Nach der AvP-Insolvenz sorgen sich Apotheker und Angestellte um ihre Zukunft. Wie konnte es soweit kommen und wie geht es weiter?
Wie kann es sein, dass alle davon reden, dass die AvP-Pleite ganz überraschend kam? DocCheck versucht, mit einer AvP-Mitarbeiterin zu sprechen. Ein Apothekenleiter aus Düsseldorf hat den Kontakt hergestellt: „Ich habe von der Pleite selbst erst über die Medien erfahren“, sagt sie. Wir befragen sie zu verschiedenen Details, aber sie sagt, sie wisse nichts. Die Insolvenz habe sie vielmehr „kalt erwischt“.
Alle Anfragen von uns an AvP direkt werden nicht beantwortet. Das Rechenzentrum lässt sich nicht in die Karten blicken und verweist nur auf eine recht vage Pressemeldung. Darin sind keinerlei Erklärungen, es heißt nur: „Wir bitten Sie daher noch um etwas Geduld und dies in völliger Klarheit, dass die AvP Deutschland GmbH diese bereits in den vergangenen Wochen erheblich strapaziert hat.“
Und was erfährt man bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf? Diese ermittelt wegen des Anfangsverdachts einer betrügerischen Insolvenz – rund 400 Millionen Euro sollen fehlen.
„Kalt erwischt“ habe es die AvP-Mitarbeitern, wie sie sagt. So mag es vor allem den Apothekeninhabern ergangen sein. Hinweise auf Zahlungsschwierigkeiten beim Rechenzentrum gab es in pharmazeutischen Kreisen vor Mitte September nicht. Nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte ab 5. September erste Informationen. (DocCheck berichtete.)
Und am 10. September folgten konkrete Schritte gegen die Firma. Laut Gesetz über das Kreditwesen, § 46 Absatz 1, hätte AvP keine Gelder mehr überweisen dürfen – hat es aber dennoch getan. Erst am 14. September wurden alle Aktivitäten von einem Sondergeschäftsführer übernommen. Das Amtsgericht Düsseldorf eröffnete am 16. September 2020 schließlich ein Insolvenzverfahren.
„Der DAV fordert nun schnellstmögliche Aufklärung von der Finanzaufsichtsbehörde und dem Insolvenzverwalter, was genau passiert ist und wann die Apotheken ihr Geld bekommen“, sagt Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands.
Medien schätzen, dass AvP zuletzt 3.200 Abrechnungskunden hatte, darunter 2.900 bis 3.000 öffentliche Apotheken. Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, wie viele Apotheken tatsächlich in wirtschaftliche Schieflage geraten. In Nordrhein-Westfahlen rechnen Verbände damit, dass fünf Prozent aller 3.985 Apotheken so stark betroffen sind, dass sie mittelfristig schließen müssen.
Sachsen-Anhalt erwartet, dass jede fünfte aller knapp 580 Apotheken unverschuldet in Not geraten könnte. Die Ausfälle schwanken je nach Rx-Umsatz zwischen 120.000 und 400.000 Euro. Chefs fehlen Gelder, um Großhandelsrechnungen zu begleichen, Gehälter zu bezahlen oder Nebenkosten zu überweisen. Sprich: Liquiditätsengpässe können in die Zahlungsunfähigkeit führen.
Eine mögliche Insolvenz von Apotheken betrifft nicht nur Inhaber, sondern auch Angestellte. Bleiben Gehälter aus, richten sich ihre Forderungen primär an den Insolvenzverwalter der Apotheke. Das kann dauern. Deshalb haben sie die Möglichkeit, Insolvenzgelder bei der Agentur für Arbeit zu beantragen.
Wichtig ist, innerhalb von zwei Monaten ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens alle Unterlagen einzureichen, etwa Gehaltsnachweise. In Ausnahmen zahlt die Arbeitsagentur 70 Prozent der Summe als Vorschuss.
