Patienten haben weniger Vertrauen in Generika und Biosimilars als in die Originalpräparate. Folglich kommt es bei den Nachahmerprodukten häufiger zum Nocebo-Effekt. Was können Ärzte tun, um den Effekt abzuschwächen?
Derek Adams wollte nach einem Streit mit seiner Freundin sterben. Er nahm 29 Kapseln eines Antidepressivums ein, das er im Rahmen einer Medikamentenstudie bekommen hatte. Die Dosis war hoch genug, sein Kreislauf brach zusammen, er schwebte in Lebensgefahr.
Bei seinem „Medikament“ handelte es sich jedoch nur um ein Placebo – er gehörte zur Kontrollgruppe einer Studie. Als er erfuhr, dass er nur ein Scheinmedikament geschluckt hatte, verschwanden die Symptome wieder. Schuld an dem Zustand des Mannes war der Nocebo-Effekt.
Diese Begebenheit schildert, wie enorm der Nocebo-Effekt sein kann. Aber auch weniger drastische Situationen zeigen, dass der Effekt einen großen Einfluss auf den Alltag hat, zum Beispiel auf das Therapieverhalten von Patienten. Wie eine Untersuchung aus diesem Jahr zeigt, haben Patienten offenbar weniger Vertrauen in Generika als in die Originalprodukte. Die Studie lief so ab: Nach einem dentalchirurgischen Eingriff wurde 101 Patienten für sieben Tage Tramadol 50 mg/Tag verordnet.
Allen Patienten war dazu eine Packung mit den Originaltabletten ausgehändigt worden. Diese trug aber nur bei 51 Patienten das korrekte Etikett, bei den übrigen 50 war sie mit dem Etikett eines Generikums gelabelt. Die Patienten waren außerdem über den Preis der Originaltabletten bzw. des Generikums informiert worden. Das Therapieverhalten wurde telefonisch nach einem, vier und sieben Tagen abgefragt.
Von den Patienten mit dem Nachahmer-Label beendeten 54 Prozent die Therapie vor dem siebten Tag, bei den mit dem Original-Label waren es nur 33 Prozent. Unterschiede bei Dauer und Ausmaß der OP sowie Alter, Geschlecht oder Bildung konnten diese Differenz nicht erklären. In der Generikagruppe nahmen außerdem 26 Prozent der Patienten zusätzlich ein weiteres Analgetikum ein, in der Originalgruppe tat das keiner.
Die Patienten mit dem Generikum berichteten außerdem über stärkere Schmerzen und schätzten die Effektivität ihrer Tabletten signifikant geringer ein als die Originalgruppe. Sie waren dementsprechend weniger geneigt, ihre Schmerztherapie weiterzuempfehlen. Wenn man bedenkt, dass etwa 80 % aller Verordnungen in Deutschland Generika betreffen wird deutlich, welche Tragweite dieser Effekt hat.
Im Wesentlichen sind die Erwartungshaltung und eine Konditionierung die Ursache für die unerwünschten Wirkungen. Patienten erwarten, dass das eingenommene Pharmakon bestimmte Nebenwirkungen bei ihnen auslösen wird, was dann auch häufiger eintritt. So können Hinweise auf dem Beipackzettel, ein Artikel oder ein Gespräch mit dem Nachbarn eine negative Erwartungshaltung auslösen.
Aber auch der verordnende Arzt oder der abgebende Apotheker können in die Nocebofalle tappen. Allein eine negierte Aussage wie etwa „dieses Medikament wird schon keine schweren Nebenwirkungen auslösen“ statt „Dieses Medikament ist gut verträglich“ kann reichen.
Auch eine selektive Wahrnehmung spielt eine Rolle. Wenn der Patient von Nebenwirkungen wie Müdigkeit liest oder hört, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch auftritt, höher. Dies stellt hohe Anforderungen an den Therapeuten. Bei einem zu kritischen Aufklärungsgespräch wird beim Patienten Angst und Stress ausgelöst, diese können beispielsweise die Schmerzschwelle senken.
