Medizinisches Personal ist hohen Virusdosen von SARS-CoV-2 ausgesetzt. Das könnte den Verlauf und die Schwere einer Infektion beeinflussen, vermuten Experten jetzt.
Im Februar starb der Arzt Li Wenliang im Alter von nur 34 Jahren an den Folgen von COVID-19. Er war der Mediziner, der bereits frühzeitig auf die sich entwickelnde SARS-CoV-2-Epidemie in China aufmerksam machte. Nun haben zwei Autoren in der New York Times gemeinsam einen Artikel veröffentlicht, in dem sie darüber spekulieren, warum der Arzt so jung gestorben ist. Denn junge, ansonsten gesunde Personen weisen kein hohes Risiko auf, an COVID-19 zu sterben.
Bei den Autoren handelt es sich um Joshua D. Rabinowitz, Professor für Chemie und Genomik in Princeton und Caroline R. Bartman, dortige Forschungsstipendiatin. Sie gehen davon aus, dass Li Wenliang durch seine Tätigkeit als Arzt und den Umgang mit schwer an COVID-19 erkrankten Patienten einer besonders hohen Viruskonzentration ausgesetzt war. Und dass auch bei Viren wie SARS-CoV-2 die virale Dosis mit der eine Person in Kontakt kommt, die Schwere der Erkrankung beeinflusst.
So sei bereits für andere Viren, wie beispielsweise für Viren, die Erkältungen oder Durchfallerkrankungen auslösen, bekannt, dass mit steigender Virusdosis auch die Schwere der Symptome zunimmt. Dies sei bereits in Versuchen mit freiwilligen Testpersonen gezeigt worden, schreiben die Autoren in ihrem Artikel. Und auch in Tierversuchen mit Mäusen, die Coronaviren verabreicht bekamen, hätte sich gezeigt, dass diejenigen Tiere, die nur eine geringe Dosis erhielten, sich erholten. Die Tiere, denen eine hohe Virusdosis verbreicht wurden, verstarben jedoch.
Natürlich sei es unethisch, derlei Versuche mit SARS-CoV-2 an Menschen durchzuführen, dennoch sollten den Autoren zufolge diese Erkenntnisse mehr Beachtung finden. So gebe es auch für das neuartige Coronavirus Hinweise darauf, dass die Dosis der Virusexposition von Bedeutung sei. Demnach hätte ein einzelner Patient während des SARS-Ausbruchs im Jahr 2003 in Honkong viele weitere Menschen angesteckt, die mit ihm im gleichen Wohnkomplex lebten, weil sie über die Luft einer hohen Dosis des Virus ausgesetzt gewesen seien. Von diesen verstarben schließlich 19 an den Folgen der Infektion. Während weiter entfernt lebende Nachbarn nicht nur weniger häufig erkrankten, sondern, im Falle einer Infektion, auch seltener daran verstarben.
Dennoch wird laut Rabinowitz und Bartman die Virusdosis in vielen epidemiologischen Modellen nicht beachtet. Dabei müsse bedacht werden, dass nicht alle Expositionen gegenüber SARS-CoV-2 gleich seien. So sei das Betreten eines Gebäudes, in dem sich einmal jemand befand, der mit SARS-CoV-2 infiziert war, weniger gefährlich, als eine Stunde lang neben einer infizierten Person in einem Zug zu sitzen.
Medizinisches Personal ist deswegen auch einem extrem hohen Risiko ausgesetzt, da es mit den kränksten und am stärksten viral belasteten Personen in Kontakt kommt. Die Autoren betonen, dass es deshalb notwendig sei, den Schutzausrüstungen für medizinisches Personal Priorität einzuräumen.
Und auch alle übrigen Menschen sollten dort besonders vorsichtig sein, wo eine hohe Exposition mit SARS-CoV-2 zu befürchten sei, vor allem innerhalb von Gebäuden und wenn Personen eng miteinander interagieren, wie bei persönlichen Treffen. Deshalb seien das Einhalten von sozialer Distanz, das Beachten von Hygienemaßnahmen und auch das Tragen von Masken von großer Bedeutung. Denn so könne die virale Dosis, der eine Person ausgesetzt wird und damit auch die Letalität von auftretenden Infektionen verringert werden.
Zunächst sehen die Autoren im Lockdown den effektivsten Weg, um die Verbreitung von SARS-CoV-2 zu stoppen, obgleich sie sowohl wirtschaftlich als auch psychologisch kostspielig sei. Wenn sich die Gesellschaft langsam wieder öffne, so mahnen Rabinowitz und Bartman an, haben Maßnahmen zur Risikoreduktion eine entscheidende Bedeutung. Demnach müsse genau abgewogen werden, welche Orte zunächst weiterhin geschlossen bleiben, und wo der Zugang zugelassen werden könne. Und auch Maßnahmen wie das Abstandhalten, die Beachtung der Hygiene und das Tragen von Masken sollten im Hinblick auf die Bedeutung der Virusdosis weiterhin befolgt werden.
Textquelle: Rabinowitz JD und Bartman CR / The New York Times
Bildquelle: Leridant~commonswiki / Wikimedia Commons