Es ist natürlich ein vorläufiges Fazit, denn die Pandemie ist noch nicht vorbei. Was die nächsten Monate bringen werden, weiß niemand. Im Umgang mit Corona hat das Bundesgesundheitsministerium mal überzeugt, mal enttäuscht.
Deutschland hat die erste Pandemiephase im Vergleich zu Nachbarstaaten halbwegs glimpflich überstanden. Unabhängig davon bereitet sich das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) schon für eine mögliche zweite Welle vor – und revidiert falsche Entscheidungen aus der Vergangenheit. Die Tops und die Flops des BMG in Corona-Zeiten.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat derzeit ein klares Ziel vor Augen: Er will rasch dafür sorgen, dass es in Europa Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 gibt. „Viele Länder der Welt haben sich schon Impfstoffe gesichert. Europa noch nicht“, so Spahn. Um die Lücke zu schließen, hat er zusammen mit Kollegen aus Italien, Frankreich und aus den Niederlanden eine Impfallianz ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, europaweit Kräfte zu bündeln und gemeinsam Verträge mit Impfstoff-Herstellern auszuhandeln. Mit AstraZeneca ist man sich schon einig geworden. Der Konzern soll für EU-Bürger bis zu 400 Millionen Dosen bereitstellen.
Damit gibt sich Spahn aber nicht zufrieden. Über die Förderbank KfW steigt der Bund beim deutschen Hersteller Curevac ein und hält damit 23 Prozent der Anteile. „Die Bundesregierung beteiligt sich an diesem vielversprechenden Unternehmen, weil sie erwartet, damit Entwicklungen zu beschleunigen, und es CureVac finanziell zu ermöglichen, das Potenzial seiner Technologie ausschöpfen zu können“, erklärt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Curevac arbeitet an einer SARS-CoV-2-Vakzine auf Basis von RNA-Technologien. Dem Hersteller zufolge sollen noch im Juni klinische Studien der Phasen 1 bzw. 2a anlaufen.
Für Spahns Strategie spricht, dass nur eine Impfung die Bevölkerung schützen kann. Schwedens Modell der kontrollierten Durchseuchung wird zum Bumerang; die Mortalität dort ist – gemessen an den Nachbarstaaten – deutlich höher. Doch eine Frage bleibt angesichts des aktuellen Corona-Ausbruchs in Peking offen: Welche Rolle spielen Mutationen? Schützt der jetzt schon vorproduzierte Impfstoff auch gegen neu auftretende Varianten des Virus?
Unter dem Motto „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“ haben Spahn und seine Regierungskollegen ein Eckpunkte-Papier mit 57 Punkten veröffentlicht. Um das umzusetzen, sind rund 130 Milliarden Euro erforderlich, von denen 57 Milliarden Euro Defizite für das Gesundheitswesen eingeplant sind.
Gesundheitsämter können bundesweit mit vier Milliarden rechnen. Spahn stellt sich ein sogenanntes Mustergesundheitsamt vor, das beispielsweise Eckdaten zur Personalplanung entwickelt. Um qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen, soll es künftig die Möglichkeit geben, dass junge Mediziner einen Teil ihres Praktischen Jahres oder ihrer Famulatur im Gesundheitsamt ableisten. Und über Funktionszulagen will der Minister Ärzte gewinnen, aber auch halten.
Nicht zuletzt fordert er, die IT-Infrastruktur auszubauen. Dass bei Meldungen nach Berlin noch das Faxgerät rauscht und dass während der Krise manche Ämter am Wochenende nicht besetzt waren, ist kaum nachvollziehbar. Woche für Woche sah man in offiziellen Berichten des Robert Koch-Instituts Schwankungen, die nicht mehr als Artefakte durch den Meldeverzug waren.
Kliniken nehmen langsam wieder den Normalbetrieb auf, was aber nicht Sache des BMG, sondern des jeweiligen Landes ist. Umso mehr will Spahn generelle Schwachstellen beheben. Aus dem Zukunftsprogramm will er drei Milliarden verwenden, um Notfallkapazitäten zu erhöhen und um die IT-Infrastruktur auszubauen. Der Minister plädiert für mehr Telemedizin als Möglichkeit, den Verlauf von Erkrankungen ohne Kontakt nachzuvollziehen: ein weiterer Baustein gegen weitere Wellen, wenn sie denn kommen.
