Leiden Patienten an schweren Lipödemen, bleibt oft nur noch die Liposuktion als Ultima Ratio. Bis heute liegt keine Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses vor. Deshalb weigern sich Gesetzliche Krankenversicherungen, die Kosten zu übernehmen.
Ärzte diagnostizierten bei Madeleine T. aus Chemnitz vor zwölf Monaten ein Lipödem. Nach jahrelanger Unsicherheit empfand die 33-Jährige ihren Befund zwar als große Erleichterung. Bald darauf erfuhr sie von ihrer Krankenkasse jedoch, dass eine dringend erforderliche Liposuktion nicht erstattet wird. Was steckt medizinisch und sozialrechtlich dahinter?
Beim Lipödem vermehrt sich Fettgewebe vor allem an Hüften und Oberschenkeln. Betroffen sind in erster Linie Frauen. Da die Ursache der Erkrankung bisher unbekannt ist, gibt es keine kausalen Therapien. Wissenschaftler vermuten genetische Prädispositionen und hormonelle Veränderungen als Ursachen. Sie forschen aber nach wie vor ohne erkennbaren Durchbruch. Lipödeme bei Madeleine T. Quelle: Leetchi.com, Screenshot: DocCheck Ein Blick in die S1-Leitlinie zeigt, welche Möglichkeiten Ärzte haben. Ihr Ziel ist, sowohl Beschwerden zu lindern als auch Komplikationen zu vermeiden. Bei fortschreitender Ausprägung steigt laut Leitlinie das Risiko dermatologischer (Mazerationen, Infektionen), lymphatischer (Erysipelen, Lymphödem) und orthopädischer Komplikationen (Gangbildstörungen, Achsenfehlstellungen). Dabei werden drei Stadien unterschieden:
Konservative Therapien wie Lymphdrainage, Kompression oder Bewegungstherapie lindern allenfalls Beschwerden. Die Fettvermehrung kann dadurch nicht reduziert werden. Bleibt noch die Liposuktion als „etablierte und risikoarme Methode“. Sie ist sinnvoll, falls trotz konsequent durchgeführter konservativer Therapie Beschwerden persistieren oder falls die Erkrankung messbar fortschreitet. Laut Leitlinie führen Liposuktionen in Tumeszenz-Lokalanästhesie verglichen mit älteren Verfahren nicht zu Schäden an Lymphgefäßen. Erfolge bleiben über viele Jahre bestehen. Patienten profitieren auch von ergänzenden Maßnahmen wie der Korrektur von Beinfehlstellungen. Hautschäden bessern sich aufgrund der Entfernung von Fettdepots ebenfalls. Liposuktionen in Tumeszenz-Lokalanästhesie:
Was medizinisch schlüssig ist, wirft trotzdem sozialrechtliche Fragen auf. Gesetzliche Krankenkassen weigern sich in vielen Fällen, Liposuktionen zu erstatten. Es handelt sich um keine Regelleistung. Im Mai 2014 kündigte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zwar an, ein Beratungsverfahren zur operativen Behandlung des Lipödems mittels Fettabsaugung zu initiieren. Ein Jahr später folgte schließlich eine Aufforderung an Medizinproduktehersteller, eigene Stellungnahmen abzugeben. Mehr ist bislang nicht passiert. Ansonsten liegt ein negatives Gutachten des Medizinischen Diensts der Krankenkassen aus 2011 vor. Es wurde zwar in 2015 aktualisiert. Der Duktus änderte sich nicht. Patienten müssen bei fortgeschrittenem Verlauf alle Kosten selbst übernehmen.
Bleibt noch das Einkommensteuergesetz (EStG). Über Paragraph 33 lassen sich außergewöhnliche Belastungen wie Arztkosten oder Zuzahlungen geltend machen. Praktisch sieht die Sache nicht so gut aus. Vor wenigen Monaten stellte der Bundesfinanzhof klar, dass Krankheiten die Steuerlast nur begrenzt verringern (Az.: VI R 32/13 und VI R 33/13). Ein Ehepaar aus Rheinland-Pfalz mit 650.000 Euro Bruttoeinkommen gab ohne Erfolg 1.250 Euro bei der Steuererklärung an. Richter argumentierten jedoch mit der zumutbaren Belastung. Sie liegt je nach Einkommen und Kinderzahl bei einem bis sieben Prozent der Einkünfte. Darüber hinaus legt der Fiskus weitere Daumenschrauben an. Therapieverfahren müssen laut Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz „wissenschaftlich anerkannt“ sein. Justitias Vertreter stuften demnach alle Kosten zur Beseitigung eines Lipödems nicht als außergewöhnliche Belastung im Sinne des Gesetzes ein (Az.: 4 K 2173/15). Grundlage ihrer Argumentation ist ein Urteil des Bundesfinanzhofes (Az.: VI R 68/14) zur Absetzbarkeit von Ausgaben. Diese sei nur möglich, falls „Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (…), also medizinisch indiziert sind“. Wissenschaftlich anerkannt sei eine Behandlungsmethode, falls "Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen". Richter forderten „zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen“, sprich „wissenschaftlich einwandfrei durchgeführte Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode“.
Madeleine T. gab sich trotz aller Einschränkungen nicht geschlagen. Sie verteilte 5.000 Briefe in ihrer Umgebung und erstellte ein Spendenprofil im Web. Ihr Ziel, rund 12.000 Euro für drei OPs zu sammeln, ist in greifbare Nähe gerückt. Zwei Eingriffe konnte sie schon bezahlen. Trotzdem wächst der Druck auf den G-BA, Farbe zu bekennen.