Gerade häufen sich Berichte über SARS-CoV-2-Ausbrüche auf Schiffen. Aber auch vor der Corona-Pandemie kam es immer wieder zu diversen Infektionen. Warum wird die Kreuzfahrt oft zum Alptraum? Und was können Ärzte ihren Patienten empfehlen?
Corona an Bord, hieß es vor wenigen Tagen auf der „Greg Mortimer“. Mitte März war das Kreuzfahrtschiff zu einer längeren Reise in Richtung Antarktis ausgelaufen. Doch nach mehreren SARS-CoV-2-Verdachtsfällen entschied die Crew, ihre Reise vorzeitig abzubrechen. Mittlerweile wurden 128 Passagiere – das sind fast 60 Prozent – positiv auf das neuartige Coronavirus getestet. Auch der Schiffsarzt ist betroffen.
Nach zweiwöchiger Irrfahrt von mehr als 2.600 Kilometern, viele Häfen sind geschlossen worden, darf die „Greg Mortimer“ in Montevideo anliegen, Stand 9.4.2020. Ähnliche Berichte kamen in den letzten Wochen von der „Artania“ (zuletzt in Australien) oder zu Beginn der Pandemie von der „Diamond Princess“ (zuletzt in Japan). Die Liste ist lang. Was macht Kreuzfahrten so gefährlich?
Die Problematik von Infektionen auf hoher See ist nicht neu und bietet keineswegs erst seit SARS-CoV-2 Anlass zur Sorge. An den Centers for Disease Control and Prevention (CDC), Atlanta, erfassen Epidemiologen Krankheitsausbrüche der letzten Jahre bei internationalen Kreuzfahrten. Als Erreger nennen sie Noroviren, Campylobacter, Clostridium perfringens, enterotoxische Escherichia coli (ETEC) oder Influenza-Viren.
Getrieben wird dieser Trend durch den Hang zur Größe: Moderne Kreuzfahrtschiffe gleichen mittlerweile schwimmenden Kleinstädten. Die Top Ten der Luxusliner fassen mühelos 4.000 bis 6.000 Passagiere. Damit haben die Ozeanriesen das gleiche Hygieneproblem wie die industrielle Massentierhaltung.
Bereits im Jahr 2016 machte sich Tim Moore, ein britischer Experte für Kreuzfahrten, auf die Suche nach Erklärungen. Damals trieben vor allem Noroviren ihr Unwesen. „Bevor Passagiere an Bord kommen, ist ein Schiff in jeder Hinsicht frei von Viren“, schreibt Moore in seinem Blog. Eigentümer und Betreiber würden weder Kosten noch Mühen bei der Desinfektion scheuen. Und auf Schiffen stünden überall Spender mit Desinfektionsmitteln. „Während der gesamten Fahrt ist die Besatzung ständig dabei zu sehen, wie sie die Handläufe rund um das Schiff desinfiziert“, ergänzt Moore. Zu den Mahlzeiten, aber auch bei der Ankunft auf dem Schiff, sei es am Tag der Einschiffung oder bei der Rückkehr von einer Landpartie, werde erwartet, die Hände zu desinfizieren. Sein Fazit: „Norovirus fängt man nicht vom Kreuzfahrtschiff, sondern von anderen Passagieren ein.“ Er selbst habe beobachtet, dass sich manche Gäste nicht an Regeln hielten und Formulare zum eigenen Gesundheitszustand falsch ausfüllten.
Moore selbst geht in seinem Statement auf Schmierinfektionen ein. SARS-CoV-2 hingegen wird zwar primär per Aerosol übertragen. „Ein bisher unterschätztes Risiko ist womöglich, dass wir auch in Stuhlproben der Patienten per PCR-Diagnostik in der Initialphase von COVID-19 durchaus relevante Mengen von SARS-CoV-2 nachweisen konnten“, sagt Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin am München Klinik Schwabing. „Es wäre also durchaus denkbar, dass es selbst beim Toilettengang im Kreuzfahrtschiff zu Infektionen kommen kann oder auch nur über gemeinsam benutzte Toiletten.“
Weitaus größere Gefahren sind bei neuartigen Coronaviren jedoch in aerogenen Übertragungswegen zu suchen. „Die Klimaanlagen von Kreuzfahrtschiffen mischen Außenluft mit Innenluft, um Energie zu sparen“, erklärt Prof. Dr. Qingyan Chen. Er ist Experte für die Verbreitung von Viren und Bakterien in Verkehrsmitteln und forscht an der Purdue University. Chen: „Das Problem ist, dass diese Systeme keine sehr kleinen Partikel herausfiltern können. Wenn das Coronavirus ungefähr die gleiche Größe wie SARS hat, würde die Klimaanlage das Virus in jede Kabine befördern.“ Dies könnten nur sogenannte Schwebstofffilter, auch HEPA-Filter (High Efficiency Particulate Air filter) genannt. Sie werden in Flugzeugen, aber nicht in Zügen, Schiffen, Bussen oder U-Bahnen eingesetzt.
