Im Jahr 2001 wurde Bayer das Patent für Ciprobay® mit dem Wirkstoff Ciprofloxacin entzogen. Könnte sich so ein Szenario wiederholen, wenn ein Medikament gegen COVID-19 auf den Markt kommt?
Die Coronakrise zieht viele Existenzen in den Abgrund. Und doch gibt es Profiteure, die sich am Leid der anderen gesundstoßen. Da sind die Atemschutzmaskenverkäufer, die innerhalb einer Woche vom Kleinunternehmer zum Millionär wurden. Und die Verkäufer von zweifelhaften Coronaschutzsprays, die mit der Angst der Menschen Geschäfte machen (ich schrieb an anderer Stelle schon darüber).
Aber auch Pharmakonzerne profitieren – ganz besonders dann, wenn sie ein Patent auf ein Medikament oder eine bestimmte Technologie halten, die helfen könnte. Sollte sich der Staat hier mehr einmischen?
Man stelle sich einmal vor, es gäbe einen extrem effektiven Filter, der für Feinstaub entwickelt wurde. Ein findiger Ingenieur kommt nun auf die Idee, diesen in spezielle Coronamasken einzusetzen, die auf diese Weise deutlich besser schützen, als die herkömmlichen Mund-Nase-Masken. Doch die im Filter verwendete Technologie unterliegt leider einem Patent. Bekanntlich gewährt das Patentrecht dem Erfinder die exklusiven Rechte an der neuen von ihm entwickelten Technologie, selbst wenn ein anderer damit Menschenleben retten könnte.
Bei vielen werden in diesem Zusammenhang außerdem die Erinnerungen an das Jahr 2001 wach. Damals hielt die Angst vor einem Anschlag mit Milzbranderregern die USA in Atem, und das einzige zugelassene Medikament zur Behandlung – Ciprobay® mit dem Wirkstoff Ciprofloxacin – aus dem Hause Bayer war auf einmal sehr begehrt. So begehrt, dass die Regierungen der USA und Kanada damals drastische Preissenkungen von Bayer erzwangen. Im Vorfeld hatte der damalige US-Gesundheitsminister Tommy Thompson der Firma damit gedroht, trotz des gültigen Patentes auf den Wirkstoff, wie Kanada es zuvor bereits ermächtigt hatte, von anderen Firmen entsprechende Generika produzieren zu lassen.
Hier ergeben sich gleich mehrere Fragen. Ist es vertretbar, dass eine Regierung sich über die Patente von Firmen oder Einzelpersonen – auch denen, die in anderen Staaten ansässig sind – hinwegsetzt, wenn sich um eine gesundheitliche Krisensituation handelt? Wo bleibt da der Schutz des geistigen Eigentums? Wird denn noch ausreichend weitergeforscht, wenn das Ergebnis dieser Leistungen jederzeit annektiert werden könnte?
Zur Förderung der technischen Innovation und des Technologietransfers wurde dazu im Jahr 1994 das sogenannte TRIPS-Abkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) beschlossen. Zu deutsch: das „Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“. Es bildet eine Grundlage der Welthandelsorganisation (WTO) und setzt Mindeststandards zum Schutz von Urheberrechten, Erfindern selbst oder deren Betriebsgeheimnissen. Ein Patentinhaber hat dadurch für mindestens 20 Jahre ein exklusives Vermarktungsrecht, wofür er im Gegenzug seine Erfindung offenlegen muss, damit sie für die weitere Forschung und Entwicklung genutzt werden kann.
Bei Medikamenten sieht dieses Abkommen jedoch bereits Ausnahmen für Entwicklungsländer vor, die sich die Kosten für bestimmte Arzneimittel nicht leisten können. Mitgliedsstaaten der WTO dürfen Zwangslizenzen für die Produktion von Medikamenten vergeben, wenn es zuvor Verhandlungen mit dem Patenteigentümer gegeben hat und diese gescheitert sind. In diesem Fall dürfen Medikamente lokal oder in Drittländern zum Import hergestellt und kostengünstiger abgegeben werden.
