27. Januar 2020: Frankeich meldet drei Fälle von Infektionen mit 2019-nCoV. Zwei Verdachtsfälle in den USA ebenfalls bestätigt. Experten kritisieren: Chinas Quarantäne-Strategie ist nicht aufgegangen. Patienten hoffen auf Impfstoffe und Arzneimittel.
Französische Gesundheitsbehörden haben drei Fälle mit Verdacht auf 2019-nCoV-Infektion bestätigt. Zwei Patienten im Alter von 31 beziehungsweise 30 Jahren werden in Paris stationär behandelt; ein 48-Jähriger ist in Bordeaux untergebracht. Alle waren zuvor in China. Jetzt untersuchen Ärzte Kontaktpersonen, um die Ausbreitung zu verhindern. „Wir müssen eine Epidemie behandeln wie einen Flächenbrand“, erklärte Frankreichs Gesundheitsministerin Agnès Buzyn. Sie appellierte an Reisende, bei unklaren Beschwerden sofort medizinische Hilfe zu suchen – und auf die China-Reise hinzuweisen.
US-Behörden melden zwei bestätigte Fälle in Seattle und Chicago. Die aktuelle Entwicklung hat offizielle Stellen veranlasst, Bürger aus China zu evakuieren.
Deutschland ist bislang verschont geblieben. Es gab mindestens drei Verdachtsfälle. Anhand von PCR-Schnelltests konnten Infektionen mit 2019-nCoV aber ausgeschlossen werden. Das Problem: Langsam beginnt die Grippewelle und Influenzaviren lösen ähnliche Beschwerden aus wie Coronaviren.
Trotzdem ist eine Sache klar: Früher oder später wird es in Deutschland Infektionen geben. „Wichtig ist, dass deutsche Kliniken sich bereits jetzt darauf vorbereiten, solche Patienten behandeln zu können“, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Erwin Rüdel (CDU). Und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ergänzte, derzeit seien zwar Fiebermessungen von China-Reisenden auf deutschen Flughäfen noch nicht sinnvoll. Er gibt dennoch zu bedenken: „Grundsätzlich sollte aber ein solcher Einsatz der Messungen vorbereitet werden.“ Denn das könne „in den nächsten Wochen notwendig werden“. Wie DocCheck berichtete, signalisierte der Flughafenverband ADV, vorbereitet zu sein.
Kontrollen könnten angesichts neuer Hiobsbotschaften aus China bald erforderlich sein. Offizielle Stellen gehen von 2.800 Infizierten aus, am Freitag war von 1.400 bis 1.500 Patienten die Rede. Bestätigt werden auch 80 Todesfälle (24. Januar: 26 Verstorbene). Alle Angaben haben den 27.01., 1:54 Uhr, als Stand.
„Die Entwicklung in den vergangenen Tagen mit einer (fast-)Verdopplung der bestätigten Fälle ist nur zu erklären durch Mensch-zu-Mensch Übertragung“, kommentiert Prof. Bernd Salzberger, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, gegenüber dem Science Media Center. „Der Markt in Wuhan (als vermutliche Quelle) ist ja nun auch schon lange geschlossen – wie jetzt auch die Agglomeration Wuhan.“ Mehr als 45 Millionen Menschen sind praktisch von der Außenwelt abgeschnitten.
„Eine vollständige und lückenlose Quarantäne von Millionenstädten wie Wuhan oder gar von zehn Städten gleichzeitig – wie gegenwärtig in China – ist kaum umsetzbar, da moderne Städte einerseits sehr stark von Transportlogistik und Warenströmen abhängig sind und andererseits der Kontrollaufwand immens wäre“, kritisiert Daniel F. Lorenz von der Katastrophenforschungsstelle der Freien Universität Berlin. Es gebe unterschiedliche Auffassungen zur Sinnhaftigkeit.
