Kein Einsatz der CRISPR-Cas-Methode – zumindest vorerst. Das fordert ein internationales Expertenteam in einem Kommentar, der aktuell thematisiert wird. Es geht um einen befristeten Verzicht auf Keimbahneingriffe am Menschen. Was wollen die Wissenschaftler im Detail?
Ein Wort taucht seit gestern vermehrt in Medienberichten auf: Moratorium. Darunter versteht man einen Aufschub, der vertraglich vereinbart oder gesetzlich verordnet ist. Biowissenschaftler und Ethiker aus insgesamt sieben Ländern fordern ein solches im Fachmagazin Nature. „Wir verlangen ein globales Moratorium für jegliche klinische Anwendung menschlichen Keimbahn-Editings – also das Verändern vererbbarer DNA (in Spermien, Eizellen oder Embryos), um genetisch veränderte Kinder zu produzieren“, lauten die ersten Zeilen des Kommentars.
Erst überlegen, dann handeln
Dabei geht es der Expertengruppe nicht um ein weltweites Verbot für immer. Der Aufschub sei nötig, um Rahmenbedingungen zu definieren, die es bisher noch nicht gibt. Die Wissenschaftler setzen auf eine freiwillige Verpflichtung aller Nationen, den Einsatz von Keimbahn-Editing nicht zuzulassen, solange nicht bestimmte Bedingungen erfüllt worden sind.
In ihrem ausführlichen Schreiben berücksichtigen die Autoren unterschiedliche Überlegungen zum Nutzen der gentechnischen Methoden der Genschere Crispr/Cas9. Sie beleuchten das Thema aus technischer, wissenschaftlicher, medizinischer sowie sozialer, ethischer und moralischer Perspektive.
Technisch gesehen ist die Methode noch nicht effektiv und sicher genug für den klinischen Einsatz. Hier unterscheiden die Autoren klar zwischen genetischer Korrektur und genetischem Enhancement. Bei einer Korrektur wird eine seltene Mutation als Auslöser für schwere „Single-Gene“-Erkrankungen editiert, ein solches Verfahren könnte einen prognostizierbaren und vorteilhaften Effekt für ein Individuum haben. Im Gegensatz dazu geht es beim Enhancement darum, das Individuum und die Spezies zu „verbessern“.
Ein Risiko geht, ein neues kommt
Das Erkrankungsrisiko zu verändern, indem man Genvarianten durch eine andere ersetzt, ist auch aus wissenschaftlicher Perspektive eine Herausforderung. Denn Genvarianten, die das Risiko für bestimmte Krankheiten reduzieren, können das Risiko für andere Krankheiten erhöhen. Als Beispiel nennen die Wissenschaftler die Variante im Gen SLC39A8 – es minimiert das Risiko, Hypertonie oder Parkinson zu entwickeln, erhöht aber das Risiko, an Schizophrenie, Morbus Crohn oder Fettleibigkeit zu erkranken. In diesem Zusammenhang verweisen die Autoren auch auf den Fall He. Der chinesische Forscher Jiankui He hatte bei menschlichen Embryonen das Gen CCR5 inaktiviert. Dieses kodiert für einen Rezeptor, den HI-Viren nutzen, um in Zellen einzudringen. Die zwei inzwischen geborenen Mädchen sollen demnach resistent gegenüber HIV sein.
Allerdings gibt es Berichte, die dieses Vorgehen mit einem erhöhten Risiko für Komplikationen und sogar Tod durch bestimmte andere virale Infektionen wie dem West-Nil-Virus oder Influenza in Verbindung bringen. Die Konsequenzen können also sowohl positiv als auch negativ ausfallen, sagen die Wissenschaftler.