Auch ein nationaler Notstand, besondere Dringlichkeit und ein öffentliches Interesse würden die Vergabe solcher Zwangslizenzen rechtfertigen. Diese Punkte treffen auf die Corona-Pandemie zweifellos zu.
Daher fordern nun Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, dass Pharmafirmen zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 auf Patente für Medikamente, Impfstoffe und Tests verzichten müssen. Sie fordern die Regierungen auf, „den Zugang zu diesen Instrumenten gegen das Coronavirus sicher(zu)stellen, indem sie Patente aussetzen oder aufheben oder Preiskontrollen einführen“. Sie sind der Meinung, „dass Patentmonopole nicht zu überhöhten Preisen, einem eingeschränkten Zugang und letztlich zum Verlust von Menschenleben führen“ dürfen.
Bildquelle: Ärzte ohne Grenzen
Nun passt es leider voll ins Bild, dass der derzeit aussichtsreichste Wirkstoff- Kandidat gegen COVID-19 ausgerechnet Remdesivir ist, auf den der Hersteller Gilead noch ein Patent hält. Ausgerechnet Gilead, die mit ihrer Preispolitik zu den Wirkstoffen gegen HIV oder Hepatitis C in den letzten Jahren so häufig unangenehm aufgefallen sind. An dieser Stelle muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass der tatsächliche Nutzen von Remdesivir für COVID-19-Patienten noch unklar ist (DocCheck News berichtete hier und hier).
Hier gab es schon vor Jahren einen offenen Brief, mit der Aufforderung, die Preise für Hepatitis-C-Medikamente auf ein erschwingliches Level zu senken, alle Länder niedrigen und mittleren Einkommens in die „freiwilligen Lizenzvereinbarungen“ einzuschließen und von den Beschränkungen für Produktion und Handel bestimmter Wirkstoffgruppen abzulassen. Zusätzlich wurden die Versuche des Konzerns kritisiert, den abgelaufenen Patentschutz für das HIV-Medikament Truvada® zu verlängern.
Im Jahr 2017 wurde Gilead scharf von Othoman Mellouk, offizieller Vertreter der International Treatment Preparedness Coalition (ITPC) bei einem Kongress für die Preispolitik der vergangenen Jahre kritisiert. Mellouk prangerte an, dass der Konzern durch seine überhöhten Medikamentenpreise die Gesundheitsbudgets vieler Länder geplündert und durch unfaire Monopolisierungen das Patentsystem missbraucht habe. Er bescheinigte Gilead eine unersättliche Gier. Auch die Tagesschau nennt Gilead unter anderem aufgrund der vergangenen Preisdiskussionen einen „hässlichen Hoffnungsträger“.
Gerade in Krisenzeiten gibt es reichlich Verlierer und einige wenige Gewinner, die exorbitant viel verdienen. Das ist sicher bedauerlich, liegt aber in der Natur der Sache. Wenn also einige Privatpersonen oder Firmen Profite aus der Krise ziehen, dann ist das nicht per se unanständig, so lange alle Menschen, die auf die Technologie oder die Medikamente angewiesen sind, diese auch erhalten.
Wenn aber die Gesundheit der Mehrheit der Bevölkerung in Gefahr ist, haben die Regierungen glücklicherweise ein starkes Instrument in der Hand, um einzugreifen – selbst wenn die entsprechenden Patente noch gültig sind. Und das werden sie ohne Zweifel auch anwenden, wenn die Produktion durch die Patentinhaber nicht nachkommt, oder die Produkte selbst zu teuer werden. Sollte sich also Remdesivir als hilfreich im Kampf gegen Corona erweisen, dann wird es Gilead vermutlich nicht anders ergehen als Bayer im Jahr 2001. Und das ist auch gut so.
Bildquelle: Aleks Dahlberg/Unsplash