Eine neue Analyse lässt US-Ärzte in einem schlechten Licht dastehen, wenn es um die Opioid-Krise geht. Denn Patienten sind genauso zufrieden, wenn Ärzte ihre Verordnungen reduzieren.
Fast 400.000 Menschen sind zwischen 1999 und 2017 in den USA an den Folgen der Opioid-Welle verstorben, berichtet unter anderem die New York Times. So fatal diese Zahlen sind: Es ist kein Wunder, dass die USA in eine Opioid-Krise geraten sind. Den Umgang von Herstellern und Ärzten mit diesen Pharmaka kann man nicht anders als fahrlässig nennen. Zugespitzt formuliert wurde mit Opioiden geradezu um sich geworfen. Hersteller verharmlosten die Wirkung von Opioiden und drängten Ärzte zur Verordnung hoher Dosen. Weniger Tabletten tun es auch, lautet nun die Kernaussage einer aktuellen Studie.
Christopher E. Louie vom Dartmouth-Hitchcock Medical Center in Lebanon, New Hampshire befasste sich in seiner Arbeit mit drei Faktoren und inwiefern sie miteinander zusammenhängen: Wie häufig werden Medikamente verordnet, wie hoch wird dosiert und wie wirken sich diese Punkte auf die Patientenzufriedenheit aus? Ist sie genau so hoch, wenn der Arzt seltener bzw. weniger Opioide verschreibt? Um das herauszufinden, verglich er im ersten Schritt Verordnungsdaten seines Hauses innerhalb von zwei Zeiträumen:
Seine Analyse umfasste 11 Chirurgen, die 5 unterschiedliche ambulante Routineeingriffe an 996 Personen durchführten. Von allen Patienten füllten 105 (10,5 %) den Fragebogen aus. Sie mussten anhand einer Skala mit 10 Punkten die Zufriedenheit mit ihrer Behandlung angeben. In der Kohorte waren 67 % Frauen, das mittlere Alter lag bei 58 Jahren.
Zwischen beiden Beobachtungszeiträumen sank der Anteil der verordneten Opioide von 90,2 % (367 von 407 Patienten erhielten entsprechende Rezepte) auf 72,8 % (429 von 589 Patienten). Und pro Verordnung verringerte sich die Packungsgröße im Schnitt von 28,3 auf 13,3 Tabletten. Zur Umrechnung verschiedener Wirkstoffe verwendeten die Autoren als Standard 5 mg Oxycodon, was 7,5 mg Morphin entspricht.
Das klingt auf den ersten Blick gut, doch die Ergebnisse lassen Leser etwas ratlos zurück. War die Verringerung der verordneten Mengen aus medizinischem Blickwinkel sinnvoll? Sprich: Wurden in Periode A tatsächlich zu viele Opioide aufgeschrieben? Und wie sieht es bei deutlich schwerwiegenderen OPs im stationären Bereich aus? Für diese Fragen bleibt eine Einschätzung aus.
Soweit, so unklar. Eine Studienaussage ist dafür eindeutig: Die Zufriedenheit von Patienten unterschied sich in beiden Zeiträumen nicht signifikant. Ärzte erreichten auf den Fragebögen 9,7 versus 9,65 von 10 möglichen Punkten. Woran könnte das liegen?
„Älteren Studien zufolge haben Ärzte Patienten mehr Opioide verschrieben, als diese tatsächlich einnahmen“, so Richard Barth, Koautor der Studie, zu Reuters Health. „Jetzt konnten wir zeigen, dass Ärzte Opioidverordnungen drastisch senken können und dass sich die Zufriedenheit der Patienten nicht ändert.“
Damit trifft Bart des Pudels Kern. Die US-Opioidkrise wurde nicht nur durch geldgierige Hersteller und durch wenig verantwortungsbewusste Ärzte ausgelöst. Bart sieht auch in der alltäglichen Verfügbarkeit ein gravierendes Problem. „Je mehr Opioide ungenutzt in den Haushalten herumstehen, desto häufiger landen die Substanzen bei Freunden oder Verwandten oder werden selbst weitergenommen, wenn auch nicht aus den medizinischen Gründen“, warnt auch Prof. Christoph Stein in der Welt. Er ist Direktor der Klinik für Anaesthesiologie und operative Intensivmedizin an der Charité Berlin. „Und dann geht die Suchtproblematik los.“
Ein derart leichtsinniges Verhältnis zu Pharmaka hilft nicht gerade dabei, Medikamentenabhängigkeit und -missbrauch einzudämmen. Hier hat Deutschlands Bürokratie tatsächlich mal ihre guten Seiten. Die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) definiert Höchstmengen – und davon darf nur in begründeten Einzelfällen abgewichen werden.
In den USA wären flächendeckende Schulungen für Ärzte zur richtigen Opioidverordnung, wie sie im Rahmen der Studie durchgeführt wurden, womöglich ein vernünftiger Ansatz, um die Krise in den Griff zu bekommen. Im Land geht es jetzt aber erstmal um die juristische Aufarbeitung. Hersteller, die jahrzehntelang bekannte Risiken verharmlost und über Business-to-Client-Werbung Begehrlichkeiten bei Kunden geweckt haben, werden zur Rechenschaft gezogen. Auch die zahlreichen Kontakte zu Ärzten, die ihnen vorgeworfen werden, stehen dabei im Fokus. So hat ein Gericht kürzlich entschieden, dass Johnson & Johnson 465 Millionen Dollar bezahlen muss. Der Fall gilt als richtungsweisend für tausende ähnlicher Klagen.
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