10,9 Milliarden Euro – so viel haben Private-Equity-Gesellschaften im letzten Jahr in den europäischen Gesundheitsmarkt investiert. Die Renditejäger werden zur ernsten Gefahr für Patienten und Ärzte. Besonders der fragmentierte deutsche Gesundheitsmarkt lockt die Investoren.
In den letzten Jahren sind Arztsitze und Arztpraxen immer stärker in den Fokus von institutionellen Anlegern gerückt. 2017 wurden alleine 70 Gesundheitseinrichtungen durch Private-Equity-Gesellschaften übernommen, hat der Forscher Rainer Bobsin herausgefunden. Unter „Private Equity“ versteht man private, nicht börsennotierte Kapitalgeber.
79 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr erwirtschaften Deutschlands Arztpraxen und Zahnarztpraxen (Ärzteblatt 115/39, A 1688). Die Gesundheitswirtschaft insgesamt ist für 11,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich. Sie gilt als relativ krisensicher und hat – schon aufgrund der demografischen Entwicklung – gute Wachstumsprognosen. Das weckt Begehrlichkeiten.
MVZ: Lukratives Einfallstor in die Versorgung
Ganz hoch im Kurs bei Investoren stehen Medizinische Versorgungszentren (MVZ), fand Bobsin heraus, darunter besonders aus den Bereichen Labormedizin, Radiologie und Nuklearmedizin, Dialyse, Augenheilkunde, Zahnmedizin und Dermatologie. Überproportional häufig werden in solchen MVZ Leistungen angeboten, die privat bezahlt werden bzw. sehr technikintensiv sind.
Seit 2004 dürfen MVZ gegründet werden. Allein zwischen 2014 und 2017 gab es über 800 MVZ-Neugründungen. Schätzungsweise 420 humanmedizinische und 600 zahnmedizinische MVZ gehören mittlerweile professionellen Investoren. Die Private-Equity-Gesellschaften versprechen ihren Anlegern Renditen und Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich.
Die Buy-and-build-Logik
Die Investoren verfolgen meist eine sogenannte „Buy and build“-Strategie: Dabei wird zuerst ein „Plattformunternehmen“ gekauft. Von dieser Basis ausgehend werden mehrere kleinere Unternehmen – beispielsweise eigenständige Arztpraxen und Kliniken – erworben und zu einer größeren Einheit verschmolzen.
Verwaltung, Einkauf und andere Bereiche werden zusammengefasst und zentralisiert. So lassen sich Kosten sparen und Skaleneffekte nutzen. Nach zwei bis fünf Jahren wird das Konglomerat an einen neuen Investor weiterverkauft. Aus einem ehemals fragmentierten Markt entsteht eine homogenere Wettbewerbslandschaft mit einigen großen „Playern“.
So verschlechtert sich das Angebot für die Patienten. Ihnen werden statt Grundversorgung immer mehr hoch spezialisierte Leistungen angeboten. Gleichzeitig haben sie immer weniger Wahlfreiheit, wenn MVZ-Konzerne ganze Regionen quasi monopolisieren. Für angestellte Ärzte wird es aus demselben Grund immer schwerer, den Arbeitgeber zu wechseln.
Zur ewigen Anstellung verdammt
Die Zahl der Ärzte, die in MVZ angestellt sind, steigt rasant an. Im Durchschnitt arbeiten 6,4 Ärzte in einem MVZ – aber in den letzten Jahren gibt es auch immer mehr „Super-MVZ“ mit 50 und mehr angestellten Ärzten.
Finanzkräftige Investoren treiben auch die Preise für freiwerdende Arztsitze und Praxen in die Höhe. Ärztinnen und Ärzte haben in einigen Regionen kaum mehr eine Chance, sich niederzulassen. Im Preiskampf gegen professionelle Investoren sind sie machtlos.
Zudem müssen sie als MVZ-Angestellte mehr Arbeitszeit für Bürokratie aufopfern als Ärzte in einer Gemeinschaftspraxis. Im Schnitt gehen 8,2 Stunden pro Woche für Papierkram drauf. Dieses Phänomen hat der Ärztemonitor von NAV-Virchow-Bund und KBV ans Licht gebracht.
Welches Problem in puncto Arbeitszeit und MVZ auf die medizinische Versorgung zurollt, lesen Sie im Artikel: Zufrieden, zufriedener, MVZ?
Der Industrialisierung einen Riegel vorschieben
Der NAV-Virchow-Bund hat sehr klare Vorschläge, was getan werden kann, um die ambulante Versorgung vor schädlichen Kapitalinteressen zu schützen. Konkret geht es um eine Reihe von Gesetzesänderungen für Zulassung und Betrieb von MVZ, damit Schlupflöcher geschlossen werden:
Oft ist unklar, wer hinter einem MVZ steckt. Deshalb ist ein Transparenz-Register erforderlich, aus dem eindeutig hervor geht, in welcher Gesellschaftsform ein MVZ betrieben wird, wer die Gesellschafter mit entsprechenden Anteilen sind und gegebenenfalls auch die Träger dieser Gesellschaften. Diese Informationen müssen auch den Patienten barrierefrei und niedrigschwellig zur Verfügung gestellt werden.
Der Druck auf die Politik wächst. Die Ärztekammer Nordrhein diskutiert ähnliche Ansätze. Die KBV fordert, dass die KVen eigene MVZ betreiben dürfen. Sie könnten für junge Ärztinnen und Ärzte eine Zwischenstation auf dem Weg zur eigenen Praxis sein – ein „Kennenlernangebot für die Niederlassung“. Die Vorschläge des NAV-Virchow-Bundes werden aktuell im Bundesgesundheitsministerium geprüft. Jens Spahn will sich nach Informationen des ÄND im Januar verstärkt mit der MVZ-Problematik befassen. Der Bundesrat will ebenfalls die Auflagen für MVZ-Gründungen verschärfen.
Klar ist: Investition ins Gesundheitswesen ist nicht per se schlecht. Unter den richtigen Bedingungen profitieren davon Patienten und Ärzte gleichermaßen.
Arbeiten Sie selbst in einem MVZ? Oder haben Sie alternative Ideen zum Schutz der Versorgung? Wir freuen uns auf Ihre Ideen, Meinungen und Diskussionsbeiträge.
Als Verband der niedergelassenen Ärzte kämpft der NAV-Virchow-Bund dafür, die Budgetierung zu beenden, die ärztliche Selbstverwaltung zu stärken und die Freiberuflichkeit zu erhalten. Erfahren Sie hier, was berufspolitische Arbeit für Praxis-Ärzte verändert und warum es sich für Sie lohnt.
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