E-Scooter sind die neue Gefahr im Straßenverkehr, denken viele. Diese Meinung ist auch unter Ärzten beliebt. Ich finde die Panik ziemlich übertrieben.
In den DocCheck News gab ein Unfallchirurg letzte Woche seine Meinung zu E-Scootern und den damit verbundenen Gefahren ab. Wie man in den Kommentaren zum Artikel lesen kann, sind wohl die meisten Leser skeptisch gegenüber dieser Art der Fortbewegung. Ich finde das alles ziemlich übertrieben.
E-Scooter, E-Fahrräder, E überall – erstmal sind E-Scooter Fahrzeuge mit denen man am Straßenverkehr teilnehmen kann. Das kann man mit Turnschuhen auch. Was sie unterscheidet, ist, dass sich mit wenig Aufwand, fast unhörbar hohen Geschwindigkeiten erreichen lassen, bei denen schwere Verletzungen möglich sind – insbesondere, wenn die Unfallgegner ein Auto fahren oder als Fußgänger unterwegs sind. Und weil das neu ist und es neue Unfallmuster gibt und der Deutsche allem Neuen gegenüber erstmal prinzipiell skeptisch ist, wird das verteufelt, was da auf uns zukommt.
Tatsächlich muss man erstmal abwarten ob es wirklich so viel mehr Unfälle gibt. Vielleicht ist es nur eine Umstellung, vielleicht müssen wir einfach mal mehr aufeinander achten und Rücksicht nehmen. Diese Forderung kommt nicht vom Bundespräsidenten sondern von der DGOU, der deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Im Moment hagelt es Pressemeldungen sobald jemand mit einem E-Scooter verunfallt. Die neue E-Mobilität polarisiert. Kein Käseblatt hätte berichtet, wenn dieser Unfall (41J. weiblich mit E-Scooter, falsche Richtung bei Rot über die Straße) mit einem Fahrrad passiert wäre. Da steht dann „Schwerer Unfall mit E-Scooter“.
Man hätte auch was anderes schreiben können. Sowas wie „Schwerer Unfall nach Rotverstoß – Frau fährt auf der falschen Straßenseite und wird von PKW erfasst“. Andersherum ist es aber spektakulärer. Und weil es so nicht nur im Hamburger Abendblatt steht, sondern auch noch in 30 anderen Zeitungen und Onlinemeldungen, erscheint es uns wichtig. Potzblitz, schon wieder ein Unfall mit einem E-Scooter. Schlimm diese Dinger.
Im Deutschlandfunk hat mal ein Soziologe dieses Phänomen gut auf den Punkt gebracht. Unsere Wahrnehmung und die Verarbeitung von Informationen funktioniert immer noch wie früher als wir in einem Dorf mit 500 Leuten gelebt haben. Die Reichweite hat sich geändert, die ganze Welt und alles Spektakuläre was in der Welt passiert, läuft auf unseren Fernseher und kommt per Push-Nachricht direkt aufs Smartphone. Das Dorf ist groß geworden, wir halten uns für aufgeklärt und global denkend, unsere Wahrnehmung bleibt die eines Bauern im 500-Seelen-Dorf.
Ich erinnere mich mit viel Mühe an zwei oder drei Unfälle mit Bezug zur E-Mobilität. Allesamt Rentner, allesamt E-Bikes und einmal wegen schwerer Alkoholintoxikation (nach Sturz mit E-Bike) und zwei Mal mit Antikoagulation (nach schwerem Sturz mit E-Bike) bei uns im Schockraum gelandet. Kein einziger E-Scooter-Unfall, weder im Rettungshubschrauber, noch als Notarzt oder als Anästhesist im Schockraum. Also habe ich mal mit unseren Chirurgen gesprochen und selbst die finden, dass das für sie keine konkrete Relevanz hat.
Das ist sicher alles nicht repräsentativ und man muss da vor allem mal zukünftige Statistiken abwarten. Die Gesamtzahl der Verletzungen müsste in Verhältnis zu den gefahrenen Kilometern, zur Anzahl der Einwohner gesetzt werde und so weiter. Ein Unfall pro Woche oder auch 20 Unfälle am Tag heißen für sich erstmal gar nichts.
Für den Moment lässt sich aber sagen, dass wir hier in einem der größten Unfallkrankenhäuser mit großem notfallmedizinischen Schwerpunkt bisher keine bis kaum merkliche die Auswirkungen der E-Mobilität spüren.
Mich nerven auch die Touris, die den E-Scooter zu zweit auf der falschen Straßenseite fahren. Die sind für 1-2 Tage in der Stadt, wollen das mal testen und genau so sieht das auch aus. Klar, das nervt die Anwohner, aber ich denke, dass das ein Hype ist, der sich dann auch irgendwann legt, wenn jeder mal so ein Ding gefahren ist.
Ehrlich gesagt wundere ich mich schon, dass wir nicht mehr relevante Kopfverletzungen haben. Gefühlt fahren 90 % ohne Helm und gefährlich ist beim Roller vor allem, dass der Schwerpunkt – anders als beim Fahrrad – sehr viel weiter vorne liegt. Bei einer Vollbremsung muss man sich also nach hinten lehnen um zu verhindern, dass der E-Roller nach vorne umkippt.
Ich werde das mal hier zur Wiedervorlage setzen und in einem Jahr erneut berichten. Dann wird es wahrscheinlich niemanden mehr interessieren, aber manchmal ist das ja auch ganz gut zu sehen, was aus so vermeintlichen Aufregerthemen wurde. So wie damals die Horden von BSE-Zombies, die befürchtet wurden. Aber vielleicht kommt das ja auch noch.
Bildquelle: Marek Rucinski, Unsplash