Medizinische Bedenken
Medizinisch betrachtet sollte eine klinische Anwendung von Genome-Editing nur dann erwägt werden, wenn es einen ausreichend überzeugenden Grund dafür gibt, sagen die Experten. Die Hürde sollte hier angesichts des Frühstadiums, in dem sich die neue Technologie derzeit noch befindet, entsprechend hoch definiert sein. An dieser Stelle gehen die Autoren auf den Standpunkt der Befürworter ein: „Besonders in der Boulevardpresse wird häufig argumentiert, Keimbahn-Editing sei dringend notwendig, um zu verhindern, dass Kinder mit schwerwiegenden genetischen Erkrankungen geboren werden. Aber Paare, die über ein Übertragungsrisiko einer schweren krankheitserzeugenden Mutation Bescheid wissen, haben bereits sichere Möglichkeiten, dies zu verhindern. Sie können In-vitro-Fertilisation (IVF) zusammen mit Präimplantationsdiagnostik (PID) anwenden sowie pränatale Tests. Außerdem gibt es die Möglichkeiten der Samen-, Eizellen- und Embryospenden oder die Adoption. Insbesondere der Einsatz einer IVF, gefolgt von einem genetischen Screening des Embryos stellt sicher, dass nur unbeeinträchtigte Embryonen in den menschlichen Uterus gelangen und garantiert, dass ein Paar keine Kinder mit genetischer Erkrankung bekommen wird.“
Das tatsächliche Problem sei, dass jene Paare von Kindern mit schweren genetischen Erkrankungen sich nicht über das Risiko bewusst waren. Hier sei ein routinemäßiger Zugang zu genetischen Screenings angebracht, von denen gefährdete Paare profitieren könnten – wenn sie es wünschen. So könnten diese Paare die derzeitigen Möglichkeiten nutzen, um das Risiko von schweren genetischen Erkrankungen beim Nachwuchs zu verhindern. Zudem sei ein Zugang zum Neugeborenenscreening notwendig, um sicherzustellen, dass Babys mit einer genetischen Erkrankung umgehend eine Therapie erhalten. Auch gab es bereits die Überlegung, dass solche Keimbahneingriffe, sollten sie sich tatsächlich als hocheffizient und sicher herausstellen, die Quote von Paaren, die eine Schwangerschaft erreichen, erhöhen könnte. Allerdings sei es vermutlich eine bessere, sichere, günstigere und breiter anwendbare Lösung, kontinuierlich die Effizienz von IVF und PID zu verbessern, argumentieren die Autoren.
Auch die Gesellschaft hat ein Recht auf Mitsprache
Abgesehen von all diesen Punkten sollte es laut der Wissenschaftler einen umfassenden gesellschaftlichen Konsens darüber geben, ob das Verändern eines fundamentalen Aspekts der Menschlichkeit für bestimmte Zwecke angemessen ist. Von Anfang an soll eine Vielzahl an unterschiedlichen Stimmen eingeholt werden, um über soziale, ethische und moralische Aspekte zu diskutieren.
Der Einsatz von Genome-Editing in zukünftigen Generationen könnte zu Stigmatisierung und Diskrimierung von Individuen mit genetischen Erkrankungen führen. Das Verfahren könnte zudem permanente und womöglich auch gefährliche Folgen für die Spezies haben, so die Expertengruppe: „Diese Mutationen können nicht vom Genpool entfernt werden, solange nicht alle Träger zustimmen, auf das Kinderkriegen zu verzichten oder genetische Verfahren zu nutzen, um sicherzugehen, dass sie die Mutationen nicht auf ihre Kinder übertragen“, lautet das Fazit.
Experten schlagen groben Fahrplan vor
Wie stellen sich die Experten diese Rahmenbedingungen vor? Im Idealfall so: „Regierungen könnten offiziell erklären, dass sie für eine Anfangszeit mit festgelegter Laufzeit keine klinische Anwendung des menschlichen Keimbahn-Editings genehmigen. Fünf Jahre dürften angemessen sein.“ Danach könnte eine Nation entscheiden, bestimmte Anwendungen zu erlauben, aber nur nachdem folgende Punkte bestätigt sind:
Viele Experten stehen dem Moratorium skeptisch gegenüber. „Der Vorstoß ist ehrenwert und es ist ihm Erfolg zu wünschen“, sagte der Medizinrechtler Jochen Taupitz von den Universitäten Heidelberg und Mannheim zur deutschen Presseagentur dpa. „Die politisch-praktische Umsetzung dürfte allerdings sehr schwierig sein.“
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