Gegen den Virologen Hendrik Streeck liegt eine Strafanzeige vor. Welche Vorwürfe im Raum stehen und was wir tatsächlich wissen.
Medial bekannt wurde der Virologe durch seine Beteiligung an der Heinsberg-Studie und zahlreiche Stellungnahmen in Zeitung und Fernsehen zur Corona-Pandemie. Vor allem aufgrund der PR-Begleitung der Heinsberg-Studie gab es bereits in der Vergangenheit massive Kritik (wir berichteten). Jetzt gibt es weitere Vorwürfe – in Form einer Strafanzeige, wie das Wirtschaftsmagazin Capital berichtet.
Die Heinsberg-Studie entstand unter hohem Zeitdruck. Um der Politik schnell Ergebnisse liefern zu können, sollen wissenschaftliche Standards nicht eingehalten worden sein.
Capital liegen E-Mail-Korrespondenzen und weitere Unterlagen vor, die deutlich machen, auf welche Weise Druck auf den Mediziner ausgeübt wurde. So erhielt er am 8. April eine Mail eines Abteilungsleiters, der in der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei von Ministerpräsident Armin Laschet tätig ist. In der Betreffzeile stand „EILT“ und in der Mail wurde darauf gedrängt, am nächsten Tag gemeinsam mit Laschet in einer Pressekonferenz erste Zwischenergebnisse zu präsentieren – was letztendlich auch genau so passierte.
Für Laschet war die Heinsberg-Studie ein wesentlicher Baustein seines politischen Vorgehens. Sie sollte als wissenschaftliche Grundlage für seinen Lockerungskurs dienen. Die Studie könne bei einer Öffnungsstrategie helfen, hieß es laut Artikel in einer Mail.
Am 25. März stellte Streeck in einer Mail an Minister und Staatssekretär seinen Fahrplan für die Studie vor. „In der Projektskizze für die Landesregierung findet sich jedoch auch eine Angabe, die Auftragnehmer Streeck nun Probleme bereiten könnte“, heißt es weiter. In dem Schreiben bestätigt Streeck, er habe von der zuständigen Ethikkommission der medizinischen Fakultät der Universität Bonn ein positives Ethikvotum erhalten. Dieses Votum ist Voraussetzung für das Durchführen von Studien.
Ob zu diesem Zeitpunkt tatsächlich ein derartiges Votum vorlag, wird nun in Frage gestellt: „So haben die Studienautoren selbst bei der Registrierung ihrer Studie im Deutschen Register für Klinische Studien ein späteres Ausstellungdatum für den Ethikbescheid angegeben: nämlich den 31. März“, schreibt Capital.
Vorwurf Nummer eins lautet also: Um den Vertrag abschließen zu können und Drittmittel zu erhalten, wurde der Auftraggeber, das Land NRW, vom Virologen getäuscht. Vorwurf Nummer zwei: „Anstelle der mit dem Auftraggeber vereinbarten wissenschaftlich basierten Erkenntnisse und Fakten“ habe Streeck zum Teil „erfundene Forschungsergebnisse“ geliefert. So lautet eine Passage in der Anzeige, die Capital vorliegt.
Mit den „erfunden Forschungsergebnissen“ ist eine Aussage gemeint, die dem zweiseitigen Bericht der Studienautoren unter dem Punkt „vorläufige Schlussfolgerungen“ zu entnehmen ist, die da lautet: „Durch Einhalten von stringenten Hygienemaßnahmen ist zu erwarten, dass die Viruskonzentration bei einem Infektionsereignis einer Person so weit reduziert werden kann, dass es zu einem geringeren Schweregrad der Erkrankung kommt, bei gleichzeitiger Ausbildung einer Immunität.“ Dieser Punkt wurde von Laschets Regierung als Begründung für den Lockerungskurs, zum Beispiel in Form von Geschäftsöffnungen, genannt.
Hier kommt ein Hinweisgeber ins Spiel, der am 14. April in einer Mail auf mögliche Fehlangaben hinwies. „Ob Streeck und seine Kollegen zu diesem Zusammenhang überhaupt eigene Daten erhoben haben, die in der Wissenschaft Voraussetzung für einen Befund sind, ist zumindest zweifelhaft. So wandte sich nach Veröffentlichung des Zwischenberichts ein Hinweisgeber aus der Wissenschaft an die Uni Bonn sowie an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)“, wie Capital schreibt.
Vom Ombudsman für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Uni Bonn erhielt er die Antwort, es gebe keinerlei Anhaltspunkte für Verstöße. Die Erklärung: Dass in dem Zusammenhang Daten erhoben wurden, wurde nie explizit behauptet. „Die Bedeutung der Viruskonzentration für die Schwere der Erkrankung“ beschrieb der Ombudsman als „allgemeinkundige Binsenweisheiten der Virologie“.
Was den Vorwurf zu falschen Forschungsergebnissen betrifft, führt dem Medienbericht zufolge nun auch die DFG eine Vorprüfung durch. Ob die Anzeige tatsächlich stichhaltig ist, wird sich zeigen. Gestellt hat sie ein Wissenschaftler, näheres ist nicht bekannt.
Gegenüber Capital weist der Mediziner die Vorwürfe zurück und geht auf das Thema Ethikvotum ein. Seine Version: Es habe „mehrere Voten“ gegeben. Ein erstes habe man am 4. März für ein Studienkonzept erhalten, das im Nachhinein noch Veränderungen unterzogen wurde.
In der Projektskizze vom 25. März soll von besagtem ersten Votum die Rede gewesen sein. Später entschloss man sich dazu, auch für das veränderte Studienkonzept erneut ein Votum einzuholen. Am 31. März wurde die Heinsberg-Studie dann von der Ethikkommission „positiv beschieden.“
Am Freitag (3.7.2020) gab die Bonner Staatsanwaltschaft bekannt, eine Aufnahme der Ermittlungen abzulehnen. Ein strafbares Verhalten sei nicht erkennbar gewesen.
Der Artikel wurde upgedatet [Stand 3.7.2020, 15:50 Uhr].
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