Doch die Insolvenz allein ist kein Grund, Angestellten zu kündigen. Kommt es zur Schließung einer Apotheke, sind betriebsbedingte Kündigungen jedoch möglich. Ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten laut § 113 Insolvenzordnung (InsO) drei Monate zum Monatsende als Kündigungsfrist: ein Grund mehr, um Apotheken zu retten, nur wie?
Die erste Maßnahme vieler Apothekerkammern war, Ministerpräsidenten im jeweiligen Bundesland zu kontaktieren. Ein Hilferuf ging beispielsweise an Baden-Württembergs Winfried Kretschmann (Grüne). Und in Bayern baten Standesvertreter Markus Söder (CSU) um Unterstützung. Nur handelt es sich um ein bundesweites Problem.
Mittlerweile werden unterschiedliche Lösungen diskutiert, um Apotheken aus der Krise zu führen. Das könnten Sonderkredite von Banken zu günstigen Konditionen sein. Die Apobank wittert Morgenluft und bietet Kunden zinsfreie Kredite an. Nach dem neulichen IT-Desaster hat sie einiges gutzumachen. Und Noventi, der Konzern bietet neben anderen Services auch Rezeptabrechnungen an, hat ein 250 Millionen Euro schweres Paket für Ex-AvP-Kunden geschnürt, um deren Liquidität zu sichern. Wie so oft im Markt gilt auch hier: Des einen Leid ist des anderen Freud'.
Auch eine Vereinbarung von Apothekerverbänden mit Krankenkassen ist im Gespräch. Ziel soll sein, dass sie für den Abrechnungsmonat September eine Abschlagszahlung auf der Basis vom Juli erhalten. Die TK etwa hat sich bereit erklärt, Apothekern über ihre neuen Dienstleister in Form von Abschlagszahlungen zu helfen.
Die Sache hat nur einen Haken: Kredite sind wichtig als Soforthilfe, verschieben das Problem aber nur in Richtung Zukunft. Welche Gelder Apotheker aus der Konkursmasse bekommen, ist angesichts der fehlenden Gelder bei AvP fraglich.
Für Apothekenleiter stellt sich noch eine ganz andere Frage: Wie ist mit unbearbeiteten Rezepten, die schon von Boten abgeholt, aber noch nicht bearbeitet worden sind, umzugehen? Dazu hat der Apothekerverband Nordrhein Informationen vom Insolvenzverwalter bekommen.
Es geht um Spitzfindigkeiten: Bei Altverträgen, die vor 2003 abgeschlossen worden sind und bei relativ neuen Verträgen besteht möglicherweise ein Aussonderungsrecht. Das heißt, Apothekenleiter haben ihre finanziellen Ansprüche gegenüber GKVen nur teilweise an AvP abgetreten. Dann sind ihre Forderungen nicht automatisch in der Insolvenzmasse gelandet – und lassen sich davon unabhängig eintreiben, falls noch Gelder vorhanden sind. Wer noch Rezepte in Papierform vor Ort findet, sollte die Originale nicht aus der Hand geben.
Fragen über Fragen, doch eine Sache ist klar: Am kommenden Mittwoch steht die AvP-Insolvenz auf der Agenda des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Zu Gast sind Vertreter der ABDA, der Insolvenzverwalter Jan-Philipp Hoos und Staatssekretäre der Ministerien für Gesundheit, Finanzen und Wirtschaft.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte zuvor laut über Darlehen nachgedacht, etwa als zinslosen KfW-Kredit, aber gleichzeitig angemerkt, dass es derzeit noch keine verlässlichen Zahlen gebe. Inhaltlich wird es neben der Frage, wie man Apotheker retten könnte, aber auch darum gehen, wie konnte das passieren? Und wie kann man ein ähnliches Debakel in Zukunft vermeiden – etwa durch eigene Treuhandkonten oder durch Änderungen im Insolvenzrecht?
Bildquelle: Mark Basarab, unsplash