Während der Pandemie zeigten sich weitere Schwachstellen im Gesundheitssystem: Phasenweise gab es zu wenige Masken oder Handschuhe. Und so manches Arzneimittel ging zur Neige, weil der Lohnhersteller in China ist. Das will Spahn – auch in Anbetracht einer weiteren Infektionswelle, ändern. Er steckt Gelder in die sogenannte „nationale Reserve“, also in Ausrüstungsgegenstände beim Katastrophenschutz der Länder. Auch sollen Wirkstoffe ohne Patentschutz wieder in Deutschland produziert werden. Details sind noch unklar.
Jenseits dieser zentralen Maßnahmen delegiert Spahn die Verantwortung jedoch an alle Bundesländer. Wer je nach Region mehr als 30 bis 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschreitet, muss Maßnahmen einleiten – wie genau, liegt im Ermessen der regionalen Verwaltung. Im schlimmsten Fall bedeutet das einen weiteren Lockdown. Zwar können regionale Maßnahmen individuelle Ursachen beheben. Allerdings wird eine neue Pandemiewelle, so diese kommt, ganz Deutschland erfassen. Und laut Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI) wäre es sinnvoller, bei der Planung intensivmedizinische Kapazitäten zu berücksichtigen.
Zu Beginn der Coronawelle setzte Spahn auf einen gehypten Wirkstoff. „Wir haben für Deutschland bei Bayer größere Mengen Chloroquin reserviert“, so Spahn. Große Mengen kamen der Tagesschau zufolge wohl aus Pakistan. Zu diesem Zeitpunkt gab es gerade ein paar in-vitro-Studien und Tierexperimente. War alles nur ein großer Marketing-Gag des Herstellers? „Bayer hätte zu diesem Zeitpunkt sagen müssen: Wir haben überhaupt keine wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit und Sicherheit“, kritisiert Wolf Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. „Und wir warnen davor, dass dieses Medikament außerhalb von klinischen Studien eingesetzt wird.“ Heute mehren sich die Hinweise, dass Chrloroquin beziehungsweise Hydroxychloroquin gegen COVID-19 nicht wirken, aber zu mehr kardialen Todesfällen führen. Die acht Millionen Chloroquin-Tabletten hat Spahn jedenfalls wieder zurückgeschickt.
Aus der anfangs hoch aufgehängten Corona-App (DocCheck hat berichtet) ist die Luft auch raus. Zu lange mussten wir hierzulande auf die App warten und fraglich ist, ob sie sich genug Menschen herunterladen. „Wenn wir in den nächsten Wochen einige Millionen Bürger von der App überzeugen, bin ich schon zufrieden“, schränkt der Gesundheitsminister ein. Die App sei kein Allheilmittel, sondern nur ein „weiteres wichtiges Werkzeug, um die Infektionszahlen niedrig zu halten. „Es ist klar, dass die App nicht dazu führen darf, dass der einzelne leichtsinniger im Umgang mit Kontakten ist“, warnte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Vorfeld. Zweifel gibt es weniger hinsichtlich der Technik. Sollten zu wenige Bürger das kleine Programm installieren und verwenden, ist der Nutzen gering. Eine verpflichtende Installation ist zumindest jetzt noch nicht geplant.
Apropos Technik: Dass Spahns große Leidenschaft der Health IT gehört, ist kein Geheimnis. Er ließ im Hintergrund eine Applikation programmieren, um den Immunitätsstatus von Patienten zu erfassen (DocCheck hat berichtet). Kritik kam nicht nur von Datenschützern. Es war auch fraglich, ob die Testkapazitäten ausgereicht hätten, um bundesweit fast alle Menschen mehrfach zu untersuchen, bis man neutralisierende Antikörper findet.
Trotz einiger Pannen ist Deutschland in der Krise gut aufgestellt. Ob die geplanten Maßnahmen aber ausreichen, um eine zweite Welle zu verhindern und ob das Budget zur Aufgabe passt, muss sich erst noch zeigen.
Bildquelle: Gabriel Gusmao/Unsplash