Das Embryonenschutzgesetz wurde in 30 Jahren kaum reformiert, obwohl sich die Reproduktionsmedizin rasant verändert hat. Die Bundesärztekammer drängt auf Reformen, manche Ethiker warnen davor.
Louise Brown kam 1978 in England als erstes Retortenbaby zur Welt, in Deutschland wurde 1982 zum ersten Mal ein Mensch nach In-Vitro-Fertilisation (IVF) geboren. Seit 1997 kamen hierzulande annähernd 300.000 Kinder mittels einer Methode der künstlichen Befruchtung zur Welt.
Das Embryonenschutzgesetz wurde 1990 vom Bundestag verabschiedet und 2011 um die Regelungen zur Präimplantationsdiagnostik erweitert. Der medizinische Fortschritt in der Reproduktionsmedizin ist seither enorm, die gesetzlichen Regelungen blieben dagegen weitgehend konstant. Manövrieren wir uns, insbesondere auch im Blick auf andere Länder, in ein wissenschaftliches Defizit, oder beweisen wir verantwortliche Wertekonstanz?
Die Bundesärztekammer hat auf Empfehlung ihres wissenschaftlichen Beirats nun ein Memorandum vorgelegt, in dem bewusst die wichtigsten Problembereiche – Dreierregelung, Eizell- und Embryonenspende – aufgegriffen werden.
In Deutschland dürfen bis maximal drei Embryonen künstlich erzeugt und in einem Zyklus übertragen werden. Bei 69 Prozent der Behandlungen werden zwei Embryonen transferiert, etwa 22 Prozent aller Schwangerschaften nach IVF sind Mehrlingsschwangerschaften und haben damit ein erhöhtes Risikoprofil für Mutter und Kinder.
Um den Anteil der Mehrlingsschwangerschaften zu reduzieren, wird in zahlreichen Ländern der elective Single Embryo Transfer (eSET) präferiert. Hierzu werden im Labor mehrere Eizellen befruchtet, über einige Tage beobachtet und nur derjenige Embryo transferiert, der die besten Entwicklungschancen aufweist.
Eine Eizellspende ist in Deutschland, ebenso in Luxemburg und der Schweiz, nicht erlaubt. In den meisten anderen europäischen Ländern ist sie hingegen möglich. Deshalb nehmen jährlich zwischen 2.000 und 3.000 Frauen aus Deutschland eine Eizellspende im Ausland wahr. Hierbei ist ein gesetzlich verankertes Recht des Kindes, seine genetische Herkunft zu erfahren, wie etwa bei einer Samenspende in Deutschland, meist nicht gegeben. Diese Einschränkung wird ebenfalls für eine Legalisierung der Eizellspende in Deutschland angeführt.
Die Spende überzähliger Embryonen ist im Embryonenschutzgesetz grundsätzlich nicht verboten, die Handhabung müsste aber bei einer großen Anzahl überzähliger Embryonen reguliert werden. Nach erfolgreicher Therapie und abgeschlossener Familienplanung können Kinderwunschpaare überzählige Embryonen vernichten lassen, weiterhin lagern oder spenden. Seit 2018 existiert das Netzwerk Embryonenspende Deutschland. Angeschlossen sind mehrere Kinderwunschpraxen, die die Vermittlung überzähliger Embryonen an Kinderwunschpaare, die am Ende ihrer eigenen Möglichkeiten stehen, durchführen.
Beim geforderten Single-Embryonen-Transfer werden mehrere entwicklungsfähige Embryonen geschaffen, aber nur derjenige mit den voraussichtlich besten Chancen transferiert. Per se handelt es sich um eine Form der Selektion und schafft den Konflikt vieler überzähliger Embryonen. Diese könnten nach Ansicht der Experten in einem späteren Zyklus verwendet oder für ein Geschwisterkind kryokonserviert werden. Auch eine Embryonenspende käme hier in Betracht.
