„Hauptsache gesund“ – das wünschen sich alle Schwangeren, die ich betreue, für ihr Kind. Wenn klar ist, dass sich dieser Wunsch nicht erfüllen wird, steht den Betroffenen eine der vielleicht schwersten Entscheidungen des Lebens bevor.
Der 122. Deutsche Ärztetag in Münster hat sich im Mai für die Übernahme der Pränataltests auf Trisomie 21, 13 und 18 zu Lasten der GKV ausgesprochen. Der Vorstand der Bundesärztekammer sieht das genauso, verweist aber auf die Notwendigkeit einer breiten gesellschaftspolitischen Debatte darüber, wie in Zukunft mit Krankheit und Behinderung umgegangen werden sollte. Widerspruch oder Chance? Hier meine persönlichen Gedanken und Erfahrungen aus der Praxis.
Durch eine einfache Blutentnahme können mittlerweile die drei häufigsten Chromosomenstörungen beim Embryo mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden (DocCheck berichtete).
Andererseits machen Trisomien nur etwa 8 % der Fehlbildungen insgesamt aus. Aus diesem Grund können pränatale Bluttests eine ausführliche bildgebende Diagnostik, wie beim Ersttrimester-Screening oder beim erweiterten bzw. feindiagnostischen Ultraschall, nicht ersetzen. Andererseits werden genetische Ursachen bei zahlreichen Krankheitsbildern vermutet, sind aber noch nicht greifbar, geschweige denn pränatal diagnostizierbar. Beim Mammakarzinom kennt man das BRCA1/BRCA2-Gen, bei vielen anderen Karzinomarten ist man noch nicht fündig geworden. Diskutiert werden genetische Dispositionen auch für psychische Erkrankungen, beispielsweise Autismus und Depressionen, wie auch beim Morbus Alzheimer.
Bezüglich der allgemeinen Kostenübernahme von pränatalen Bluttests kam es im Bundestag im April 2019 zu einer interessanten Orientierungsdebatte. Es zeichnete sich eine breite Unterstützung für die Übernahme der Kosten aus, allerdings begrenzt auf Risikoschwangerschaften. Vor allem wurden auch ethische Gesichtspunkte diskutiert. Es entstanden zentrale Forderungen nach einer besseren Beratung werdender Eltern und einer viel stärkeren Inklusion von behinderten Menschen in unserer Gesellschaft. Einerseits wurde das Selbstbestimmungsrecht der Frau angesprochen, andererseits befürchtete man durch einen niedrigschwelligeren Zugang zu den Tests eine zunehmende Diskriminierung behinderten Lebens.
Interessant war der Vorschlag von SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach, ein neues interdisziplinäres Beratungsgremium für andere genetische Tests einzurichten. Seine Begründung: „Wir werden Tests auf fast jede erdenkliche Krankheit bekommen“. Das macht nachdenklich. Die behindertenpolitische Expertin der Grünen, Corinna Rüffer, sieht den Bluttest in erster Linie als Mittel zur Selektion. Sie bedauerte es, dass sich die Eltern bei der Diagnostik eines Down-Syndroms meist für eine Abtreibung entschieden. Als Mutter einer Tochter mit Trisomie 21 stellte sie fest: „Wir leben in einer Gesellschaft, die ungeübt ist im Umgang mit einer Behinderung.“
Michael Brand von der CDU befürchtete, dass der Druck auf Eltern zunehme, ein behindertes Ungeborenes abzutreiben, sollte der Test Routine werden. Einen positiven Aspekt sahen viele darin, dass komplikationsreiche invasive Diagnostik dadurch weniger durchgeführt werden würde. Eine endgültige politische Entscheidung steht aber noch aus.
Der Medizinethiker Professor Giovanni Maio von der Universität Freiburg bezeichnet eine sinnvolle Pränataldiagnostik als Bestandteil einer guten Frauenheilkunde. Sie diene dazu, Entwicklungsstörungen frühzeitig zu erkennen und eine Frühbehandlung des Kindes zu ermöglichen. Er sieht aber eine Gefahr darin, dass es zu einer Schwangerschaft auf Vorbehalt kommen kann, die erst nach unauffälliger Pränataldiagnostik zur akzeptierten Schwangerschaft wird.
