werden viele langsam unruhig. Kanzlerin Angela Merkel fordert strengere Corona-Maßnahmen, auch Gesundheitsminister Jens Spahn denkt darüber nach. „Der Ansatz, kurz und umfassender, um wirklich einen Unterschied zu machen, ist wahrscheinlich der erfolgreichere. Wenn wir nicht hinkommen mit der Entwicklung der nächsten ein, zwei Wochen bis Weihnachten, dann müssen wir das diskutieren“, sagte er kürzlich gegenüber Phoenix.
„Wir brauchen überall in Deutschland, wo die Infektionszahlen hoch sind, bis Weihnachten harte Ausgangsbeschränkungen, bei denen die Menschen nur noch aus triftigem Grund das Haus verlassen dürfen“, fordert Weltärztepräsident Frank Urlich Montgomery in der Rheinischen Post. Nur mit Verboten und Saktionen sei die aktuelle Situation seiner Ansicht nach noch in den Griff zu kriegen: „Zur Arbeit, Schule, Kita, in den Supermarkt und zum Arzttermin sollen die Menschen natürlich gehen dürfen, alles andere sollte aber für die kommenden zwei Wochen verboten und sanktioniert werden. […] Das ist wichtig, damit die Intensivstationen die nächsten Wochen arbeitsfähig bleiben. Geht es so weiter wie jetzt, droht ihnen kurz nach dem Jahreswechsel der Kollaps.“
Während der Feiertage solle man von Urlaubsreisen absehen, heißt es in der Stellungnahme. Am spannendsten ist aber die Frage: Wer soll gemeinsam feiern dürfen? Die Leopoldina formuliert es so: „Während der gesamten Feiertage einschließlich Silvester sollten Kontakte nur in einem sehr engen, auf wenige Personen begrenzten Familien- oder Freundeskreis stattfinden, der über den gesamten Zeitraum unverändert bleibt.“
Auch zum Thema Schule gibt es eine neue Empfehlung. Sobald es am 10. Januar 2021 wieder los geht, empfiehlt die Akademie bundesweit das verpflichtende Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Unterricht für alle Jahrgangsstufen. Ab einer bestimmten Inzidenz sollen außerdem Regeln erarbeitet werden, die für den Wechselunterricht ab der Sekundarstufe greifen und zwar ländereinheitlich.
Überhaupt brauche es eine „langfristige politische Einigung auf ein klares, mehrstufiges und bundesweit einheitliches System von Regeln“, um der Bevölkerung ein Maßnahmenbündel zu präsentieren, das transparent und verständlich ist. Diese Regeln sollten ab einer bestimmten Anzahl von Fällen pro 100.000 Einwohner greifen, so die Forderung der Akademie.
Ein Stufenplan wurde bereits von vielen Experten und Institutionen ins Spiel gebracht, die Leopoldina ist da also eher Nachzügler. Auch, ob es sehr sinnvoll ist, bei einem Stufenplan wirklich nur die – stark vom Testverhalten abhängige – Zahl der Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche zugrundezulegen, ist zumindest umstritten. Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) hat schon im Frühjahr ein komplexeres Indikatorssystem vorgeschlagen und seither aktuell gehalten, das nicht nur PCR-Ergebnisse, sondern auch Versorgungsparameter einbezieht.
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Bildquelle: Erwan Hesry, unsplash