Selbst der Wirkstoffspiegel im Blut kann durch den Nocebo-Effekt ungünstig beeinflusst werden: Norwegische Forscher um Magne Arve Flaten verabreichten Versuchspersonen in einer älteren Studie das Muskelrelaxans Carisoprodol, das in Deutschland nicht zugelassen ist.
Ließen sie die Teilnehmer glauben, dass sie ein Stimulans einnahmen, wiesen diese geringere Wirkstoffspiegel im Serum auf, als wenn die Forscher sie gar nicht oder korrekt über die Carisoprodol-Wirkung aufgeklärt hatten. Die Forscher fanden Hinweise, dass bei Probanden, die in dem Glauben waren, ein Stimulans einzunehmen, das sympathische Nervensystem stärker aktiviert war. Eine Aktivierung des Sympathikus und die damit verbundene Freisetzung von Adrenalin kann bekanntlich die Verdauung bremsen. Deswegen, so vermuten die Forscher, könnte ein höherer Stresspegel dafür gesorgt haben, dass weniger Wirkstoff im Blut der Probanden ankam.
Selbst der Preis eines Arzneimittels kann einen Nocebo-Effekt auslösen. Ein Beispiel hierfür sind Biosimilars.
Biosimilars sind biotechnologisch hergestellte Arzneimittel. Es handelt sich um Folgepräparate von Biopharmazeutika, deren Patent abgelaufen ist. Ihr Wirkstoff ist vergleichbar mit dem Wirkstoff des bereits zugelassenen biotechnologisch hergestellten Arzneimittels, der Herstellungsprozess unterscheidet sich aber. Bei diesem hochsensiblen Prozess werden große, komplexe Moleküle mit Hilfe lebender Zellen „nachgebaut“. Substanzen wie Epoetin, Filgastrim, Follitropin alfa, Insuline und andere Substanzen sind hochpreisig. Biosimilars können helfen, Kosten zu sparen. Der Nocebo-Effekt spielt jedoch keine unwesentliche Rolle, wenn der Patient von einem Original auf ein Biosimilar umgestellt wird.
In einer Studie aus dem Jahr 2018 von Tweehuysen et al. brach rund ein Viertel der Patienten nach dem Wechsel von Infliximab auf ein Biosimilar die Therapie ab. Einer der Gründe war, dass die subjektiven Beschwerden und Nebenwirkungen stärker als beim Original empfunden wurden.
Objektive Parameter wie Entzündungsmarker oder Wirkstoffspiegel waren dagegen konstant. Die Forscher der Studie halten daher Nocebo-Effekte für wahrscheinlich.
Eine medizinische Behandlung stellt für viele Patienten eine Extremsituation dar, in der sie für Negativsuggestionen besonders empfänglich sind. Von unbedachten Worten, nonverbalen Signalen der Medizintechnik bis hin zur aufgezwungenen Passivität summieren sich zahllose Negativeinflüsse.
Der Anästhesist und Biochemiker Prof. Dr. Ernil Hansen, Universität Regensburg, ist anerkannter Experte für Nocebo-Effekte und Hypnose in der Medizin. In einer Übersichtsarbeit gibt er Tipps für Mediziner, um Nocebo-Effekte bei Patienten zu vermeiden:
Ärzte, das Pflegepersonal und Apotheker sollten die Nocebo-Erkenntnisse in ihre Patientenkommunikation einfließen lassen. Ein banaler Szenejargon kann zum Nocebo werden. „Wir schläfern Sie jetzt mal ein“ – immer wieder humorvoll vor einer Narkose gesagt. „Wir schneiden Sie jetzt in Scheiben“ bei einem CT weckt auch nicht gerade Vertrauen. Und wenn der Patient in der Apotheke erfährt, dass ein Medikament „defekt“ sei, ist es nicht kaputt, sondern gerade einfach nicht lieferbar.
Artikel von Matthias BastigkeitBildquelle: Sharon McCutcheon, unsplash