Gehirnchips sind längst in der Medizin angekommen. Ihr Potenzial aber ist lange noch nicht ausgeschöpft. Was könnte damit in Zukunft möglich sein?
Geräte wie Tastaturen oder Touchscreens ermöglichen es uns, mit Computern zu kommunizieren. Für Neurotechnologen ist der Umweg über das periphere Nervensystem und Muskeln aber unnötig. Mit sogenannten Brain-Computer-Interfaces (BCI) könnte man schließlich eine direkte Verbindung vom Gehirn zum Computer schaffen und so den Austausch von Informationen vereinfachen.
Auch Tech-Visionär Elon Musk mischt bei BCIs mit. Kürzlich stellte er einen Gehirnchip-Prototypen seines Unternehmens Neuralink vor (wir berichteten). Von einigen Wissenschaftlern gab es Kritik für die öffentlichkeitswirksame Präsentation, da der Chip nicht viel mehr könne als bisherige Modelle. Doch der Medienrummel um Neuralink könnte der BCI-Forschung gut tun.
Im medizinischen Kontext will man mit BCIs vor allem körperlich beeinträchtigte Menschen unterstützen. So können schon heute vollständig gelähmte Menschen allein mit der Kraft ihrer Gedanken eine Armprothese oder einen Computercursor bewegen. Beeindruckend ist auch die Arbeit eines französischen Forscherteams: Letztes Jahr zeigten sie, wie ein gelähmter Patient per Gedanken ein komplettes Exoskelett steuern und sich damit fortbewegen konnte (siehe Video). Längst werden BCIs auch zur Behandlung neurologischer Krankheiten wie Parkinson eingesetzt.
Aber wie funktioniert diese Technik überhaupt? BCIs basieren auf der Beobachtung, dass sich die elektrische Gehirnaktivität ändert, sobald man sich ein bestimmtes Verhalten vorstellt. Will man den rechten Arm bewegen, lässt sich eine andere Gehirnaktivität messen, als wenn man den linken Arm bewegen möchte.
Ins Gehirn eingebrachte Elektroden zeichnen diese Aktivität auf und leiten sie an einen Computer weiter. Dieser dekodiert die Information und kann damit wiederum andere Geräte steuern, z. B. eine Prothese oder einen Rollstuhl.
State-of-the-Art-Devices haben rund 1.000 dieser winzigen Elektroden, die gleichzeitig Aktivität messen können. Damit bewegt sich auch Musks Neuralink-Gehirnchip mit 1.024 Elektroden in dieser Kategorie.
„Die Innovation ist eigentlich das, was wir nicht sehen“, kommentiert Thomas Stieglitz den Prototypen von Neuralink. Er ist Professor für Medizinische Mikrotechnik am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Mitglied des Exzellenzclusters BrainLinks-BrainTools der Universität Freiburg. Es handele sich um eine Dünnfilmtechnologie im Nanometerbereich von Metall. „Die elektrischen Signale und Informationen von tausend Kanälen werden […] drahtlos durch den Schädelknochen hindurch nach außen transferiert“, erklärt Stieglitz. Damit unterscheidet sich Neuralink von anderen weit verbreiteten Ansätzen wie dem Utah Array, einer neuronale Schnittstelle, die auf die Verbindung per Kabel angewiesen ist.
In Zukunft sollen BCIs noch kleiner und leistungsfähiger werden. Das wollen Forscher erreichen, indem sie die Zahl der Elektroden im Chip erhöhen. Das Start-Up Paradromics etwa will 10.000 Kanäle/cm möglich machen. Andere Forschungseinrichtungen wie die Brown University arbeiten daran, die Gehirnchips selbst zu verkleinern. Chips, die so klein sind wie ein Staubkorn könnten dann über das ganze Gehirn verteilt werden. So ließen sich mehrere Gehirnareale gleichzeitig auslesen.
Die Weiterentwicklung der Technik ist allerdings nur ein Punkt, um den sich BCI-Forscher Gedanken machen. Noch ist das menschliche Gehirn ein großes Mysterium, was die Interpretation der elektrischen Signale angeht. Hier steht man noch ganz am Anfang.
Prof. Pascal Fries, Direktor des Ernst-Strüngmann-Instituts für Neurowissenschaften, erklärt: „Mit Brain-Computer-Interfaces kann man heute schon viel aus dem Gehirn auslesen.“ Wenn man bestimmte Signale aus bestimmten Gehirnarealen ableitet, könne man schon sagen, ob sich ein Proband das eine oder das andere Bild anschaut. „Aber das ist eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten“, erklärt Fries weiter. Wüsste man nicht, um welche Bilder es sich handelt, dann könnte man es von den Signalen auch nicht ableiten. Und das bedeutet so viel wie: Gedankenlesen ist mit BCIs noch lange nicht möglich. Elon Musks Vision, Kommunikation per Gedankenübetragung zu ermöglichen, ist damit noch mehr Science-Fiction als Realität.
Prof. Alireza Gharabaghi, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuromodulation und Neurotechnologie am Universitätsklinikum Tübingen, ist jedenfalls überzeugt, dass in BCIs wertvolles Potenzial steckt: „Es gibt nach wie vor viele Menschen mit Gehirnschädigungen […], für die es bisher keine sinnvolle Therapie gibt.“ Neurotechnologie sei ein möglicher Weg, zumindest einige dieser Erkrankungen und Behinderungen sinnvoll anzugehen. „Dafür muss dieses Thema viel mehr in den Fokus kommen, es braucht Investitionen, smarte Konzepte und kluge Köpfe.“ Und dafür ist auch der Medienrummel um Elon Musks Präsentation gerechtfertigt, findet Gharabaghi.
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