Medizinische Zulassungsbehörden wie die FDA bestimmen, was auf den Markt kommt. Allerdings haben selbst hier Politiker ihre Finger im Spiel. In den USA regt sich jetzt Widerstand. Wie sieht es in Deutschland aus?
Die US Food and Drug Administration (FDA) gerät als Zulassungsbehörde für Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel oder Medizinprodukte unter Beschuss. Anfang Januar empfahlen sieben ehemalige FDA-Kommissare, ihre Behörde grundlegend zu verändern. Sie schreiben, die FDA solle von der Politik unabhängig werden. Bislang ist sie dem Gesundheitsministerium unterstellt und leidet unter starker politischer Einflussnahme.
Bestes Beispiel ist der Ex-FDA-Chef Scott Gottlieb. Seine Berufung unter Donald Trump, er war lange Zeit als Pharmamanager und nicht als Wissenschaftler tätig, sorgte für Misstöne. Vor wenigen Wochen schmiss Gottlieb das Handtuch, wobei die Gründe unklar sind. Einerseits sprach er sich dafür aus, bei E-Zigaretten die Nikotinmenge in Liquids zu begrenzen, um das Suchtpotenzial zu verringern. Andererseits soll er zu wenig gegen die Verbreitung von E-Zigaretten bei Jugendlichen unternommen haben. So oder so rollte sein Kopf aus politischen Gründen.
Noch übler endete die Sache 2011 für die Ärztin und FDA-Kommissarin Margaret Hamburg. Sie empfahl, Levonorgestrel-haltige Notfallkontrazeptiva aus der Verordnungspflicht zu entlassen – auf Basis wissenschaftlicher Daten. Doch Kathleen Gilligan Sebelius, sie war von 2009 bis 2014 US-Gesundheitsministerin, pfiff Hamburg öffentlich zurück und stoppte deren Pläne. Erst per Gerichtsurteil gelang der OTC-Switch. Was ist dagegen zu tun?
Geht es nach den früheren Kommissaren, sollen derartige Maßnahmen bald der Vergangenheit angehören. Sie wünschen sich mehr Unabhängigkeit und weniger versuchte Einflussnahme. „Wir glauben, dass eine solche Umgestaltung das Vertrauen in eine konsequente wissenschaftlich fundierte Regulierung fördern und sicherstellen würde, dass die amerikanische Öffentlichkeit Zugang zu dem Besten hat, was Wissenschaft und Industrie bieten können“, schreiben sie in ihrer Stellungnahme.
Eli Y. Adashi von der Brown University in Providence und seine Kollegen sehen ähnliche Gefahren. Sie schreiben, die FDA stehe bei Neuzulassungen zwischen den Stühlen. Hersteller wollen ihr Präparat möglichst gut vermarkten, während Einrichtungen der öffentlichen Gesundheit, aber auch Politiker, auf die Kosten achten. Politik lebe von vielen Meinungen, die evidenzbasierte Bewertung neuer Pharmaka jedoch nicht.
Sie schlagen deshalb vor, die Amtszeit von FDA-Kommissaren auf sechs Jahre zu begrenzen und der Behörde einen eigenen Haushalt zu geben. Außerdem sollten FDA-Experten mehr Entscheidungsbefugnis erhalten und weniger als bisher kontrolliert werden.
Wie sieht die Situation bei uns aus? Das deutsche Gesundheitssystem aus GKV und PKV unterscheidet sich von den USA zwar grundlegend. Auswüchse gibt es trotzdem, und zwar im Bereich der Selbstverwaltung: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plante, quasi per Ermächtigung Patienten mit Lipödemen eine Liposuktion (Fettabsaugung) als Kassenleistung anzubieten. Wissenschaftlich mag viel dafür sprechen. Ein Gremium zur evidenzbasierten Bewertung von Therapien auszuhebeln, ist aber problematisch. Entweder arbeitet die Behörde schlecht oder die Politik drückt Ideen auf Biegen und Brechen durch.
2017 hatte der G-BA festgestellt, die Liposuktion biete als Therapie Potenziale; man könne aufgrund der Datenlage aber noch keine Entscheidung treffen. Der Kompromiss: Betroffene können nach Spahns Säbelrasseln von 2020 bis 2022 an einer wissenschaftlich begleiteten Studie teilnehmen – zu Lasten der GKV. Nur auf Druck der Politik ist es dazu gekommen.
Ein anderes Beispiel ist die Gesellschaft für Telematik (Gematik). Schon lange ist sie Spahn ein Dorn im Auge. Er wünscht sich, schneller elektronische Gesundheitskarten (eGK) mit echtem Mehrwert für Versicherte unter das Volk zu bringen. Dazu gehört primär die elektronische Patientenakte (ePA), später auch das E-Rezept. Nur geht das derzeit eher im Schneckentempo als im Schweinsgalopp.
Der Gesundheitsminister hat im Januar schließlich durchgegriffen. Im Zuge seines Terminservice- und Versorgungsgesetzes entmachtete er kurzerhand die Gematik. „Entscheidungsprozesse (...) werden effektiver gestaltet, damit die Einführung weiterer Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur zügig umgesetzt wird“, heißt es in einer Mitteilung.
„Das Bundesministerium für Gesundheit übernimmt 51 Prozent der Geschäftsanteile der Gematik.“ 24,5 Prozent entfallen auf den GKV-Spitzenverband und weitere 24,5 Prozent bekommen die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer.
Damit unterscheiden sich politische Bestrebungen in Deutschland nicht wirklich von Tendenzen aus den USA: Wer nicht performt (Gematik) oder eine andere Meinung vertritt (G-BA), wird ausgehebelt. Die Forderung der amerikanischen Forscher, Organe vor der Einflussnahme von Politikern zu schützen, lässt sich eins zu eins auf unser Gesundheitssystem übertragen.
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