Das bestätigt Wendtner ebenfalls: „Auf Kreuzfahrtschiffen gibt es soweit ich weiß keine Klimaanlagen mit Hepa-Filtern. Das würde bedeuten, eine Infektion könnte dort auch über geschlossene Räume erfolgen.“
Auch die Demographie spielt eine Rolle. Laut Statistiken der Cruise Lines International Association (CLIA) sind Reisende auf Kreuzfahrtschiffen zwischen 60 und 69 Jahren (ca. 19 Prozent) die häufigste Zielgruppe, gefolgt von 50- bis 50-Jährigen (18 Prozent), 40- bis 49-Jährigen (ca. 15 Prozent) und der Gruppe ab 70 Jahren (14 Prozent).
Zum Hintergrund: Bei der Immunität spielen T-Zellen eine entscheidende Rolle. Sie werden im Thymus, einer Drüse oberhalb des Herzens, produtiert. „Der Thymus bildet sich nach der Pubertät kontinuierlich zurück“, erklärt Prof. Dr. Andreas Thiel vom Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien in Berlin. „Im gleichen Maße nimmt auch die Menge der im Thymus gebildeten Abwehrzellen im Laufe des Alterns natürlicherweise ab. Das könnte ein Grund sein, warum das Immunsystem bei älteren Personen nicht mehr angemessen auf die Impfung reagieren kann.“
Bislang kennen Ärzte den Effekt vom Impfen: Senioren sprechen teilweise nicht ausreichend auf Vakzine an. Aber auch bei sonstigen Infektionen könnte der Effekt eine Rolle spielen. Im Laufe unseres Lebens kommen wir mit verschiedenen Coronaviren in Kontakt. Dazu zählen vor allem Erkältungskrankheiten nach Infektion mit den humanen Coronaviren 229E, OC43, NL63 bzw. HkuV. Eine mögliche Kreuzimmunität zu SARS-CoV-2 gilt als wahrscheinlich. Und genau diese wird mit zunehmenden Lebensjahren möglicherweise schwächer.
Patienten, die wegen rheumatoider Arthritis oder anderer Autoimmunerkrankungen eine immunsuppressive Therapie erhalten, sind ebenfalls gefährdet.
Punkt 4: Hohe Virusdosen an Bord
Die letzten Wochen haben aber gezeigt, dass sich auch jüngere Passagiere mit SARS-CoV-2 infizieren und an COVID-19 erkranken. Eine mögliche Erklärung liefern Prof. Dr. Joshua D. Rabinowitz und Dr. Caroline R. Bartman, beide von der Princeton University (DocCheck hat berichtet). „Die Bedeutung der Virusdosis wird in Diskussionen über das Coronavirus übersehen“, schreiben die Experten. „Wie bei jedem anderen Gift sind Viren in größeren Mengen normalerweise gefährlicher. Und weiter: „Kleine anfängliche Expositionen führen tendenziell eher zu leichten oder asymptomatischen Infektionen, während größere Dosen tödlich sein können.“ Dosisabhängigkeiten seien aus vielen Bereichen bekannt; bei Mäusen habe man dies auch im virologischen Bereich experimentell gezeigt, auch bei anderen Coronaviren.
Ein Blick in die jüngere virologische Geschichte zeigt, dass der Aspekt auch bei Menschen von Bedeutung ist. Rabinowitz und Bartman zufolge habe während des SARS-Ausbruchs 2003 in Hongkong ein Patient viele andere, die im selben Wohngebäude lebten, infiziert. Insgesamt seien 19 Menschen gestorben. Die Mortalität war weitaus höher als bei sonstigen SARS-Infektion in Hongkong. Rabinowitz und Bartman führen dies auf eine höhere Exposition zurück: Viren zirkulierten ungehindert über längere Zeit via Klimaanlage. Sie liefern damit einen weiteren Erklärungsansatz: Hohe Virusdosen an Bord von Schiffen führen zu mehr Infektionen und zu mehr schwerwiegenden Erkrankungen.
Was lässt sich daraus ableiten? Früher oder später wird die Corona-Pandemie vorbeigehen. Nach dem Lockdown dauert es sicher einige Zeit, bis sich unser Alltagsleben normalisiert. Aber die Lust der Deutschen, zu reisen, ist groß. Ärzten bleibt nur, Senioren oder Menschen mit Vorerkrankungen einige Tipps an die Hand zu geben: