Um die Pleite des Abrechnungsunternehmens AvP herrscht Chaos. Jetzt gibt es neue Details. Die Ermittler wissen nun mehr über die Betrüger – und den dummen Fehler, der ihnen zum Verhängnis wurde.
Es gibt Neues im Skandal um die Insolvenz der AvP: Über Jahre sollen zwei Führungskräfte des Düsseldorfer Abrechnungsunternehmens in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Einer habe direkt Geld vom Konto genommen, der andere habe eine private Firma genutzt – Millionenbeträge seien so im Lauf der Zeit zustande gekommen. Darüber berichtet das Handelsblatt auf Basis eigener Recherchen. Inzwischen ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
Aufgeflogen ist das Ganze nur durch einen dummen Fehlgriff bei einem eigentlich gängigen Aspekt der Buchhaltung, dem sogenannten Apothekenrabatt. Dieser Rabatt ist gesetzlich vorgeschrieben und funktioniert ähnlich wie das klassische Skonto. Die Krankenkassen mussten weniger zahlen, wenn sie ihre AvP-Rechnungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums beglichen, beispielsweise durch einen Abschlag von 5 Prozent bei einer Zahlung binnen 10 Tagen.
Das Problem bei der AvP: Auch Kassen, die ihre Rechnungen nicht innerhalb dieses Zeitraums bezahlten, erhielten das Skonto. Die fehlenden Beträge wurden dann aber nicht angemahnt, sondern von anderen Konten ausgeglichen – und der de-facto-Fehlbetrag wuchs so immer weiter an. Als mehrere Apotheken Verzögerungen in der Auszahlung der ihnen zustehenden monatlichen Vorschüsse beklagten, wurde die Politik hellhörig. Denn, so fasst das Handelsblatt es treffend zusammen: „Als Dienstleister für mehr als 3.500 Apotheken gilt die AvP als einer der neuralgischen Punkte im Gesundheitssystem.“
Tatsächlich soll es sich beim aktuellen Verfahren um eine Kriminalinsolvenz handeln, also eine durch kriminelle Aktivitäten ausgelöste Insolvenz. Und die Staatsanwaltschaft soll sogar schon 2018 auf die AvP aufmerksam geworden sein. Damals habe ein Insider einen AvP-Manager gemeldet, der einige Hunderttausend Euro vom Konto der AvP gestohlen haben solle. Ein weiterer Verantwortlicher habe sich damals für den Beschuldigten stark gemacht und weitere Ermittlungen abgewendet. Der heutige Stand der Ermittlungen zeigt, warum: Er ist der zweite im Bund der Betrüger.
Erst als sein Kollege gierig wurde und mehr als die für ihn üblichen Summen abgriff, habe die stille Absprache der beiden nicht mehr gehalten. Und so wurden die Ermittler Ende 2019 erneut auf die AvP aufmerksam, wieder durch einen anonymen Tipp. Es half auch nicht, dass einer der Verantwortlichen sich diesmal als vermeintlicher Helfer gab und sein Kollege die Firma verlassen musste. Ein hinzugerufener Experte für finanzielle Krisensituationen warnte vor einer möglichen Insolvenz des Unternehmens, die Finanzaufsicht kam hinzu. Der Rest ist inzwischen bekannt (wir berichteten).
Ein neues und brisantes Detail dieser Machenschaften betrifft Patientendaten. Dem zweiten Beschuldigten gehört eine Firma, der die AvP die Rechte an der Datenerhebung aus den verwalteten Rezepten übertragen habe. Die Auswertung und der Verkauf anonymisierter Daten an Pharmafirmen sei zwar Usus – aber eine Drittfirma werde dabei üblicherweise nicht beteiligt. Mit den Gewinnen des Datenverkaufs soll der AvP-Verantwortliche sich ein kostspieliges Hobby, die Fliegerei, geleistet haben.
Was vom Chaos bleibt, sind Apotheken, denen schlicht eine Menge Geld fehlt, teilweise sollen es Millionenbeträge sein. Im Schnitt schulde die AvP jeder Apotheke 120.000 Euro, errechnet das Handelsblatt. Zwar biete die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Sonderkredite an, doch es sei fraglich, ob jede Apotheke die Vorgaben der speziellen Kredite erfülle. Und ein Kredit hat nun mal an sich, dass er irgendwann zurückgezahlt werden muss. Eine langfristige Lösung sieht anders aus. Und während Apotheken an der AvP verzweifeln, bleiben sie auf Abrechnungsunternehmen angewiesen – anders kann die Abrechnung von Kassenrezepten nicht gestemmt werden.
Bildquelle: Richard R. Schünemann, unsplash