„Während das Aussetzen des Fernreiseverkehrs gerade vor dem chinesischen Neujahrsfest die weitere Verbreitung sehr effektiv eindämmen kann, kann das auch dazu führen, dass Personen versuchen, diese Maßnahmen zu umgehen, auf anderen Wegen dennoch reisen oder Krankheitssymptome verstecken“, so der Experte. „Dies wiederum kann bedeuten, dass die effektive Überwachung des Virus schwieriger wird und sich das Virus auch dort verbreitet, wo gegenwärtig nicht damit gerechnet wird und entsprechend wenig Schutzmaßnahmen vorhanden sind.“
Das bestätigt auch Prof. Lawrence O. Gostin vom WHO Collaborating Center on Public Health Law and Human Rights, Washington: „Die massenhafte unfreiwillige Quarantäne in Wuhan und seinen Nachbarstädten ist kontraproduktiv. Es gibt keinen modernen historischen Präzedenzfall für die Schließung einer großen Metropole. Kleinere Quarantänen wie bei der westafrikanischen Ebola-Epidemie haben den Zorn und die Unruhe der Öffentlichkeit angeheizt.“
Er gibt zu bedenken: „Die wichtigste Strategie in einer Krise des öffentlichen Gesundheitswesens ist es, Ruhe zu bewahren und das Vertrauen der Gemeinschaft zu gewinnen. Eine Abriegelung von Wuhan wird die Epidemie in den Untergrund treiben und Angst und Panik auslösen. Einzelpersonen und Familienmitglieder, die Symptome aufweisen, könnten nicht zu Tests und Behandlungen kommen.“
In Wuhan sind indessen bereits die Schutzmasken ausverkauft. „Heute sind alle Einwegmasken ausverkauft, und ich muss mich auf den Bedarf für morgen vorbereiten“, berichtet ein Mitarbeiter eines lokalen Drugstores. Die Nachfrage sei im Vergleich zu der Zeit vor der Krankheit um das zehnfache gestiegen. Viele Herstellerfirmen haben daher trotz der Feiertage wieder geöffnet, um weitere Masken zu produzieren. Es sei allerdings wichtig, zwischen der Art der Masken zu unterscheiden, betonen Experten. Dünne Papiermasken helfen kaum. Sei allerdings ein Metallbügel enthalten, könnte das schon helfen: Die Masken lassen sich so sehr eng an das Gesicht anlegen. Am sichersten seien FFP3-Masken.
„Der Bedarf ist sprunghaft gestiegen. Wir sind übers Wochenende ausverkauft worden“, sagt Helmut Rieger, Geschäftsführer des DocCheck Shops. „Das gilt nicht nur für FFP3-Masken, sondern für Masken aller Art.“ Er habe sich in der Branche umgehört, das ginge allen Händlern so. Das Problem sei, dass diese sogenannten Non-woven Medical Products, zu denen auch die Masken gehören, vor allem in dieser Region Chinas hergestellt werden. „Die Gegend rund um Wuhan könnte man als Produktionshochburg bezeichnen“, sagt Rieger.
Er geht davon aus, dass sich das Problem weiter zuspitzen wird: „Ich rechne damit, dass in China derart viele Masken gekauft werden, dass kaum mehr Produkte das Land verlassen werden. Und dabei wird es nicht bleiben. Ich könnte mir auch vorstellen, dass wir bald einen Lieferengpass beim OP-Mundschutz haben werden. Denn all diese Produkte werden ja größtenteils dort produziert.“
Zeitgleich läuft die Forschung auf Hochtouren – und Wissenschaftler geben sich optimistisch. Dr. Anthony S. Fauci vom National Institute of Allergy and Infectious Diseases, Bethesda, zieht Vergleiche mit SARS. Hier sei es möglich gewesen, das Zeitfenster zwischen der Sequenzierung und der anschließenden Phase-1-Imfstoffstusie auf 3,5 Monate zu minimieren – anfangs lag der Wert bei 20 Monaten.
Außerdem gibt es gegen das verwandte MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus) erste Studien zu Pharmakotherapien. Forscher der University of North Carolina at Chapel Hill untersuchten die Wirkstoffe Remdesivir und Interferon beta. Bei Mäusen verbesserte sich die Lungenfunktion sowohl bei prophylaktischen Gaben mit anschließender Infektion als auch beim therapeutischen Einsatz. Auch die Viruslast konnte verringert werden. Remdesivir kommt aus dem Hause Geilead; der Konzern wollte damit Ebola therapieren, sieht jetzt aber neue Potenziale bei 2019-nCoV.
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