„In unserer Notaufnahme haben wir vier bis fünf Fälle in der Woche“, sagt Dr. Pförringer. Es geht um Unfälle mit E-Scootern. Wo liegen die Probleme mit den neuen Rollern? Wir sprechen mit dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Mit welchen Verletzungen kommen die E-Scooter-Opfer in die Notaufnahme? In einer kalifornischen Studie von Anfang des Jahres ging man genau dieser Frage auf den Grund. Die Forscher analysierten Verletzungen von 249 Patienten, die einen Unfall in Verbindung mit E-Stehrollern wie zum Beispiel der Hersteller Lime oder E-Flux hatten. Davon waren 228 Personen am Steuer, die anderen 21 waren andere Verkehrsteilnehmer.
Das Verletzungs-Ranking der Studienautoren: Kopfverletzungen (40,2 %), gefolgt von Frakturen (31,7 %) und Weichteilverletzungen (27,7 %). Etwa 10 Prozent der Patienten waren jünger als 18 Jahre und nur 4,4 Prozent trugen einen Helm. „In der Regel ist die obere Extremität oder der Kopf betroffen“, bestätigt Dominik Pförringer aus der Praxis. Als typische Beschwerden nennt der Orthopäde und Unfallchirurg Schürfwunden, Prellungen, Zerrungen bis hin zu echten Frakturen, die operativ behandelt werden müssen und Schädel-Hirn-Traumata, sprich Gehirnerschütterungen.
„Zu den Unfällen kommt es, weil man mit den E-Scootern (noch) nicht rechnet“, sagt Pförringer. „Die Straßenverkehrsteilnehmer sind nicht so richtig darauf vorbereitet, dass ein Gefährt mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h auf diversen Wegen um die Ecke kommt.“ Auch hier gelten Straßenregeln, nur beachtet würden sie selten, sagt der Arzt. Außerdem werde das Gefahrenmoment unterschätzt. „Die Scooter werden einfach nicht als vollwertiges Fahrzeug wahrgenommen. Beim Thema Alkohol herrscht anscheinend eine deutlich niedrigere Hemmschwelle, die eingeschränkte Fahrtüchtigkeit zu ignorieren, wenn man auf so einen Roller steigt“, berichtet der Arzt aus Erfahrung. Erschwerend komme noch hinzu, dass nicht selten mehr als eine Person auf dem Scooter fährt. „Bis zu vier Mann auf einem Roller habe ich schon beobachtet“, erzählt er. Dadurch verlangsame sich so ein Stehroller immerhin, für die Fahrer selbst werde es aber umso schwieriger, das Gleichgewicht zu halten.
Dabei könnte ein Teil dieser Unfälle durch Sicherheitsmaßnahmen verhindert werden. „Ich sehe auf den Homepages einiger Herstellers eine Anleitung, jedoch ist die nicht besonders informativ“, so der Orthopäde. Dort findet man Tipps in Form von Abbildungen, zum Beispiel eine Illustration, in der richtiges Parken oder Bremsen abgebildet wird.
Zu sehen ist auch ein Bild mit einem Helm, dazu der Text: „Always follow helmet laws.“ Nur gibt es in Deutschland keine Gesetze, die einen Helm vorschreiben. Und bei keinem der E-Scooter-Modelle ist ein Helm dabei. Pförringer: „Das Fahren mit so einem Roller ist eine spontane Angelegenheit. Let’s keep it real: Es wird wohl kaum Leute geben, die immer einen Helm dabei haben, um jederzeit mit dem E-Scooter fahren zu können.“
Als Hauptunfallgründe sieht der Unfallchirurg folgende Faktoren: „Wenn sich die Oberfläche beispielsweise von Trottoir auf Straße oder gar Kopfsteinpflaster ändert, ist das für ein Gefährt mit so kleinen Rädern eine Herausforderung, auf die man nicht eingestellt ist. Stürze sind keine Seltenheit.“ Auch gefährlich: zu eng gefahrene Kurven und das Fahren in Gruppen. Oft beobachte er mehrere Fahrer nebeneinander, die auf diese Weise zum einen den Verkehr beeinträchtigen und sich zum anderen gegenseitig gefährden.
Weil die elektronischen Stehroller keine Blinker haben, soll man laut Herstellern Handzeichen geben. Was an der Stelle nicht beachtet wird: Das kann ganz schön gefährlich werden. „Man soll also die Hand vom Lenker nehmen? Bloß nicht – der Unfall ist quasi vorprogrammiert“, weiß Pförringer aus Erfahrung. Besser wäre es seiner Ansicht nach, die zukünftige Generation von E-Scootern mit einem Blinker auszustatten.
„Ich möchte nicht der Spaßverderber der Nation sein“, betont Pförringer. In der Erfindung des E-Scooters sehe er durchaus Potenzial und einen hohen Spaßfaktor. „So etwas wie eine Art Fahrradführerschein wäre wahrscheinlich nicht das Dümmste.“ Außerdem wünscht er sich eine ausführlichere Anleitung in Form eines Videos, die Benutzer sich vor der Inbetriebnahme ansehen können. Der in München praktizierende Arzt rechnet demnächst mit einer Anhäufung von E-Scooter-Unfällen. Nicht nur, weil das Oktoberfest kurz bevorsteht, sondern auch in Hinsicht auf die kältere Jahreszeit. „Wir haben jetzt August. Spätestens wenn Regen, Eis und Schnee auf die Straßen kommen, wird das Ausmaß der Unfälle ein anderes sein“, ist er überzeugt.
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