Immer öfter tauchen im medizinischen Spektrum zweifelhafte Meldungen auf. Menschen gehen diesen News leichter auf den Leim, als man denken würde – das gilt auch für Ärzte. Warum ist das so? Und wie lässt sich das ändern?
In medizinischen Fake-News geht es oft um angeblich sensationelle medizinische Forschungsergebnisse oder die unglaubliche Wirksamkeit von Therapien, die eigentlich längst etabliert sind. Auch der akademisch gebildete Arzt kann nicht immer sicher sein, dass neue Erkenntnisse auf seriöser Studien-Absicherung beruhen. Das bestätigt auch Karl Lauterbach, selbst Mediziner und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, in einem Interview mit MedWatch: „[...] auch Ärzte sind empfänglich für Fake News. Wenn ich die Originalstudie nicht lese“, so der Politiker, „kann ich mir auch kein Bild machen. Dafür haben aber die meisten verständlicherweise keine Zeit.“ Als Beispiel führt Lauterbach etwa Anzeigen an, die wie Studienberichte aussehen, aber mit gesicherten Erkenntnissen nichts zu tun haben.
Die Bereitschaft, medizinische Gerüchte aus dem Netz zu glauben und mit anderen zu teilen, ist hoch, wie Alton Chua und Snehasish Banerjee aus Singapur und New York herausfanden. Bedrohliche Gerüchte werden demnach von Studenten, Pflegern und Ärzten eher geteilt als vermeintliche gute Ratschläge. Selbst bei entsprechenden Fact-Checking-Nachrichten zur Richtigstellung vermindert sich zwar der Glaube an das Gerücht, nicht jedoch die Bereitschaft, es weiterzuverbreiten.
Eine ganz besondere Rolle bei der Verbreitung von Falschnachrichten und solchen ohne ausreichende Evidenz spielen soziale Medien wie etwa Facebook und Twitter. In den USA informiert sich inzwischen fast ein Fünftel aller Nutzer auch bei Gesundheitsfragen über diese Kanäle. Dabei zeigt eine aktuelle Untersuchung aus Polen, mit welchen Risiken sie das tun.
Der Epidemiologe Przemyslaw Waszak untersuchte Links in den inländischen sozialen Medien zwischen 2012 und 2017 mit den Stichpunkten Krebs, Schlaganfall, Bluthochdruck, HIV und anderen weit verbreiteten Krankheiten. Vier von zehn Links führten zu „Fake News“ und wurden trotzdem mehr als 450.000 mal geteilt. Solche Falschinformationen sind kein Zufall: Mehr als 20 Prozent dieser Links stammten aus derselben Quelle.
Welche medizinischen Inhalte sind eigentlich in Fake-News enthalten? Um sich besser vorstellen zu können, wie solche Falschinformationen aussehen können und wie sie zustande kommen, hier ein Blick auf dokumentierte Fake-News-Funde.
Zum Thema Prostatakarzinom finden sich gehäuft Fake News auf Social Media. Eine Untersuchung der Universität in Loma Linda (Kalifornien) zeigte, dass sich unter den zehn am häufigsten geteilten Artikel über Prostatakrebs sieben Artikel befanden, die ungenau (vier) oder irreführend (drei) waren, wie DocCheck berichtete. Nur drei Artikel wurden als zutreffend eingestuft. Geprüft wurde das von zwei Urologen anhand aktueller Leitlinien, Konsenspapieren und dem aktuellen wissenschaftlichen Stand. Insgesamt wurden die Artikel über 400.000 mal geteilt. Was noch auffällig war: Ungenaue Artikel wurden 28 mal häufiger geteilt als Artikel mit überwiegend richtigen Aussagen. Korrekte Artikel zum Thema Prostatakarzinom sind demnach deutlich unterrepräsentiert.
Auch auf Twitter sind Fake News inzwischen an der Tagesordnung. Dort stammen fast ein Viertel aller Links von den 500 aktivsten Bots. Im American Journal of Public Health (AJPH) erschien im Oktober letzten Jahres eine Studie von David Broniatowski und seinen Kollegen aus Washington und Baltimore. Sie untersuchten die Rolle von Twitter-Bots und russischen Trollen in der Impfdiskussion im Zeitraum von 2014 bis 2017. Vor einiger Zeit posteten 61 bekannte Spam-Bots gleichzeitig identische Nachrichten über die Gefahren des Impfens.
