Coronaviren treiben schon seit Jahren ihr Unwesen. Warum gibt es also noch keine zugelassenen Impfstoffe oder Therapeutika? Sollte der Staat Pharmahersteller zwingen, mehr Geld in weniger rentable Forschungsfelder zu investieren?
Die Erfolgsorientierung von Pharmaunternehmen ist Kritikern ein Dorn im Auge.Sie finden, Big Pharma würde zu wenig in die Erforschung von Wirkstoffen investieren, die wenig gewinnbringend sind. Das zeigt sich insbesondere auch in der der jetzigen Krise. „Corona traf Big Pharma völlig unvorbereitet. Keiner der 20 größten Pillen-Konzerne hat zu den Vorgänger-Viren von Sars-CoV-2 wie SARS-1 und MERS geforscht“, teilt das Netzwerk Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) gegenüber der taz „Epidemien, die alle paar Jahre einmal auftreten oder auch nicht, bieten eben keine belastbare Kalkulationsgrundlage für die renditeorientierten Geschäftsmodelle von Bayer & Co.“
Sollte der Staat hier mehr regulieren?
Pharmafirmen forschen in der Tat vorallem in Bereichen, in denen viel Geld zu holen ist. Eine Übersicht der Neuzulassungen aus 2019 zeigt, dass es meist um Präparate zur Behandlung von Krebs, Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen geht. Die WHO fordert, gegen vernachlässigte tropische Erkrankungen (neglected tropical diseases) müsse weltweit mehr unternommen werden.
SARS- und MERS-Coronaviren sind gute Beispiele. Bislang existieren keine Therapien auf Basis von RCTs und Impfstoffe sucht man vergebens. Auch bei Ebola bekleckerten sich forschende Hersteller nicht unbedingt mit Ruhm. Das Virus ist seit 1976 bekannt. Erst die Epidemie, die im Februar 2014 begann und offiziell knapp 29.000 Todesopfer zur Folge hatte, löste Panik aus. Seit Ende 2019 gibt es einen zugelassenen Impfstoff.
In der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie sieht die Sache anders aus. Pharmazeutische Hersteller untersuchen zahlreiche Wirkstoffe in Studien. Gilead etwa versucht, Remdesivir veritabel zu positionieren, bislang ohne großen wissenschaftlichen Erfolg. Und Bayer hat laut VFA seine Chloroquin-Produktion gesteigert. Das Molekül galt als Hoffnungsträger. Mittlerweile häufen sich aber die Hiobsbotschaften. An der Suche nach Impfstoffen beteiligen sich große Akteure genauso wie kleine Biotech-Konzerne.
Hier zeigt sich: Die Hoffnung auf Umsatz ist immer noch ein treibender Motor, wenn es um neue Arzneien geht. Das kann man Firmen per se nicht verübeln, schließlich ist ihr primäres Ziel, Gewinne zu machen. Doch sollte der Staat deshalb Hersteller zwingen, zu forschen?
In manchen Kreisen scheint man sich hierzulande einen starken Mann zu wünschen, der pharmazeutischen Herstellern klare Vorgaben erteilt – wie Donald Trump. Er griff kürzlich in seine historische Trickkiste und fand ein Gesetz aus Zeiten des Korea-Krieges. Mit dem „Defence Production Act“ zwang er das US-Unternehemen 3M, insgesamt 166,5 Millionen Schutzmasken für die Mitarbeiter des Gesundheitssystems zu produzieren. Dieses Regelwerk nutzte er auch, um weitere Konzerne zu nötigen, Beatmungsgeräte herzustellen. Das lief wohl besser als erwartet: Teile davon will Trump jetzt weltweit verscherbeln.
Auf solche Ideen kommt man hier nicht. Bevor wir staatliche Reglementierungen der industriellen Forschung fordern, sollten wir Potenziale ausschöpfen, die ohnehin mit Steuergeldern finanziert werden. 18,3 Milliarden Euro umfasst der aktuelle Haushalt für Bildung und Forschung. Teile des Geldes fließen in Hochschulen oder in Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft beziehungsweise der Fraunhofer-Gesellschaft. Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung laufen beispielsweise bereits verschiedene Corona-Projekte. Wo also liegt das Problem?
Öffentlich geförderte Forschung bleiben meist im präklinischen Bereich stecken. Unis oder sonstigen Forschungseinrichtungen fehlt schlichtweg das Geld für klinische Studien. Untersuchungen zufolge schlagen Phase-I-Studien je nach Art der Krankheit mit 1,4 bis 6,6 Millionen US-Dollar zu Buche. Bei Phase-II-Studien sind es 7 bis 20 Millionen US-Dollar und Phase-III-Studien kosten 11 bis 53 Millionen US-Dollar. Das sprengt jeden Rahmen. Firmen wiederum freuen sich, für ein paar Peanuts Patente zu erwerben, statt selbst zu forschen.
Vergessen wir nicht: Wenn Big Pharma bei null beginnt, führen laut Analysen 5.000 bis 10.000 Substanzen zu 12,4 Wirkstoffen in vorklinischen und weiter zu 8,6 Molekülen in Phase-1-Studien. Davon wird dann ein einziger neuer Wirkstoff zugelassen. Besser ist es, Wirkstoff-Kandidaten mit guten präklinischen Daten zu erwerben.
Fazit: Mehr klinische Studien in staatlicher Hand
Bevor wir fordern, Hersteller quasi intellektuell zu enteignen und endgültig aus Europa zu vertreiben, sollten wir lieber überlegen, ob die aktuelle Verteilung von Steuergeldern gerechtfertigt ist. Oder ob man vielleicht ein paar Prozent des Verteidigungshaushaltes (45,2 Milliarden Euro) lieber dazu verwenden sollte, klinische Studien aus öffentlicher Hand zu fördern.
Bildquelle: National Cancer Institute, unsplash