Ob die Anzahl erzeugter und tatsächlich verwendeter Embryonen dabei immer aufgeht, bleibt ungewiss. Das sieht auch Prof. Giovanni Maio, Arzt und Medizinethiker an der Universität Freiburg, kritisch: „[B]etrachtet man den Embryo als menschliches Wesen, so müsste man sich eingestehen, dass bewusst viele Embryonen in Lebensgefahr gebracht werden, um einigen wenigen zum Weiterleben zu verhelfen. [S]o wird man sich eingestehen müssen, dass die Reproduktionsmedizin mit einem Verschleiß an Embryonen einhergeht, der sich nicht schicksalshaft ereignet oder infolge eines extremen Notfalls hingenommen werden muss, sondern den man bewusst schon im Vorfeld einkalkuliert. Diese Implikation kann nur dann vertretbar erscheinen, wenn man eine abgestufte Schutzwürdigkeit der Embryonen postuliert; geht man von einem umfassenden Embryonenschutz aus, wiegt diese Implikation schwer.“
Dreh- und Angelpunkt jeglicher Diskussion über das Embryonenschutzgesetz ist die Frage, wann menschliches Leben beginnt.
Der Moraltheologe Prof. Eberhard Schockenhoff, selbst lange Mitglied im Deutschen Ethikrat, definiert es so: „Der Embryo entwickelt sich nicht erst zum Menschen, sondern von Anfang an als Mensch. Bei den späteren Entwicklungsvorgängen, insbesondere bei der Nidation und der Ausbildung der Gehirnanlage, geht es dagegen nicht mehr um den erstmaligen Schritt der Menschwerdung, sondern darum, dass ein bereits gebildetes menschliches Lebewesen seine Existenz erhält, durch Gefahrenzonen hindurch bewahrt und sein Entwicklungspotential weiter entfalten kann.“
Probleme bei einer Eizellspende werden in der dissoziierten Mutterschaft, dem medizinischen Risiko der Spenderin und in einer möglichen Kommerzialisierung gesehen. Die genetische Mutter (Eizellspenderin) und die biologische Mutter (austragende Frau) weichen voneinander ab. Das Kind erfährt von einer fremden genetischen Abstammung, steht aber seit der Schwangerschaft in einer engen Beziehung mit seiner biologischen Mutter. Würde das Kind aufgrund äußerer Umstände in einer anderen Familie aufwachsen, käme noch eine soziale Mutterschaft hinzu.
Prof. Jan-Steffen Krüssel, Leiter des Kinderwunschzentrums an der Universitätsfrauenklinik in Düsseldorf, sieht darin aufgrund von Studien kein Problem: „Diese Studien zeigen unisono eine normale sozio-emotionale Entwicklung der Kinder, sowie eine im wesentlichen unauffällige Eltern-Kind-Beziehung.“
Kritiker der Eizellspende sehen das höhere gesundheitliche Risiko für die Spenderin, als es etwa bei einer in Deutschland erlaubten Samenspende der Fall ist. Nach einer hormonellen Stimulation ist die operative Punktion mit Gewinnung von Eizellen nötig. Dieses Verfahren ist im Vergleich zum Entstehungszeitpunkt des Embryonenschutzgesetzes zwar deutlich risikoärmer, aber nicht risikofrei geworden. Auch sind Schwangerschaften nach einer Eizellspende mit höheren Risiken vergesellschaftet. Weiterhin befürchten manche eine Kommerzialisierung und Ausnutzung finanzieller Notlagen potenzieller Spenderinnen.
Wissenschaftlicher Fortschritt ist ein hohes Gut und eine angemessene Konkurrenzfähigkeit sollte für das Patientenwohl immer im Blick behalten werden.
Die Abschaffung der Dreierregel würde Mehrlingsschwangerschaften verringern und zu höheren Geburtenquoten nach IVF führen. Andererseits käme es zu einer hohen Anzahl überzähliger Embryonen, die ein ethisches Dilemma verursachen könnten. Manch einer befürchtet auch einen Dammbruch für weitere Selektionskriterien.
Eine Legalisierung der Eizellspende in Deutschland würde Auslandsbehandlungen überflüssig machen und den Wunsch des Kindes nach Wissen um seine genetischen Wurzeln garantieren. Medizinisches Risiko und kommerzielle Aspekte müssten dabei für die Spenderin eng geregelt sein.
Wie bei allen großen Fragen der Medizinethik ist der persönliche Wertekodex entscheidend. Wann menschliches Leben beginnt und an welchem Punkt es schützenswert ist, bleibt eine kontrovers diskutierte Sichtweise.
Und bei allem bewundernswerten Fortschritt der modernen Medizin, auch dieser Aspekt: Ist alles Machbare immer sinnvoll und erstrebenswert?
Keine leichte Aufgabe für die Politik, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden.
Quellen:
Eberhard Schockenhoff, Ethik des Lebens, Herder, 2009.
Giovanni Maio, Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin. Ein Lehrbuch mit 39 kommentierten Patientengeschichten, Schattauer, 2012.
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