Die WHO hat ihre Liste der wichtigsten Arzneistoffe erneuert. Die Medikamente sollen in allen Ländern verfügbar gemacht werden. Doch die Sache hat einen Haken.
Seit 1977 veröffentlicht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) regelmäßig Zusammenstellungen essenzieller Medikamente. Die aktuellste Fassung vom Juli 2019 sorgt nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch für Diskussionen. Denn in der Vergangenheit konzentrierte sich die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der WHO fast ausschließlich auf preisgünstige, generisch verfügbare Arzneimittel. Doch der Druck, innovative Therapien aufzunehmen, ist groß.
So werden im onkologischen Bereich unter anderem die hochpreisigen Checkpoint-Inhibitoren Nivolumab und Pembrolizumab als „notwendig“ eingestuft. Bei den zielgerichteten Therapien findet man auch Lenalidomid beziehungsweise Thalidomid. Die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) sind im Dokument als Alternative zu Cumarin-Derivaten zu finden.
Alle Präparate der Zusammenstellung sollten weltweit verfügbar sein. Das stellt Länder mit niedrigen Gesundheitsbudgets vor Probleme: Wie sollen ihre begrenzten Ressourcen verteilt werden? Was hier auffällt: Innovative Arzneistoffe sind eigentlich oft preisgünstig herzustellen.
Laut Recherchen der Financial Times liegen die reinen Produktionskosten einer Monatsdosis Afatinib (Giotrif®), das zur Behandlung von Lungenkrebs verordnet wird, bei 8,85 US-Dollar. Und Lenalidomid (z.B. Revlimid®) zur Behandlung des multiplen Myeloms schlägt mit 2,55 US-Dollar pro Monat zu Buche. Die Einnahmen sind dagegen um einiges höher. Aktuell liegen sie bei rund 9.000 beziehungsweise 19.000 US-Dollar in Amerika.
Solche Einnahmen durch patentgeschützte Wirkstoffe finanzieren zwar die Entwicklung sowie weitere Forschungsprojekte und freuen die Aktionäre – allerdings sperren sie auch viele Länder von der Versorgung aus. Als Alternative bleibt Regierungen bisher nur, Zwangslizenzen zu verhängen.
Doch diese Strategie läuft nicht rund. Das Patentrecht bietet diese Möglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen, darunter großes öffentliches Interesse. Konzerne kontern aber mit Klagen gegen solche Eingriffe.
Wer auch immer gewinnen mag: Die Sache zieht sich in die Länge. Deshalb wurde im Jahr 2010 mit Unterstützung der Vereinten Nationen (UN) und des Netzwerks UNITAID die Medicines Patent Pool Foundation (MPP) gegründet. UNITAID hilft der Foundation finanziell, weitere Gelder kommen über eine Solidaritätssteuer auf Flugtickets. Logistische Hilfe gibt es auch: Wegen der hohen Abnahmezahlen können oft niedrige Preise für Lizenzen ausgehandelt werden.
Das Konzept gilt für Generika, lässt sich aber auch bei patentgeschützten Originalpräparaten einsetzen. Zuletzt verfügte der MPP vor allem über Lizenzen für Medikamente gegen HIV Hepatitis C. Hersteller haben die Möglichkeit, Arzneimittel in Entwicklungsländern kostengünstig zu fertigen und zu vertreiben. In diesem Bereich hat die Foundation zahlreiche Erfolge vorzuweisen.
Infektionserkrankungen waren – und sind – weltweit eine Herausforderung. Die aktuelle WHO-Liste zeigt aber, dass Krebstherapien an Bedeutung gewinnen. Entsprechend kündigte Andrew Witty von GSK Ende 2016 an, dem MPP verschiedene Lizenzen im onkologischen Bereich zur Verfügung zu stellen. Bisher ist allerdings nichts in der Richtung passiert. Seine Nachfolgerin Emma Walmsley schien kein großes Interesse an einer Zusammenarbeit zu haben.
Neben Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen ist Krebs eine der veritabelsten Indikationen für neue Arzneistoffe. Aber: Forschende Hersteller werden in Entwicklungsländern keinen großen Umsatz machen. Der Großteil des Gewinns wird in einkommensstarken Regionen erwirtschaftet. Und dass Medikamente in Richtung Europa oder Amerika abwandern, lässt sich mit technischen Sicherheitsmerkmalen wirksam unterbinden, etwa dem bekannten securPharm. Ohne weltweiten Druck werden Konzerne wohl kaum umschwenken.
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