Die ersten Apps auf Rezept sind da. Das DiGA-Verzeichnis des BfArM ist jetzt online. Die Verordnung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Regelversorgung ist echtes "Neuland". Denn zugegebenermaßen fehlte allen Akteuren im System bislang das Verständnis für die Bedeutung, die Nutzung und den Zugang zu derartigen Anwendungen. Ein Gastbeitrag von Dr. Dirk Heinrich.
Kein anderes Land der Welt hat derzeit einen geregelten und schnellen Weg von DiGAs in ein Gesundheitssystem, so wie es das nun das DGV ermöglicht. Schlicht, weil unsere Aufteilung in Arzneimittel-, Hilfsmittel- und Heilmittel-Bereich eben DiGAs nicht erfasst. Und wer die herkömmlichen und beschwerlichen Wege von Innovationen in das System hinein über den Gemeinsamen Bundesausschuss kennt, der weiß, dass sie eher ein Beitrag zur Verhinderung von Innovationen wäre.
Bei der gesetzgeberischen Umsetzung hat der Bundesgesundheitsminister enorm auf die Tube gedrückt: vom ersten Entwurf bis zum Inkrafttreten vergingen keine zwölf Monate. Die Zeit drängte aber auch. Internetgiganten wie Google, Microsoft, Apple aber auch Amazon oder Bertelsmann bereiten sich längst darauf vor, das deutsche Gesundheitswesen mit ihren Produkten, vor allem aber mit ihren Standards zu dominieren.
Dieses schnelle und mutige Vorgehen durch das „Digitale Versorgungsgesetz“ (DGV) eröffnet Herstellern, aber auch uns Ärzten, viele Chancen auf im internationalen Vergleich patientenorientierte, datenschutzkonforme und datensichere Lösungen – egal, ob klassische Handy-App, web- oder voice-basierte Anwendung.
Das kann die Versorgung unserer Patienten einen guten Schritt voranbringen, wenn wir alle – Hersteller wie Ärzte, Kostenträger wie Zulassungsbehörde – besonnen und beherzt vorgehen, Fehler vermeiden und nicht alte Rituale und Vorbehalte pflegen.
Sicherheit, Qualität, Funktionstauglichkeit, Datenschutz und Datensicherheit sind elementare Voraussetzungen für einen Marktzugang. Daher war es sinnvoll, sich an der Zulassung für Medizinprodukte der Klassen 1 bis 2a zu orientieren.
Viel wichtiger wird für Entwickler und Hersteller von DiGAs jedoch der Nachweis von positiven Versorgungseffekten. Dabei müssen sie sorgfältig und evidenzorientiert vorgehen. Denn diese Versorgungseffekte entscheiden vor allem anderen, ob die Verordner, also wir Ärztinnen und Ärzte, von einer digitalen Gesundheitsanwendung überzeugt sind oder nicht. Denn eines sollte klar sein: Es geht nicht ohne uns Praxisärzte!
Ärztinnen und Ärzte sind gegenüber Innovationen stets aufgeschlossen. Allein durch die Dynamik des medizinischen Wissens ist es Voraussetzung für den Arztberuf, Wissen weiterzuentwickeln und sich Neuem zuzuwenden. Die Erfahrung lehrt, dass sich Innovationen immer dann schnell etabliert haben und von Ärzten akzeptiert wurden, wenn die begleitende Information und Aufklärung seriös und umfangreich waren.
Innovation bedeutet immer auch Veränderung. Wer die täglich vollen Wartezimmer in den Praxen der Haus- und Fachärzte gesehen hat, weiß, dass die Prioritäten im Praxisalltag eher in der Bewältigung der Routine als im Ausprobieren von Neuem liegen. Um Akzeptanz zu schaffen, müssen Veränderungen im ärztlichen Alltag integrierbar, schrittweise umsetzbar und nachvollziehbar sein. Soll ein Arzt von der Systematik einer Digitalen Gesundheitsanwendung überzeugt werden, sollte diese– zumindest am Anfang – so wenig wie möglich in Abläufe und Alltag der Praxis eingreifen.
Des Weiteren ist für den behandelnden Arzt wichtig, Übersicht und Kontrolle über das Behandlungsgeschehen zu behalten. Entsteht der Eindruck, über Gesundheitsanwendungen wird ein Bereich der Versorgung eines Patienten in die Hände von Softwareentwicklern gelegt, ruft dies nachvollziehbarerweise wenig Begeisterung hervor.
Deshalb führt kein Weg daran vorbei, die Berufsverbände aktiv einzubeziehen. Hier werden für die jeweiligen Fachgruppen der niedergelassenen Haus- und Fachärzte die Bedingungen der täglichen Arbeit, die medizinische Fragestellungen samt Einbindung der jeweiligen wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Finanzierungsfragen und letztlich auch die zielgruppengenaue Ansprache der Kollegenschaft geklärt. Ein Markteintritt ohne Beteiligung der jeweils relevanten Berufsverbände ist aussichtslos.
Schließlich sind die Berufsverbände hilfreich bei der Dokumentation der relevanten positiven Versorgungseffekte. Ich sehe hier die Chance, nicht nur für die Versorgung, sondern auch für die Versorgungsforschung neue Akzente zu setzen. Denn erstmals ermöglicht der Gesetzgeber eine Art Nutzenbewertung, die nicht nur durch klinische Endpunkte, sondern auch durch Mittel der Verhaltensforschung – beispielsweise durch eine nachhaltige Verhaltensänderung – nachgewiesen werden kann.
Wenn digitale Gesundheitsanwendungen helfen, das Leben eines Patienten mit seiner Erkrankung zu vereinfachen, könnten wir den Nutzenbegriff künftig neu definieren.
Dr. Dirk Heinrich ist Bundesvorsitzender des Virchowbundes und niedergelassener HNO-Arzt.
Der Verband der niedergelassenen Ärzte (Virchowbund) kämpft dafür, die Budgetierung zu beenden, die ärztliche Selbstverwaltung zu stärken und die Freiberuflichkeit zu erhalten. Erfahren Sie hier, was berufspolitische Arbeit für Praxis-Ärzte verändert und warum es sich für Sie lohnt.
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