Derzeit ist es überall zu lesen: Der Deutsche Ethikrat rät von COVID-19-Immunitätsbescheinigungen ab. Aber was ist und tut der Ethikrat eigentlich genau?
In einer Bundespressekonferenz hat der Deutsche Ethikrat am 22. September bekanntgegeben, dass er derzeit von COVID-19-Immunitätsbescheinigungen einstimmig abrät. Zu dieser Entscheidung kamen die Ratsmitglieder aufgrund der noch bestehenden Unsicherheiten bezüglich einer Immunität nach einer Infektion mit SARS-CoV-2.
Auch verwies der Rat darauf, dass frei verkäufliche Tests zum Immunitätsnachweis streng reguliert werden sollten, da deren Verlässlichkeit zweifelhaft sei und ein Gefährdungspotential bestehe. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte den Ethikrat zuvor um eine Stellungnahme gebeten, weil die Einführung einer staatlich kontrollierten Immunitätsbescheinigung seit Monaten kontrovers diskutiert wird.
Für den Fall, dass es in Zukunft einen verlässlichen Nachweis der Immunität gibt, ist der Ethikrat in seiner Empfehlung zweigeteilt: Die eine Hälfte der Ratsmitglieder kommt durch risikoethische Abwägungen zu dem Ergebnis, dass eine stufenweise und anlassbezogene Immunitätsbescheinigung unter bestimmten Bedingungen sinnvoll wäre. Wegen der Pandemie eingeschränkte Freiheiten müssten so weit wie möglich zurückgegeben werden, so Ratsmitglied Prof. Carl Friedrich Gethmann. Das könnten Immunitätsbescheinigungen erleichtern, es könnten aber auch Verpflichtungen für das Gemeinwohl entstehen.
Für die andere Hälfte ist eine staatlich kontrollierte Immunitätsbescheinigung aus praktischen, ethischen und rechtlichen Gründen keine Option, auch wenn sachliche Unsicherheiten nicht länger bestünden. Nur in einem Bereich dürften Immunitätsnachweise genutzt werden, so Prof. Judith Simon. Damit sind Senioren- und Behindertenheime mit Isolationsvorgaben gemeint. Hier könnten Angehörige und Hospizdienste von bestimmten Auflagen befreit werden. Es werden „Erosionseffekte“ bei der Bereitschaft, sich an allgemeine Schutzregeln zu halten, befürchtet.
Einigkeit besteht darüber, dass die Bevölkerung umfassend über den Infektionsschutz und die Aussagen von Antikörpertests informiert werden soll, basierend auf der wissenschaftlich fundierten Erforschung von SARS-CoV-2.
„Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich mit den großen Fragen des Lebens. Mit seinen Stellungnahmen und Empfehlungen gibt er Orientierung für die Gesellschaft und die Politik. Die Mitglieder werden vom Präsidenten des Deutschen Bundestages ernannt“, so steht es auf der Homepage des Deutschen Ethikrates.
Er besteht seit 2008 und stellt die Nachfolge des Nationalen Ethikrates dar, der 2001 von der Bundesregierung eingerichtet wurde. Er setzt sich offiziell aus 26 Mitgliedern zusammen, die jeweils für vier Jahre gewählt und deren Amtsperiode einmal verlängert werden kann. Der Bundestagspräsident beruft die Mitglieder des deutschen Ethikrates jeweils zur Hälfte auf Vorschlag des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung.
„Der Deutsche Ethikrat ist in seiner Tätigkeit unabhängig und nur an den durch das Ethikratgesetz begründeten Auftrag gebunden. Die 26 Mitglieder des Deutschen Ethikrates üben ihr Amt persönlich und unabhängig aus. Sie dürfen keine aktiven Mitglieder des Bundestages oder der Bundesregierung beziehungsweise eines Landtages oder einer Landesregierung sein. Die Ratsmitglieder sollen naturwissenschaftliche, medizinische, theologische, philosophische, ethische, soziale, ökonomische und rechtliche Belange in besonderer Weise repräsentieren sowie unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum vertreten“, so das Selbstverständnis des Ethikrates.