Im Vergleich zu anderen Themen war die Anzahl der Falschaussagen und die Zahl der automatisierten Beiträge weit höher als bei anderen, weniger umstrittenen Themen. Meldungen, die bewusst unseriöse Statements verbreiteten, sind nicht typischerweise maschinell erstellt, sondern stammen zu einem großen Teil auch aus unprogrammierter humaner Quelle. Darunter solche Aussagen wie etwa „Zuerst erfindet die Regierung die Krankheiten, danach will sie uns die Impfstoffe aufdrängen“, oder „es gibt eine strikt geheimgehaltene Datenbank impfgeschädigter Kinder“.
Kommerzielle so genannte „Content Polluters“ nutzen die große Aufmerksamkeit gerade bei diesen Themen, um Spam und unerbetene Werbung zu platzieren und mit gezielter Provokation noch mehr Leser auf die Seite zu ziehen. Internet-Trolle, die gezielt einer russischen Quelle zugeordnet werden können, sind dagegen in der Minderzahl und scheinen nicht die eine oder andere Seite zu bevorzugen, sondern eher das Ziel zu haben, Impfgegner und Befürworter noch weiter auseinander zu treiben.
Wie sich eine solche Desinformationsstrategie auswirken kann, lässt sich etwa am Beispiel des letzten Ebola-Ausbruchs zeigen: In Liberia wurde eine Einrichtung zur Behandlung von Ebola-Patienten von Menschen angegriffen und verwüstet, die Angst vor der Erkrankung hatten. Einige Patienten rannten weg, laut Experten vor Ort sorgt die Panik vor Ebola dafür, dass Betroffene ihre Erkrankung verheimlichen und es nicht oder erst sehr spät wagen, einen Arzt aufzusuchen und sich behandeln zu lassen.
Mitschuldig sind die durch Social Media-Beiträge ausgelöste Angst vor der Erkrankung. Falschaussagen zum Übertragungsweg des Virus würden sich schneller ausbreiten als das Virus selbst, berichtete CNN. So würden sich Gerüchte über übervorbeugende Maßnahmen schnell etablieren. Die WHO berichtete, dass zwei Menschen in Nigeria starben, weil sie Salzwasser getrunken hatten, nachdem via Social Media eine Meldung die Runde machte, die Salzwasser als vorbeugendes Mittel gegen Ebola anpries.
In einer Gesellschaft, die sich zu einem nicht geringen Teil jedoch über soziale Medien über wichtige Lebensfragen informiert, kann die gestreute Verunsicherung das Vertrauen zwischen Arzt und Patient grundlegend untergraben. Viele Ärzte berichten inzwischen von Patienten, die sich gegen eine Evidenz-basierte Behandlungsmethode sträuben, weil sie im Netz Zweifelhaftes darüber gelesen haben.
Wissenschaftlich erwiesen ist inzwischen auch, dass sich falsche Informationen im Netz schneller als die Wahrheit verbreiten. Das schlägt sich auch in der täglichen Praxis bei der Suche nach Gesundheitsinformationen nieder. In den USA haben nur mehr 36 Prozent der Bevölkerung adäquates Vertrauen in ihr Gesundheitssystem. Jeder fünfte misstraut grundsätzlich der Wissenschaft. In einem Editorial für das AJPH fragen Jon-Patrick Allem und Emilio Ferrara: „Sind Social Bots eine Gefahr für das Gesundheitswesen?“ Ihre Antwort ist „Ja!“.
Seien es Falschinformationen über Vakzine, Werbung für e-Zigaretten oder Krebstherapien, allein der Umfang der vielen Beiträge zu diesem Thema übersteigt die Möglichkeiten medizinischer Verbände und Organisationen, diese Nachrichten als Fake zu entlarven. Gleichzeitig nutzen sowohl Patienten als auch Ärzte die sozialen Medien als Informationsquelle, daran wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern.
Umso wichtiger werden also Strategien gegen die Produktion bzw. Verbreitung von Fake News oder ungesicherten Daten via Internet. Viele Journals denken inzwischen darüber nach, ihre wichtigsten Artikel auch in laienverständlicher Sprache zu publizieren und stärker in sozialen Medien aktiv zu werden. Auf diese Weise wäre der Kontakt mit dem „Endverbraucher“ enger und die Entstehung von Fehlinformationen womöglich geringer.
Artikel von Erich Lederer
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