Künstliche Intelligenz hilft schon heute, Diagnosen zu treffen oder passende Therapien zu finden. Ein Beispiel aus der Zukunft: Allein anhand der Stimme sollen Computer eine Depression diagnostizieren können.
Auch wenn es manchmal so wirkt, als gäbe es lernende Tools wie einen Operations-Risiko-Kalkulator (mehr dazu hier) nur in futuristischer Ferne – das stimmt nicht. Längst sind sie im Einsatz, zum Beispiel in Form von Entscheidungshilfe-Systemen. „Seit etwa fünf Jahren gibt es eine Reihe von CE-zertifizierten KI-Tools für ganz unterschiedliche Anwendungsbereiche“, sagt Michael Forsting, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am Universitätsklinikum Essen. Über intelligente Tools weiß er: „Diese werden in Kliniken oder von niedergelassenen Ärzten auch bereits eingesetzt. Es handelt sich dabei bisher um relativ einfache, aber hoch relevante Anwendungen.“
So kann man das Knochenalter anhand von KI bestimmen, gleiches gilt für Hautkrebs oder Blutungen. Das Gehirnvolumen lässt sich auf diese Weise messen oder die Zahl entzündlicher Veränderungen im Gehirn bei einer Multiplen Sklerose bestimmen. Durch die immer höhere Rechenleistung der Computer und bessere Graphikkarten wachsen zugleich die Möglichkeiten, neue Tools, die viel Rechenleistung benötigen, zu entwickeln. Die mögliche Schwachstelle solcher Anwendungen: Sie können zu falschen Ergebnissen führen, etwa, wenn zu wenig Trainingsdaten vorliegen oder die Daten zu wenig Variation haben. Dem versuchen Forscher entgegenzuwirken, indem sie die Daten zum Teil simulieren oder mit synthetischen Daten arbeiten.
„In der Radiologie oder der Labormedizin werden KI-Tools schon relativ häufig eingesetzt“, berichtet Forsting. „In diesen Bereichen ist ja alles schon seit längerer Zeit digital. Durch die Vielzahl der Daten ist die Vorhersagegenauigkeit der Rechenalgorithmen sehr hoch und es passieren relativ wenig Fehler.“ Große Chancen sieht der Radiologe auch bei der Krebserkennung und der Charakterisierung von Tumoren. „Mithilfe von KI könnte es in Zukunft möglich sein, einen Tumor zu erkennen, den Typ der Krebszellen zu bestimmen und die Eigenschaften des Tumors, etwa seine Bösartigkeit, genau einzustufen“, so der Experte. „Daraus könnte dann eine individualisierte Therapie abgeleitet werden, mit der der Tumor bestmöglich bekämpft werden kann.“
In diesem Bereich gebe es schon eine ganze Reihe von Studien – in der klinischen Routine seien die Tools aber noch nicht einsetzbar. „Die Abläufe sind hier ganz ähnlich wie bei der Entwicklung eines Medikaments“, erläutert Forsting. „Zunächst muss man eine Idee entwickeln, dann den Algorithmus trainieren und im nächsten Schritt Studien durchführen, um die Genauigkeit der Ergebnisse zu prüfen und sie mithilfe größerer Datenmengen immer weiter zu verbessern – bis man das Tool schließlich im klinischen Alltag einsetzen kann.“
Weitere Anwendungen, die sich derzeit in der Entwicklung befinden, sind Tools zur Früherkennung der Alzheimer-Erkrankung mithilfe von Gehirnscans. Aber auch Genanalyse-Tools, bei denen die Daten des Patienten mit Millionen anderen (anonymisierten) Patientendaten abgeglichen werden, seien möglich. Sie ermöglichen eine sehr präzise Diagnose, aus der eine individuell möglichst wirksame Therapie abgeleitet werden könnte.
Die größten Chancen der KI sieht Forsting jedoch in der „sprechenden Medizin“ – also im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie. „Dort ist die Wahrscheinlichkeit, dass Fehler passieren – sei es bei der Diagnostik oder bei der Behandlung – viel größer als in anderen Bereichen der Medizin“, sagt der Experte. „So werden psychische Erkrankungen wie eine Depression häufig übersehen oder falsch diagnostiziert.“ Hier könnten KI-Methoden wesentliche Veränderungen bringen, indem sie zu einer größeren diagnostischen Genauigkeit beitragen und eine gezielte Auswahl möglichst wirksamer Therapiemethoden ermöglichen, so Forsting.
Forscher haben zum Beispiel bereits KI-Tools entwickelt, die gesprochene oder geschriebene Sprache analysieren und daraus mit relativ hoher Genauigkeit erkennen, ob jemand an einer Depression leidet oder in naher Zukunft an einer Psychose erkranken wird. Solche Anwendungen könnten in Zukunft zum Nutzen der Patienten eingesetzt werden, indem sie Ärzte bei der Diagnostik unterstützen oder die Betroffenen rechtzeitig warnen, wenn diese dabei sind, in eine depressive Episode oder eine Psychose zu geraten. Vorausgesetzt, die Patienten sind damit einverstanden.
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