Das Plenum tagt einmal pro Monat in Berlin. Die Sitzungen können sowohl öffentlich als auch nicht öffentlich sein. Es werden Arbeitsgruppen gebildet, Stellungnahmen erarbeitet und deren Verabschiedungen gemeinschaftlich verfasst. Falls erforderlich, können auch externe Experten involviert werden.
Die Empfehlungen des Ethikrates werden am Ende eines Beratungsprozesses immer von einer Mehrheit getragen, so dass Haltungen einzelner Ratsmitglieder nicht ausschlaggebend für die Stellungnahmen gegenüber Öffentlichkeit und Politik sind.
Bisher wurden 20 umfangreiche Stellungnahmen erarbeitet, unter anderem zu den Themen Präimplantationsdiagnostik, Gendiagnostik und Patientenwohl. Die Themen für die inhaltlichen Arbeiten legt der Ethikrat selbst fest, er kann aber auch von der Bundesregierung oder dem Deutschen Bundestag beauftragt werden, was bisher dreimal der Fall war.
Außerdem betreibt der Ethikrat Öffentlichkeitsarbeit in Form von Veranstaltungen, Internetauftritten und Jahresberichten. In Berlin organisiert er öffentliche Abendveranstaltungen zum Thema Bioethik.
Einmal jährlich ist der Ethikrat gemäß Ethikratgesetz verpflichtet, dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung Rechenschaft über seine Tätigkeit abzulegen. Weiterhin beinhaltet das Arbeitsfeld auch eine Zusammenarbeit mit nationalen Ethikräten und vergleichbaren Einrichtungen anderer Staaten und internationaler Organisationen.
Die Mitglieder erhalten eine pauschale Aufwandsentschädigung. Die Höhe der Aufwandsentschädigung wird vom Präsidenten des Deutschen Bundestages festgelegt. Insgesamt stehen dem Ethikrat etwa 1,7 Mio. Euro im Jahr zur Verfügung. Für welche Zwecke das Geld ausgegeben wird (Büromiete, Hotelübernachtung etc.) kann man hier nachlesen.
Vorsitzende ist Prof. Alena Buyx, Ärztin und Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität München. Einer der stellvertretenden Vorsitzenden ist Prof. Julian Nida-Rümelin, Lehrstuhlinhaber Philosophie und politische Theorie am Philosophischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Des Weiteren befinden sich unter den Ratsmitgliedern Juristen, Biologen, Ärzte, Psychologen, Gesundheitswissenschaftler, Philosophen und Physiker. Sechs Mitglieder sind Theologen.
Neu im Gremium sind unter anderen Dr. Josef Schuster, Arzt und Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und die Juniorprofessorin für Islamische Systematische Theologie an der Universität in Paderborn, Muna Tatari. Momentan stehen auf der Mitgliederliste 24 Personen, davon 13 Männer und 11 Frauen.
Der Vorwurf, der deutsche Ethikrat bestünde vorwiegend aus Theologen und kirchennahen Repräsentanten, lässt sich damit nicht bestätigen. Auch ist die Geschlechterverteilung ausgewogen.
Der Deutsche Ethikrat ist eine wichtige Plattform, wenn es darum geht, gesellschaftlich schwierige Fragen von verschiedenen Seiten zu betrachten und Empfehlungen für Politik und Gesetzgebung auszusprechen.
Die Mitglieder kommen aus naturwissenschaftlichen, geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereichen. Diese berufliche und persönliche Vielfalt steht für Pluralismus.
Politik, die sich von führenden Wissenschaftlern und Persönlichkeiten etwas sagen lässt, um einen Konsens bei gesellschaftlich kontrovers diskutierten Themen zu finden, ist meines Erachtens gut beraten.
Unter einem Artikel zum Embryonenschutzgesetz habt ihr Fragen zum Ethikrat gestellt und diskutiert, ob wir so etwas in der modernen Medizin überhaupt noch brauchen. Klickt auf das Bild, um zum Artikel und der Diskussion zu kommen.
Bildquelle: Federica Campanaro/Unsplash