Bereits 2017 war die Kostenübernahme der Bluttests Thema in einem Artikel des Deutschen Ärzteblattes. Medizinethiker warnen darin vor einer Lockerung ethischer Standards. Sie gehen sogar soweit, darin einen Widerspruch zum ärztlichen Auftrag zu sehen. „Dieser stark neo-eugenische Impuls steht jedenfalls in diametralem Widerspruch zur hippokratischen Tradition“, heißt es im Artikel.
Kurz nach der Orientierungsdebatte im Bundestag lies die Badische Zeitung in ihrem Artikel „Immer noch ein Tabu: Im Umgang mit Down-Syndrom-Kindern tut sich die Gesellschaft schwer“, Betroffene zu Wort kommen. Einfühlsam wurden Ängste und Überforderungssituationen von Angehöriger geschildert. Es kamen aber auch Familien zu Wort, die durch gelungene gesellschaftliche Inklusion gut mit der Situation zurechtkommen.
Für die Bundesvereinigung Lebenshilfe, die sich als Verein für Menschen insbesondere mit geistigen Behinderungen einsetzt, ist die Debatte um die Kostenübernahme der pränatalen Bluttests nur Folgendes: „Ein Schlag ins Gesicht für Menschen mit Down-Syndrom.“ Der Artikel weist auch auf das Instagram-Profil von Natalie Dedreux hin, die zur Vorkämpferin für Menschen wie sie selbst geworden ist, Menschen mit Trisomie 21. Dort steht: „Ich habe das Down-Syndrom. Das Down-Syndrom ist cool.“ Bei einer Wahlkampfveranstaltung hat sie Angela Merkel im September 2017 folgende Frage gestellt: „Wieso darf man Babys mit Down-Syndrom bis kurz vor der Geburt noch abtreiben?“
Ein weiteres Beispiel: Die Journalistin Sandra Schulz erhält durch einen Bluttest die Diagnose Down-Syndrom für ihr ungeborenes Kind. Den emotional aufwühlenden Weg der Entscheidungsfindung beschreibt sie eindrucksvoll in ihrem Buch „Das ganze Kind hat so viele Fehler“. Provokant formuliert sie das Paradoxe: „Es war noch nie so leicht, einen Fötus mit Trisomie 21 zu identifizieren in einer Gesellschaft, die billigt, dass diese Chromosomenstörung ein salonfähiger Abtreibungsgrund ist. Und es war noch nie so leicht, ein Kind mit Down-Syndrom großzuziehen in einer Gesellschaft, die, zu Recht, stolz darauf ist, dass sie sich um Inklusion bemüht.“
Mehrmals ist Schulz kurz davor, die Schwangerschaft abzubrechen, besonders als noch andere, schwerwiegende Diagnosen dazukamen. Die Entscheidung für ihre behinderte Tochter war, wie sie im Untertitel schreibt, eine Entscheidung aus Liebe. Was an ihrer Geschichte so beeindruckend ist, ist ihre schonungslose Offenheit im Ringen um ihren eigenen Weg, aber auch, dass sie versteht und nicht verurteilt, wenn Eltern sich anders entscheiden.
Kein Mensch möchte ein krankes oder behindertes Kind. Deshalb ist auch die Floskel „Hauptsache gesund“, die jeder Gynäkologe gefühlte tausendmal beim Ultraschall hört, komplett überflüssig. Das Leben mit einem behinderten oder kranken Angehörigen ist eine existenzielle Herausforderung, voller leidvoller Tiefen, bisweilen aber auch unerwarteter Lichtblicke. Keine Behinderung, keine Krankheit, keine Not dieser Welt ist auf den ersten Blick sinnvoll, aber es gibt sie. Aus diesem Grund bin ich Ärztin geworden.
Erst letztens sprach ich mit einer Patientin, die einen 25-jährigen Sohn mit Down-Syndrom hat. Auf die Frage, was sie von den Tests hält, sagte sie: „Ich sehe die Tests als Mittel zur Selektion, da behinderte Menschen aussortiert werden. Wir sind sehr froh, es vorher nicht gewusst zu haben. Es war schwer, aber wir sind daran gewachsen. Leben heißt für mich, das Nicht-Perfekte akzeptieren zu lernen.“
Mir steht es nicht zu, über Menschen zu urteilen, die sich nicht in der Lage sehen, ein krankes oder behindertes Kind in ihr Leben mit hineinzunehmen. Ich kann nur dazu beitragen, dass es mehr Menschen gibt, die den Mut aufbringen und die nötige Unterstützung erhalten, um ein Ja für ihr behindertes Kind zu finden.
Bildquelle: Vasjan Leno, unsplash